Neustart abgebrochen
Die UN-Menschenrechtskommission hat ihre Jahressitzung nach der Eröffnung gleich wieder vertagt. Die USA blockieren die Reform des Gremiums, und auch von NGOs kommt deutliche Kritik
Wer anderen beistehen will, sich aber selbst nicht helfen kann, gibt in aller Regel eine unglückliche Figur ab. Das gilt auch und ganz besonders für die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen, die seit mehr als einem halben Jahrhundert das hehre Ziel verfolgt, die Einhaltung der Menschenrechte weltweit zu überwachen und Verstöße öffentlich anzuprangern. Dass dieses Vorhaben nur sehr bedingt umgesetzt werden kann, wenn Regierungen, die für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, in der Kommission Einfluss, Sitz und Stimme haben, ist selbst den Teilnehmern im Laufe der Jahrzehnte immer deutlicher geworden (Menschenrechte und politische Rücksichten)I.
Als ausgerechnet die libysche Botschafterin Najat Al-Hajjaji 2003 den Vorsitz des Gremiums übernahm, war das Ende der Glaubwürdigkeit erreicht. Zahlreiche Menschenrechts- und Nicht-Regierungsorganisationen protestierten gegen die Selbstaufgabe einer zentralen Kontrollinstanz der Vereinten Nationen und sorgten mit unmissverständlichen Stellungnahmen, wie sie etwa die internationale Sektion von „Reporter ohne Grenzen“ unter dem Titel Wheeling and dealing, incompetence and 'non-action' publizierte, für eben die Öffentlichkeit, welche die Kommission lange Zeit vermissen ließ. Dabei ging es nicht einmal darum, sie mit mehr Kompetenzen auszustatten, sondern schlicht um die Wahrnehmung ihrer ursprünglichen Aufgaben.
Seit die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform nicht mehr ignoriert werden kann, wird auf höchster politischer und diplomatischer Ebene nun über eine Ablösung der Menschenrechtskommission diskutiert (Kritik am Missbrauch der Menschenrechte). An ihrer Stelle könnte ein Menschenrechtsrat für einen „Neustart im Kampf gegen Folter, Unterdrückung und Beschneidung der Grundfreiheiten“ sorgen, meint der Schwede Jan Eliasson, der als Präsident der UN-Vollversammlung Ende Februar ein entsprechendes Konzept vorlegte. Demnach würde sich ein neu zu konstituierender Menschenrechtsrat aus 47 Mitgliedern zusammensetzen, die für drei Jahre von der Vollversammlung der Vereinten Nationen mit absoluter Mehrheit gewählt werden. Afrika und Asien wären mit je 13 Sitzen vertreten, Lateinamerika bekäme acht, Westeuropa und Nordamerika sieben und Osteuropa sechs Sitze. Der Rat soll sich – anders als die Menschenrechtskommission, die nur einmal im Jahr zusammentritt – innerhalb von 12 Monaten gleich drei Mal treffen, außerdem sieht Eliassons Entwurf die Möglichkeit vor, ein Land, das offenkundig selbst gegen die Menschenrechte verstößt, mit einer Zweidrittelmehrheit der Vollversammlung wieder aus dem Rat auszuschließen.
Für viele Menschenrechtsorganisationen geht der Vorstoß des Schweden nicht weit genug, obwohl über 30 von ihnen mit der Gründung des Rates grundsätzlich einverstanden sind. Reporter ohne Grenzen kritisiert gleichwohl die Sitzverteilung, die Asien und Osteuropa begünstigt und Ländern wie China und Pakistan de facto eine feste Mitgliedschaft garantiert. Nach Einschätzung der Organisation bekommen aber auch „notorische Menschenrechtsverletzer“ wie Burma, Iran, Laos, die Malediven, Nepal, Nordkorea, Russland, Saudi Arabien, Syrien, Turkmenistan, Usbekistan, Vietnam und Weißrussland noch bessere Möglichkeiten als bisher, sich im Kreis der internationalen Saubermänner zu präsentieren. Außerdem kritisiert „Reporter ohne Grenzen“, dass die Religionsfreiheit gegenüber anderen Menschenrechten offenbar bevorzugt wird. Die Aufforderung an die Medien, für Respekt gegenüber Glauben und Religionen zu werben, ähnle den Mediengesetzen in muslimischen Ländern, die es mit der Pressefreiheit nicht allzu genau nähmen.
