Neue Waffen aus den USA – eine Chance für die Friedensbewegung?
Brisante Verabredung von Kanzler Scholz und US-Präsident Biden: Deutschland könnte durch Stationierung Schlachtfeld werden. Ist es deshalb in der Opferrolle?
Die Stationierung neuer und reichweitenstarker US-Waffensysteme in Deutschland scheint beschlossene Sache zu sein – und erneut wird zu einer bundesweiten Großdemonstration für Frieden und Abrüstung mobilisiert, die am 3. Oktober in Berlin stattfinden soll.
Nun gab es in den letzten Jahren immer wieder ähnliche Aufrufe, die in der Regel nur wenige tausend Menschen erreicht haben. Eine Ausnahme war die Berliner Großkundgebung m 25. Februar 2023, die vor allem mit Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht verbunden war. Vorausgegangen war eine monatelange Debatte, die vor allem linke Gruppen nachhaltig gespalten hat.
Spalten für den Frieden?
Dabei ging es um die Frage, wie weit die Kundgebung nach rechts offen sein durfte. Die Formulierung, dass alle, "die ehrlichen Herzens für den Frieden sind", daran teilnehmen könnten, hat die Gemüter nicht beruhigt.
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Schließlich fühlten sich dadurch auch der Ex-Linke Jürgen Elsässer angesprochen, dessen ultrarechtes Compact-Magazin heute vom Bundesinnenministerium verboten wurde, sowie das eine oder andere AfD-Mitglied. Elsässer und sein Gefolge wurden damals zwar von den Veranstalterinnen als "Störenfriede" bezeichnet und aufgefordert, zu gehen – aber vor allem die Linkspartei ist seit dieser Auseinandersetzung nicht mehr zur Ruhe gekommen.
Viele nennen den 25. Februar 2023, als das Datum, wo die Spaltung in der Linkspartei endgültig besiegelt wurde, weil der Parteivorstand die Demonstration, die wesentlich von Wagenknecht initiiert worden war, nicht unterstützen wollte. Nun ist Wagenknecht längst Namensgeberin einer eigenen Wahlformation. Trotzdem ist das Thema auch in ihrer alten Partei weiter aktuell.
Bündnispolitik als Zündstoff
Erst kürzlich erklärte die langjährige Politikerin von PDS und Linkspartei, Gesine Lötzsch, es sei ein Fehler gewesen, die Friedenskundgebung vom 25. Februar 2024 nicht zu unterstützen und damit den Weg der Trennung von Wagenknecht zu gehen.
Für die Linkspartei könnte auch die Frage der Unterstützung der Demonstration am 3. Oktober weiter Zündstoff sorgen. Denn neben Lötzsch und anderen, die einfordern, die Linke müsse wieder als Friedenspartei erkennbar sein, gibt es auch Stimmen, die weiterhin gute Gründe sehen, auf Abstand zu solchen Demonstrationen zu bleiben.
Die Diskussion wird nicht dadurch einfacher, dass in der letzten Woche ein neuer Grund dazugekommen ist, für Abrüstung auf die Straße zu gehen.
Wieder Raketen aus den USA
Am Rande des Nato-Gipfels in der US-Hauptstadt Washington haben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und US-Präsident Biden gerade die Stationierung neuer Waffensysteme in Deutschland verabredet. Ab 2026 werden demnach diverse US-Langstreckenraketen und Marschflugkörper in der Bundesrepublik stationiert.
Konkret geht es um Cruise Missiles vom Typ Tomahawk, Flugabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu entwickelte Hyperschallwaffen, die fünfmal schneller als der Schall fliegen. Sie sollen laut dem Abkommen "eine deutlich weitere Reichweite haben als gegenwärtige landgestützte Systeme in Europa".
Bis zu 2.500 Kilometer weit sollen sie fliegen können. Moskau liegt gut 1.700 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt.
US-Waffen als Booster der Friedensbewegung
Da werden schnell Erinnerungen an die späten 1970er-Jahre wach. Auch damals setzte sich ein sozialdemokratischer Bundeskanzler für die Stationierung von US-Waffen in der BRD ein, damals waren das Atomraketen. In der Folge entwickelte sich in sehr kurzer Zeit die deutsche Friedensbewegung in der BRD, die zu ihren Hochzeiten Hunderttausende Menschen auf die Straße brachte.
