Nichtakademikerkinder: Gefangen im Bildungs-Trichter

Seite 2: Soziale Selektion kritisiert

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Beleuchtet werden im Report vor allem die Bildungschancen von Nichtakademikerkindern im Vergleich zu Akademikerkindern, beides in sich durchaus recht heterogene Einheiten. Hierzu weist der Report aus, wie hoch der Anteil dieser Gruppe (als Kohorte) auf verschiedenen Stufen des Bildungssystem ist. Im Ergebnis werden sich unterschiedlich stark verengende "Bildungs-Trichter" erkennbar: Von 100 Nichtakademikerkindern sind 21 Studienanfänger (Stand 2007 - 09), 15 Bachelorabsolventen (2012), 8 Masterabsolventen (2014) und 1 Promotionsabsolvent (2014). Von 100 Akademikerkindern fangen 74 ein Studium an, 63 sind Bachelorabsolventen, 45 Masterabsolventen, 10 schreiben eine Doktorarbeit.

Genannt werden für die "eingeschränkte Chancengerechtigkeit" verschiedene Gründe. Neben Leistungsunterschieden der Gruppen sind dies durch Sozialisationsprozesse geprägte "Selbstbilder und Selbstwahrnehmungen", finanzielle Rahmenbedingungen, ein "Informationsproblem", aber auch verschieden hohe Studien-Abbruchquoten. Als Fazit fordert der Report, "soziale (Selbst-)Selektion" sei zu "vermeiden".

Beispielsweise könne die Verbesserung der Möglichkeiten des Teilzeitstudiums in Masterstudiengängen als eine Form der "Ermöglichung eines Studiums mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten" ein geeigneter Ansatzpunkt sein, um die Neigung insbesondere von Nichtakademikerkindern, sich fortzubilden, zu fördern. Ebenso sei "eine generell stärkere Berücksichtigung der Diversität und der unterschiedlichen (beruflichen) Vorerfahrungen anzustreben". So mache zum Beispiel die Gruppe der über 30-jährigen Studierenden mittlerweile über 10 Prozent aus. Diese Gruppe habe häufiger bereits Kinder und Berufserfahrung vor dem Studium. Darüber hinaus könnte auch ein größeres Angebot berufsbegleitender Masterstudiengänge Studierende aus Nichtakademikerfamilien motivieren, nach dem Bachelor weiter zu studieren, weil sie sich nicht zwischen einem Studium oder einem sicheren Arbeitsplatz entscheiden müssen.

Zauberwort "Chancengerechtigkeit"

Die eingeklagte größere "Chancengerechtigkeit" wird im Report nicht im Detail konkretisiert. Sie wäre auf der theoretischen Ebene, möchte man meinen, optimal verwirklicht, wenn von jeweils 100 Erstklässlern aus akademischen und nichtakademischen Elternhäusern ein in etwa gleich hoher Anteil ein Studium absolvierte. Ein unverändertes Potenzial an Studienplätzen unterstellt, müsste dann allerdings ein größerer Anteil an Akademikerkindern nicht-akademische Berufslaufbahnen einschlagen, um sozusagen Plätze für die Gegengruppe frei zu machen.

Alternativ schiene es auch "fair", wenn von jeweils 100 Nichtakademikerkindern in den Grundschulen ein gleich hoher Prozentsatz an den Unis landete wie derzeit von 100 Akademikerkindern der ersten Klassen, momentan also 74. Dazu würden aber deutlich mehr Studienplätze benötigt. Nach diesem Modell würden dann drei Viertel aller Jugendlichen eines Jahrgangs ein Studium beginnen, über 60 Prozent einen Bachelorabschluss und 45 Prozent einen Mastertitel erwerben. Unter dem Strich stiege so der Akademisierungsgrad in den Jahrgängen, damit der Gesamtgesellschaft, auf längere Sicht an.

Eine Entwicklung, die Julian Nida-Rümelin, früherer sozialdemokratischer Kulturstaatsminister, 2013 in der F.A.Z. als "Akademisierungswahn" brandmarkte. Für ihn sei wichtig, "dass eine hochwertige Berufsausbildung weiter im dualen System erfolgt. Das kann aber nur funktionieren, wenn die Mehrzahl eines Jahrgangs weiter in die berufliche Lehre geht, nicht eine kleine Minderheit." Nida-Rümelins Denkansatz wurde in der Folge viel diskutiert, unter anderem auf dem 10. Hochschulforum Sylt 2016.

Auch im SciLogs-Wissenschaftsblog , in dem René Krempkow, Stabsstelle Qualitätsmanagement an der Humboldt-Universität Berlin, den Hochschul-Report vorstellt, fragt ein Kommentator, ob es nicht sein könne, "dass viel zu viele Leute aus Akademikerfamilien studieren, obwohl sie eigentlich in einer Ausbildung genauso gut oder besser aufgehoben wären?" Auch werden "dringend mehr Auszubildende gesucht. Warum sollte man noch mehr Leute an die Unis bringen wollen?"

Krempkow schließt nicht aus, dass ein Teil der Studenten aus Akademikerfamilien mit einer Ausbildung genauso gut oder besser zurechtkämen. Klar sei aber, dass die Förderung im familiären und schulischen Umfeld sehr viel ausmachen könne. Er stimme nicht zu, dass generell viel zu viele Leute studieren. Erstens sei es "erklärtes bildungspolitisches Ziel, allen, die die Zugangsvoraussetzungen erfüllen, grundsätzlich ein Studium zu ermöglichen". Zweitens "haben die Unternehmen viele Möglichkeiten, berufliche Ausbildungen attraktiver zu machen ... Wenn der Mangel wirklich weh tut und gar noch größer würde, werden berufliche Ausbildungen auch (wieder) deutlich attraktiver werden (müssen)".

So oder so ist der Titel des Hochschul-Bildungs-Reports "Höhere Chancen durch Höhere Bildung?" wohl zu Recht mit einem Fragezeichen versehen. Höhere Bildung, per se fraglos ein wertvolles Gut, setzt sich ja nur dann in höhere (Berufs-)Chancen um, wenn der Arbeitsmarkt entsprechend strukturiert ist, das heißt überhaupt genügend qualifizierte Job-Angebote bereithält. 1