Neuer Autoritarismus: Exempel Tunesien

Seite 3: Rückkehr zu alten Praktiken?

Aus ihrer Sicht hat die Partei derzeit allerdings handfeste Gründe zu Wut und Zorn. Am 31. Dezember 2021 wurde einer ihrer Spitzenfunktionäre, der 63-jährige Noureddine Bhiri, durch Zivilbeamte aus dem Auto gezerrt und verhaftet.

Er war Vizevorsitzender der Partei und steht ihrem Chef Rached Ghannouchi nahe. Die ersten Meldungen, die En-Nahdha dazu verbreitete, waren dramatisch: Bhiri werden an einem geheim gehaltenen Ort festgehalten, an dem – unter Kontrolle des Innenministeriums – bereits unter der Ben Ali-Diktatur politische Häftlinge festgehalten worden seien. Bhiri befinde sich "zwischen Leben und Tod", erklärte seine Ehefrau Saïda Akremi.

Noureddine Bhiri (2011). Bild: Parti Mouvement Ennahdha / CC-BY-2.0

Er befinde sich im Hungerstreik, und lebenswichtige Medikamente würden ihm verweigert, verlautbarte dazu, während das Justizministerium behauptete, er verweigerte ihre Einnahme. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und das Anti-Folter-Komitee der Vereinten Nationen schalteten sich ein, forderten Aufklärung oder gleich Bhiris Freilassung. Am 02. Januar 22 wurde Letzterer in ein Krankenhaus überführt.

Am 06. Januar wurde dann publik, es gebe eine Vereinbarung, derzufolge Bhiri akzeptierte, auf dem Infusionsweg behandelt zu werden. Ihm drohte sonst ein Versagen seiner geschwächten Nieren. Die Staatsanwaltschaft am zuständigen Gericht in Tunis ihrerseits beschwerte sich darüber, die Kriminalpolizei habe eigenmächtig gehandelt, statt ihr Bhiri sowie eventuelle Beweismittel gegen ihn unverzüglich zu überstellen.

Ein Berater Ghannouchis mit Namen Riadh Chaïbi erklärte seinerseits, die Staatsanwaltschaft habe zuvor eine Festnahme Bhiris abgelehnt, doch Staatschef Saïed persönlich habe ein Durchgreifen angeordnet.

Die En-Nahdha feindlich gesonnene tunesische Internetzeitung Kapitalis referiert die Information, nicht ohne hinzufügen, es sei – so behauptet sie jedenfalls – "schwer vorzustellen", dass Saïed sich "offen in Justizangelegenheiten einmischen" würde; vielleicht fehlt es ihr an dem Punkt auch nur gewollt an politischer Fantasie.

Vorgeworfen wird Bhiri konkret, einem syrischen Ehepaar, dem jihadistische Aktivitäten geworfen werden, einen tunesischen Pass über die Botschaft in Wien beschafft zu haben. En-Nahdha behauptet, dies sei im Einverständnis mit dem damaligen bürgerlichen Präsidenten Béji Caïd Essebsi geschehen, wohl um syrische Opponenten zu schützen.

Bhiri amtierte in den Jahren 2012/13 als Justizminister. In breiteren Kreisen wird er dafür kritisiert, Korruption und islamistische Einflussnahme in Justizkreisen begünstigt und Ermittlungen zu dem jihadistisch motivierten Mord an dem Abgeordneten Chokri Belaïd dauerhaft verschleppt zu haben. (Einige Monate nach ihm fiel im Juli 2013 auch der Abgeordnete Mohammed Brahmi einem vergleichbaren Mord zum Opfer, doch Bhiri hatte zu dem Zeitpunkt das Ministerium verlassen, behielt allerdings noch beträchtlichen Einfluss im Justizapparat.) Die aktuellen Vorwürfe stehen damit jedoch nicht im Zusammenhang.

Das internationale, in Paris ansässige Magazin Jeune Afrique erinnert daran, die gegen Bhiri angewandten Festnahmemethoden seien aufgrund hochgradig repressiver Gesetze aus der Ben Ali-Ära möglich gewesen – in zehn Jahren Regierungsbeteiligung habe En-Nahdha sich jedoch nie darum bekümmert gezeigt, an ihnen etwas zu ändern.

Hauptsache, es traf, aus ihrer Sicht, nicht die Falschen? So, jedenfalls, betreibt man keine Revolution.