Aber neben den Großdemonstrationen wurde der Widerstand gegen die neuen Atomraketen auch ein kulturelles Kampffeld. Viele Konzerte unter dem Motto "Künstler für den Frieden" wurden damals organisiert. Über Musikgeschmack lässt sich bekanntlich streiten, aber Spuren hatte die Bewegung auf kulturellen Feld hinterlassen.
Auch auf politischen Gebiet gab es neben den Großdemonstrationen vielfältige Aktionen des zivilen Ungehorsams, die eben nicht nur die Stationierung neuer Raketen, sondern den Militarismus insgesamt in den Fokus zu nehmen. Doch zur Massenbewegung wurde die Friedensbewegung unstreitig durch ihre Konzentration auf die Verhinderung der atomaren Mittelstreckenraketen.
Aktiv gegen Atomtod: Es begann mit dem Krefelder Appell
Im Herbst 1980 trafen sich Menschen aus unterschiedlichen Spektren der Friedensbewegung und verfassten einen Text, der als Krefelder Appell millionenfach unterschrieben wurde. Er wird auch von Historikern heute als "eines der wirkungsvollsten Manifeste der westdeutschen Friedensbewegung" klassifiziert.
Seine zentrale Forderung war sehr einfach und schon in der Überschrift zu finden: "Der Atomtod bedroht uns alle. Keine Atomraketen in Europa".
Die Initiatoren stammten aus den Strukturen der bereits aktiven Friedensbewegung, wie dem Komitee für Frieden Abrüstung und Zusammenarbeit (Kofaz), das von seinen Kritikern wegen seiner Nähe zu den Kommunisten regelrecht denunziert wurde.
Die SPD begründete Parteiausschlüsse mit der Zusammenarbeit mit dem Komitee und die Unionsparteien stellten Anfragen an den Bundestag in Bonn über das durch "moskautreue Kommunisten" gelenkte Kofaz. Auch damals stand also für viele der Feind schon im Osten, hatte aber statt des Sankt-Georgs-Bandes noch den roten Stern als Symbol. Mit den Krefelder Appell und den folgenden Demonstrationen wurden die Thesen auf einmal in großen Teilen der Gesellschaft akzeptabel.
Konservative mussten Zusammenarbeit mit Linken rechtfertigen
Es war das erklärte Ziel des Krefelder Appells, möglichst viele Menschen hinter der Forderung "Keine neuen Atomraketen" zu versammeln. Man wollte bis weit ins konservative Spektrum vorstoßen. Tatsächlich wurde auch der Nationalpazifist Alfred Mechtersheimer als Redner auf Kundgebungen der Friedensbewegung gerne gesehen.
In den 1990er-Jahren war er dann eine wichtige Figur der extremen Rechten. In den 1980er-Jahren mussten sich Konservative und Rechte aber eher rechtfertigen, dass sie mit Kommunisten kooperierten, als umgekehrt.
Die Kritik, dass die Friedensbewegung rechtsoffen sei, kam hingegen nur selten. Doch es gab sie. Ein wichtiger Exponent war der Ideologiekritiker Wolfgang Pohrt, der zunächst befand, die deutsche Friedensbewegung verschaffe der linken und alternativen Bewegung in der BRD ein neues deutsches Heimatgefühl.
Seine Kritik wurde oft vorschnell als bloße Polemik abgetan. Tatsächlich aber wies Pohrt darauf hin, dass die Mobilisierung gegen die Atomraketen häufig mit der These begründet wurde, dass Deutschland in Ost und West das Opfer der Atomraketen der USA und der Sowjetunion wäre. Auf dieser Grundlage, so Pohrt, konnte sich die deutsche Bevölkerung in einer neuen Opferrolle sehen.
Ob die Kritik für den Krefelder Appell berechtigt war, ist fraglich. Denn viele linke Sozialdemokraten und noch mehr DKP-nahe Gruppen wollten in den 1980er Jahren keine neue Debatte über die deutsche Frage sondern forderten die Anerkennung der deutschen Zweistaatlichkeit.