Auch amnesty international ist von den schnell überschaubaren Fortschritten, die derzeit mit einer Abschaffung der Menschenrechtskommission zugunsten eines Menschenrechtsrats verbunden wären, nicht begeistert. In einer aktuellen Stellungnahme moniert die deutsche Generalsekretärin Barbara Lochbihler, dass der Entwurf Schwächen habe, und nicht in der Lage sei, die hohen Erwartungen, die einst mit den Reform-Vorschlägen von UNO-Generalsekretär Kofi Annan verbunden waren, einzulösen. Von der Vision, ein Menschenrechtsrat könne neben dem Sicherheitsrat und dem Wirtschafts- und Sozialrat die dritte Säule der Vereinten Nationen bilden, müsse man sich also vorerst verabschieden. Trotzdem sind Lochbihler kleine Weiterentwicklungen lieber als der Beibehaltung des Status quo.
Doch es gibt vorerst keine Alternative, denn es wäre illusorisch zu hoffen, zum jetzigen Zeitpunkt wäre eine weitergehende Resolution erreichbar. Umso wichtiger ist es also, die sich nun bietende Chance nicht zu verpassen. Die UN kann einen Menschenrechtsrat auf den Weg bringen, der ein klares Mandat hat, alle Menschenrechtsverletzungen zu behandeln, der häufiger tagt als die Menschenrechtskommission, der auf akute Menschenrechtskrisen schneller reagieren kann, der kein Mitglied von der regelmäßigen Überprüfung seiner Menschenrechtsbilanz ausnimmt.
Barbara Lochbihler
Die USA sehen das anders. Obwohl aus den Reihen der amerikanischen Delegation kaum zielführende Vorschläge für eine Reform der Menschenrechtskommission kamen, meldete Botschafter John Bolton sofort Protest an, als die Vorschläge von Jan Eliasson auf dem Tisch lagen. Die USA wollen die von ihnen als Schurkenstaaten bezeichneten Länder aus dem neuen Menschenrechtsrat ausschließen und verlangen, dass dessen Mitglieder von der UN-Vollversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit gewählt werden müssen und die Vetomächte des Weltsicherheitsrates automatisch einen Sitz bekommen.
Der Versuch, das Gremium am Freitag letzter Woche ins Leben zu rufen, scheiterte folgerichtig ebenso wie die termingerechte Durchführung der 62. und vermeintlich letzten Jahrestagung der Menschenrechtskommission. Sie wurde am Montag in Genf eröffnet und sofort auf den 20. März vertagt. Kommissionschef Manuel Rodriguez Cuadros begründete die eigenwillige Maßnahme mit den „außergewöhnlichen Umständen“, die einer endgültigen Beschlussfassung im Weg standen.
Wenn die Vereinigten Staaten weiterhin keine Verhandlungsbereitschaft zeigen, könnte sich die Regierung Bush allerdings einmal mehr ins internationale Abseits manövrieren. Die Gefahr, dass ausgerechnet der Menschenrechtsrat diversen Unrechtsstaaten eine Art offizieller Rückendeckung gibt, ist zwar nicht von der Hand zu weisen. Andererseits haben die USA keinen überzeugenden Grund, sich als alleinige Sachwalter von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten zu fühlen. Schließlich werden sie selbst seit vielen Jahren wegen schwerer Verstöße gegen dieselben kritisiert und von der UN-Kommission gerade offiziell zur Schließung ihres Gefangenenlagers auf Guantanamo aufgefordert (Schluss mit Guantanamo).
Sollte sich in den kommenden Tagen noch ein Kompromiss finden lassen, werden die Effektivität und die Glaubwürdigkeit des neuen Gremiums aber ohnehin nicht allein von seiner Zusammensetzung abhängen. Die Ausschlussklausel, die Eliasson vorgeschlagen hat, könnte ein probates Mittel sein, um Fehlbesetzungen zu verhindern oder nachträglich zu korrigieren. Es geht aber um mehr. Im Mittelpunkt steht der effektive Schutz der Menschenrechte, und den Menschen, die diesen Schutz brauchen, dürfte es gleichgültig sein, ob sich ein Rat oder eine Kommission um sie kümmert.
Die alte Menschenrechtskommission hat ihre Glaubwürdigkeit nicht durch die formalen Kriterien verloren, sondern durch den Unwillen vieler Mitgliedsstaaten, sich ernsthaft mit Menschenrechtsverletzungen in allen Ländern auseinander zu setzen. Auch für das neue Gremium gilt: Nicht von der Geschäftsordnung, sondern in erster Linie vom politischen Willen der Staaten wird es abhängen, ob sich die Reformanstrengungen gelohnt haben. Schon im ersten Jahr – denn dann steht unter anderem die Überprüfung der Mandate der Sonderberichterstatter zur Diskussion.
Barbara Lochbihler