Neuwahlen in Großbritannien

Theresa May. Foto: Chatham House. Lizenz: CC BY 2.0

Theresa May will die Gunst der Stunde nutzen und sich für die Brexit-Verhandlungen eine bequemere Mehrheit sichern

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Die britische Premierministerin Theresa May hat heute bekannt gegeben, dass sie nicht erst 2020, sondern schon am 8. Juni ein neues Unterhaus wählen lassen will. Die Ankündigung überraschte, weil es bei den Debatten um den offiziellen Brexit-Antrag vor Ostern hieß, vorgezogene Neuwahlen seien nicht vorgesehen. Morgen soll das Unterhaus Mays Neuwahlantrag genehmigen. Kommt die dafür nötige Zweidrittelmehrheit nicht zustande, müsste sie den Umweg über einen Misstrauensantrag gehen. Die oppositionelle Labour Party hatte in der Vergangenheit jedoch verlautbart, sie werde vorgezogene Neuwahlen unterstützen.

Offizielle Begründung für die vorgezogenen Neuwahlen sind die Verhandlungen über einen Austritt aus der EU, deren Ergebnis das Parlament genehmigen muss. May hätte hier gerne eine bequemere Mehrheit. Dass sie die bekommt, ist bei einem Umfragevorsprung von aktuell 21 Punkten sehr wahrscheinlich: Einer von der Times in Auftrag gegebenen YouGov-Erhebung nach würden aktuell 44 Prozent für Mays Konservative und nur 23 Prozent für Labour stimmen. Vor einem Jahr führte in der entsprechenden Erhebung noch Labour - mit 33 zu 30 Prozent.

Desolate Labour Party

Dass sich die Labour Party in der Opposition nur temporär regenerieren konnte und danach weiter abstürzte, liegt einerseits am Erbe des Irakkriegers Tony Blair, der der Partei noch viel Personal hinterließ, andererseits aber auch an ihrem aktuellen Vorsitzenden Jeremy Corbyn, von dem die Briten einen zwiespältigen Eindruck haben: Wenn es um Glaubwürdigkeit geht, erzielt er bessere Werte als andere Politiker. Fragt man jedoch, wer während einer Krise das Land führen sollte, entscheiden sich nur wenige Briten für ihn.

Dass er hier so schlechte Werte erzielt, liegt unter anderem an seinem "Chamberlainismus" - seiner Bereitschaft mit terroristischen Gegnern wie der IRA, der Hamas oder der Hisbollah zu verhandeln. Auch seine grundsätzliche Bereitwilligkeit, einen Anschluss von Nordirland an Irland zuzulassen, und die Falkland-Inseln - entgegen dem erklärten Willen der Bewohner - gemeinsam mit Argentinien zu verwalten, kommen beim Wähler nicht gut an. Andere eher nicht mehrheitsfähige Positionen sind sein Glaube an Homöopathie, seine inhaltliche Nähe zu den britischen Grünen und die Meinung, dass die deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Migrationskrise alles richtig gemacht hätte (vgl. Brexit: Nach der letzten Debatte und vor der Abstimmung).

UKIP noch zerstrittener als Labour

Die UKIP, die das Ziel ausgab, die neue Arbeiterpartei zu werden, hat nach dem Abgang von Nigel Farage das Kunststück fertig gebracht, noch zerstrittener zu sein als Labour und halbierte ihre Umfragewerte von 20 auf jetzt zehn Prozent, mit denen sie im britischen Mehrheitswahlrecht kaum Chancen hat, an Sitze zu kommen. Im Europaparlament griffen sich die UKIP-Mitglieder körperlich an - und auf Twitter beschimpfen sie sich derart, dass das Spektakel teilweise unterhaltsamer ist als die Krawall-Kochshow des schottischen Gourmet-Rumpelstilzchens Gordon Ramsay.

In Schottland könnte die regierende Regionalpartei SNP, die bei der letzten Westminster-Parlamentswahl 2015 56 der 59 Parlamentssitze gewann, einige davon verlieren, wenn man die Ergebnisse der Regionalparlamentswahl im letzten Jahr als Indiz nimmt: Dort büßte sie ihre absolute Mehrheit ein, während die Tories unter der offen homosexuellen Spitzenkandidatin Ruth Davidson von 16 auf 31 Sitze zulegten und wieder zweitstärkste Partei wurden (vgl. Regionalwahlen UK: Labour auch unter Corbyn erfolglos).

In Nordirland, wo der zuständige Minister James Brokenshire unlängst zum zweiten Mal die Frist für eine Regionalregierungsbildung verlängerte, nachdem sich die protestantische DUP und die katholische Sinn Féin nicht einigen konnten, könnte man mit den Westminster-Parlamentswahlen am 8. Juni gleich neue Regionalwahlen ansetzen.

Mögliche Auswirkungen auf die Brexit-Verhandlungen

Gewinnt May die von ihr angestrebte deutlichere Parlamentsmehrheit, kann sie bei den Brexit-Verhandlungen selbstbewusster auftreten, weil sie dann keine Premierministerin mehr ist, die 2015 gar nicht auf den Wahlzetteln stand, sondern eine, die mit einem Auftrag des Volkes ausgestattet wurde. Verliert sie die Wahl, könnte eine Labour-Regierung aber auch den Brexit blockieren bzw. so gestalten, dass er nur bedingt ein Ausstieg aus der EU wird - oder ein neues Referendum ansetzen.

Dass es dazu kommt, ist jedoch - wie bereits ausgeführt - nicht sehr wahrscheinlich. Eine offene Frage ist jedoch, wie im April und Mai die Präsidentschaftswahlen in Frankreich ausgehen - und wem sie in Großbritannien Schwung verleihen: In den Umfragen führt derzeit der Ex-Banker und Soros-Schützling Emmanuel Macron mit 23 bis 24 Prozent (vgl. Macron, Lichtgestalt und Retter ohne Programm) vor der Front-National-Kandidatin Marine Le Pen mit 22 bis 23 Prozent, dem Thatcheristen François Fillon mit 19 bis 20 Prozent und dem Linksnationalisten Jean-Luc Mélenchon mit 18 bis 19 Prozent, weshalb es sehr wahrscheinlich zu einer Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen im ersten Wahlgang kommen wird.

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