Nieder mit dem Doping-Pranger!

Seite 2: Reaktionen auf den Regelbruch beim Doping

Es klang in den beiden vorherigen Abschnitten schon an: Wo es Regeln gibt und Regelbrüche beobachtet werden können, gibt es auch Reaktionen darauf. Diese Reaktionen umfassen sowohl direkte Äußerungen, die als moralische Wertungen direkt Bezug nehmen; sie umfassen aber auch institutionelle Reaktionen und für diese geschaffene Institutionen der Überwachung, Kontrolle und Sanktionieren der Brüche und Abweichungen.

Typische entsprechende Institutionen sind die Polizei, die Strafverfolgungsbehörden und Gerichtsbarkeiten. Diese sind mit besonderen Rechten ausgestattet, die es ihnen erlauben, auch gegen den erklärten Willen von Personen, diese Kontrollen durchzuführen, Gewalt anzuwenden, mithin staatliche Macht auszuüben.

Das betrifft hier vor allem den Bereich des Strafrechts im weitesten Sinn. Innerhalb des Sports gibt es keine ähnliche Institution, die über eine solche Macht verfügt, außer ebendiesen staatlichen Stellen. Und auch wenn der Sport immer wieder auf seine Unabhängigkeit verweist, so steht er nicht außerhalb des Rechts der ihn umgebenden Gesellschaft – wobei der Umgang mit abweichendem Verhalten, etwa bei sexualisiertem Missbrauch, einen anderen Anschein erweckt.

Dort möchte der Sport am liebsten alles immer selbst aufklären und sträubt sich vehement gegen Kontrollen "von außen". Das gilt in ähnlichem Maße auch für das Doping. Das wäre ein Grund, das Anti-Doping-Gesetz von 2015 als einen wichtigen Schritt zur Normalisierung von Kontrolle im Sport anzusehen. Dass es so einfach nicht ist, habe ich an anderer Stelle dargelegt.1

Eine wichtige Reaktion gegen die Einnahme unerlaubter Mittel im Sport sind die Urin- und Blutkontrollen in Training und Wettkampfsituationen. Diese existieren lange, haben aber erst mit der Einführung eines digitalen Systems eine strukturierte Form angenommen, die weit über die eigentlichen Kontrollen von Substanzen im Körper hinausgehen.

Mit dem Adams, dem Anti-Doping Administration and Management System, einem so genannten Whereabout-System, werden die Kontrollen an den Sportler:innen (in Deutschland2) gemanagt.

So ist es dazu nötig, dass die Athlet:innen ihre Aufenthalte eintragen, eingenommene Medikamente, mögliche Krankheiten, die zu Ausnahmen bei der Wirkstoffeinnahme führen könnten und einiges mehr. Wie genau und in welchem Zeitraum diese Daten angegeben werden müssen, richtet sich nach der Sportdisziplin.

Diese sind in Kategorien eingeordnet, die etwas über die Anfälligkeit für Doping aussagen. Athlet:innen werden also entsprechend diesen Kategorien behandelt und kontrolliert. Für eine kriminologische Betrachtung sind diese und ähnliche System, zudem das Anti-Doping-Gesetz von ebenso großem Interesse wie der Regelbruch selbst.

Auch wenn die Kontrollen als logische Folge des ursprünglichen Regelbruchs und des vorhergehenden Einverständnisses mit einer solchen Norm gesehen werden können, so sind sie weder alternativlos noch das zwingende Resultat der Entwicklung. Zu erforschen wäre, wie über solche Institutionen und Systeme Kontrolle ausgeübt wird und ob es sich dabei um verhältnismäßige Maßnahmen handelt. Warum sind diese sozio-technischen Systeme so ausgestaltet, wie sie es sind, wie werden sie legitimiert, wie wird mit Ihnen gearbeitet?

Insbesondere von Interesse ist, ob die den Regeln zugrunde liegenden Werte des Sports, so ungenau und unscharf diese auch sind, in irgendeiner Weise mit den Kontrollsystemen geschützt werden – oder ob sich hier neue Dilemmata ergeben, die nun z.B. Athlet:innen ungleich behandeln oder andere ebenfalls schützenswerte Rechte einschränken oder verletzen.

Es bedarf einer kritischen Auseinandersetzung mit diesen Reaktionen auf den Regelbruch der Einnahme unerlaubter leistungssteigernder Mittel; nicht zuletzt, um zu verstehen, wie die Regeln mithilfe sozio-technischer Systeme zu etwas gemacht werden, das nicht mehr hinterfragt werden kann oder darf.

Gerade da es beim Doping um ein hochmoralisches Phänomen geht, in dem sportliche Fairness, ein Wert, der über den Sport selbst hinauswirkt, zur Disposition steht, ist es wichtig, dass die Dynamik einer solchen Konstruktion verstanden wird.

Kontrollsysteme sind nie die logische Folge aus sich selbst ergebenden Normen und moralisch unzweifelhaften Annahmen, sie können sowohl missbraucht werden, also auch in sich selbst unfair sein – z.B. durch Ineffizienz, Unverhältnismäßigkeit oder willkürliche Anwendung.

Doping in allen seinen Facetten zu betrachten – von den Regeln, dem Regelbruch und der Regel- bzw. der Abweichungskontrolle – ist wichtig, um ein reflektiertes und umfassendes Verständnis von dem Phänomen zu bekommen. Doping zu skandalisieren, Doper:innen an den Pranger zu stellen und eine Diskussion über mögliche Probleme und Ungerechtigkeiten der Kontrollen mit dem Verweis auf das Gute im Sport und das per se Schlechte des Dopings abzuwehren, kann kein guter Umgang mit dem sozialen Phänomen sein. Damit wird weder dem Sport noch seine Protagonist:innen geholfen.

Und deswegen gehört ein kritischer Vortrag über das Kontrollsystem auch zu einem Anti-Doping-Tag eines Sportverbandes und eine kritische Betrachtung von Sport und Leistungssteigerung und ihrer institutionellen Bedingungen zwingend als deren Begleiter dazu. Die Kriminologie kann diese umfassende Analyse mit dem Blick auf alle wichtigen Bereiche bieten.