Neues von der deutschen "Universitätshure"

Antisemitismus an Hochschulen: kein Problem. Antizionismus: keine Chance

Die alten Vordenker der Neuen Rechten – national oder konservativ gesinnte Philosophen, Literaten, Kulturkritiker – waren in Deutschland West nie out. Heutzutage sind sie anerkannter Traditionsbestand des kulturellen Erbes, gleichzeitig ein gewisser Problemfall, da sich rechtspopulistische bzw. -radikale Elemente unverschämterweise bei diesem Erbe bedienen.

Telepolis hat hier bereits in einigen Veröffentlichungen, festgemacht an Figuren wie Martin Heidegger oder Oswald Spengler, auf die neuere Diskurskultur mit ihrer Verschränkung von Abgrenzung und Vereinnahmung aufmerksam gemacht ("Was sein muss, muss sein").

Dabei ist der Fall Heidegger besonders prominent, gilt er doch im akademischen Betrieb als der vielleicht "dornigste in der Geschichte der Philosophie" (so das Philosophie-Magazin). "Zweifellos" war der Mann "ein Nazi", heißt es dann – das aber nur als Auftakt dazu, letztlich die Größe seines Denkens zu feiern und ihn mitsamt seinem metaphysischen Antisemitismus als wertvollen Besitzstand der Philosophiegeschichte zu würdigen.

Im akademischen Betrieb: voll integriert

So gibt es, alles in allem, eine Kontinuität seit 1933, als Universitätsrektor Professor Heidegger in seiner berühmten Freiburger Antrittsrede den Anbruch der Naziherrschaft als Einlösung seiner philosophischen Blütenträume begrüßte – und als der emigrierte Philosoph Ernst Bloch in "Erbschaft dieser Zeit" kommentierte: Natürlich habe Hitler wie Wilhelm II. zum Kriegsbeginn 1914 sofort "die Universitätshure" gefunden, "die den Kitsch latinisiert und den Betrug mit Finessen à la Schmitt oder Freyer oder Heidegger verbessert".

Wie die aktuelle Würdigung des Philosophie-Magazins vorführt, soll aber die Tatsache, dass der "heimliche König" (Hannah Arendt) im Reich der Philosophie ebenfalls seinen festen Platz im Dritten Reich hatte und sich von seiner Befürwortung des NS-Aufbruchs auch später nie distanzierte, sofort weiteres Fragen notwendig machen: danach, ob nicht beide Rollen nur zufällig korrespondierten, ob nicht das eine vom anderen unabhängig war?

Das führt dann zu dem Fazit, man solle sich in diesem Fall trotz alledem – auch wenn man sich der leidigen Nazi-Angelegenheit bewusst ist – "an der Kraft einer Philosophie erfreuen, die uns einlädt, die Geschichte der Metaphysik neu zu überdenken".

Im deutschen Wissenschafts- und Kulturbetrieb ist mittlerweile klargestellt, dass Heidegger ein bekennender Faschist war. Seit Ende des 20. Jahrhunderts werden die einschlägigen Dokumente veröffentlicht, die diese Haltung belegen ("Sein zum Faschismus").

So hat sich der hiesige Modus der Reinwaschung etwas geändert. Wurde die faschistische Einstellung des Philosophen früher ignoriert, dann als biographisches Randproblem abgetan, so muss heute zuerst eine explizite Trennung von Person und Werk vorgenommen werden, um Letzteres dann hochleben zu lassen.

Im Endeffekt hat das aber für die akademische Rolle dieses Meisterphilosophen keine negativen Auswirkungen. Der Historiker Jan Eike Dunkhase hat 2017 in einem Literaturbericht zum neuesten Stand der fachlichen Debatte nach der Veröffentlichung von Heideggers "Schwarzen Heften" (die noch einmal den genuinen, nie revidierten Standpunkt einer NS-Philosophie verdeutlichten) festgehalten: Während die schwäbische Deutschtümelei "noch als regionale Schrulle zu bewerten ist, bewegen sich Heideggers Stellungnahmen zum Judentum, zu den Juden, zum 'Jüdischen' in einer anderen Dimension (...) da können nur Unbeirrbare Antisemitismus in Abrede stellen."