Aber Pohrts Kritik trifft für den Teil der damaligen deutschen Friedensbewegung, die den Krefelder Appell wegen einer Nähe zu Kommunisten ablehnen. Sie formulierten eigene Aufrufe wie den Berliner Appell, in denen ganz offen eine offene "deutsche Frage" formuliert wurde.
Er wurde auch von Oppositionellen aus der DDR und anderen osteuropäischen Ländern unterzeichnet, stieß in der BRD aber ebenso bei kleinen nationalistischen Gruppen auf Zustimmung. Sie betrachteten als Erfolg, dass ihre These von der offenen deutschen Frage wieder neu diskutiert wurde.
Neue Raketen und die neue deutsche Opferrolle
Ist diese Diskussion nicht längst von der Geschichte überholt worden? Schließlich ist die Zweistaatlichkeit Vergangenheit. Deshalb ist aber die von Pohrt formulierte Kritik längst nicht überholt. Im Gegenteil. Deutschland ist heute im Weltmaßstab eine kapitalistische Mittelmacht und in der EU einer der führenden Staaten.
Beim Maidan-Umsturz 2014 in der Ukraine hatten deutsche Politiker offen die prodeutsche jetzt prowestliche Fraktion unterstützt. Doch das kommt in Deutschland auch bei denen selten zur Sprache, die die Politik der deutschen Kriegsfähigkeit nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine ablehnen.
So wird wieder eine deutsche Opferrolle konstruiert, in der Deutschland eben der Politik der USA und anderer Mächte ausgeliefert sei. Besonders die AfD und andere rechte Gruppen stricken an dieser nationalistischen Legende.
Diese Erzählung könnte sich nach den jüngsten Beschlüssen zur Raketenstationierung verstärken. Auf rechten Webseiten wird schon von Landesverrat geredet. Dagegen müssten einfach die Fakten zur Kenntnis genommen werden.
Es ist der deutsche Kanzler Olaf Scholz, der bei der US-Administration gedrängt hat, den Beschluss zur Raketenstationierung jetzt schnell zu unterzeichnen. Er fürchtet, bei den nächsten US-Wahlen könnte Donald Trump erneut Präsident werden und das Interesse eher auf China als auf Westeuropa richten – eine Tendenz, die in den USA auch unabhängig von Trump längst im Gange ist.
So gehört Scholz mit seinen Eintreten für neue Raketen zu der atlantischen Fraktion des deutschen Nationalismus, die ihre Interessen nur im Bündnis mit den USA glauben durchsetzen zu können. Ihnen gegenüber steht eine andere Fraktion, die in der Kooperation mit Russland glaubt, nationale Interessen besser durchsetzen zu können.
Die AfD ist heute parteipolitisch der Vertreter dieser Strömung. Sollte tatsächlich in den nächsten Wochen und Monaten eine neue deutsche Friedensbewegung entstehen, könnte diese Frontstellung noch ein Grund für Streit und Auseinandersetzungen werden.
Antimilitarismus ohne nationale Interessen
Dabei geht es eben nicht um die simple Frage für oder gegen die Nato. Es geht um unterschiedliche Vorstellungen von Interessen des deutschen Nationalismus. Viele Aktive auch in antimilitaristischen Gruppen verweigern sich hiereiner Zuordnung. Ihnen geht es um den Kampf gegen Aufrüstung Militarismus weltweit und nicht um Interessen dieser oder jener Nation.
Viele von ihnen haben ihre Anliegen bei den Demonstrationen und Kundgebungen der Friedensbewegung in den letzten Jahre nicht ausreichend vertreten gesehen. Manche haben andere Bündnisse aufgebaut, wie die Kampagne Rheinmetall Entwaffnen, die ihre Proteste direkt vor die Zentralen deutscher und internationaler Rüstungskonzerne trägt.
Da zeigt auch, dass das antimilitaristische Spektrum doch größer ist als bisher öffentlich wahrgenommen wird. Der 3. Oktober könnte in zweifacher Hinsicht trotzdem interessant sein. Bekommt die deutsche Friedensbewegung wieder Zulauf – und wenn ja mit welchen Losungen und Inhalten?
Der Autor hat 2022 das Buch "Nie wieder Krieg ohne uns – Deutschland und die Ukraine" mit Clemens Heni und Gerald Grüneklee herausgegeben.