In Abrede stellt der Autor dann aber, dass Heidegger damit ein erledigter Fall ist. Er resümiert vielmehr etliche konstruktive akademische Diskurse und Tagungen, begrüßt zum Beispiel bei einem Sammelband, dass "eine nachdenkliche Stimme am Ende steht, die daran gemahnt, dass die 'Schwarzen Hefte', mehr noch als andere Texte Heideggers, 'von einer schillernden Mehrdeutigkeit und von teils kaum auflösbaren Spannungen durchzogen' sind".

Dunkhase findet Ansätze hilfreich, die "Heideggers 'Judenkritik' im Kontext seiner Zivilisationskritik relativieren, um letztere als zeitgemäße Globalisierungskritik zu retten". Er registriert auch anhand einschlägiger Analysen "mit Erleichterung, dass Heidegger wohl 'in seinem persönlichen Verkehr mit echten Jüdinnen und Juden weitgehend von handgreiflicher Angriffslust freizusprechen' sei".

Der Professor hatte sogar, wie man weiß, eine Liebschaft mit einer "echten" Jüdin (was übrigens auch bei KZ-Wächtern vorgekommen sein soll), wobei der Freispruch mit der Einschränkung "weitgehend" genial diplomatisch formuliert ist.

Letztlich gelangt die Übersicht zu der rettenden, von Jürgen Habermas 1953 aufgebrachten Formel "Mit Heidegger gegen Heidegger denken" und zu dem befriedigenden Endresultat, dass mittlerweile im Philosophiebetrieb – nach der medialen Aufregung angesichts der letzten Enthüllungen – "der allgemeine Erregungsgrad vergleichsweise niedrig" ist.

Heideggers neue Aktualität

Das gilt, obwohl in jüngster Zeit, mit dem Erstarken der AfD und verwandter Strömungen, ein neues Moment hinzugekommen ist: Heidegger wird immer deutlicher zur Berufungsinstanz des modernen Rechtsradikalismus. "Die Beschäftigung mit Heidegger in den Medien und auf den Foren der Neuen Rechten ist umfassend und intensiv", hieß es etwa 2018 bei Klaus-Peter Hufer in einer einschlägigen Bestandsaufnahme.

"Was macht Heideggers Denken so attraktiv für die antidemokratische Rechte?", fragte 2020 der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik und kam zu dem Schluss, dass Heideggers frühes Jahrhundertwerk, das 1927 erschienene, als Markstein der Existenzphilosophie hochgelobte Buch "Sein und Zeit", auch als "Inbegriff einer völkischen Philosophie gelten" dürfte.

Einen solchen Angriff auf Heideggers Philosophie selber, also auf die Sache, für die der Mann als Erstes steht und für die er sich – über die verschiedenen Regime hinweg – ein Leben lang engagiert hat, findet man sonst kaum. Explizit vertreten und in deutschen Universitäten bekannt gemacht hat eine solche Kritik die damalige Marxistische Gruppe (MG), die 1988 ihre Schrift "Martin Heidegger – Der konsequenteste Philosoph des 20. Jahrhunderts – Faschist" vorlegte.

Diese ist Ende 2020 in einer aktualisierten Neuausgabe wieder aufgelegt worden. Sie deckt sich aber nur scheinbar mit dem, was neuerdings an kritischen Einschätzungen kursiert. Deren Schwäche zeigt sich exemplarisch an dem Projekt Gegneranalyse, aus dem die Publikation "Das alte Denken der Neuen Rechten" von Ralf Fücks und Christoph Becker hervorgegangen ist ("Adenauers Geist im Dunstkreis der Grünen").

Der (Ex-)Grüne Brumlik, der hier den Heidegger-Part übernommen hat, hält zwar fest, dass der berüchtigte § 74 von "Sein und Zeit" völkische Philosophie in Reinform ist, wiederholt aber letztlich in bester neudeutscher Tradition die bekannte Würdigung Heideggers und spricht den von ihm erklommenen philosophischen Höhen die Anerkennung aus.

An seiner "Bedeutung für die Philosophie des 20. Jahrhunderts (dürfte) weder sein Eintreten für Hitler noch seine zuletzt unübersehbar gewordene antisemitische Haltung etwas ändern", heißt das Fazit. Der ganze Aufwand landet also wieder da, wo man im Adenauerstaat war: Wer wie Heidegger "uralte Fragen der abendländischen Philosophie" aufgreift, hat uns heute - Faschismus hin oder her - immer noch viel zu sagen.

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