"Nieder mit dem Volksverräter - Er hat das M-Wort gesagt!"
Seite 2: Ein heißes Eisen für griechische Regierungen
- "Nieder mit dem Volksverräter - Er hat das M-Wort gesagt!"
- Ein heißes Eisen für griechische Regierungen
- Die Legende von Alexander dem Großen als Slawen
- Die EU und die NATO
- Wieder ein Volksentscheid?
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Wie es dazu kam? Auch das ist das Ergebnis einer Kette von unterlassener Handlungen griechischer Regierungschefs. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde aus einem Großteil der Region Vardarska banovina der jugoslawische Bundestaat Mazedonien. Josip Broz, gemeinhin als Tito bekannt, hatte sich mit dem sowjetischen Herrscher Stalin überworfen und war somit trotz seiner kommunistischen Gesinnung als Anführer der blockfreien Staaten ein wichtiger Faktor für das Nordatlantische Verteidigungsbündnis.
Die Griechen waren zur gleichen Zeit von einem Bürgerkrieg zwischen der kommunistisch kontrollierten Befreiungstruppe der Partisanen und der dem Westen zugeneigten, mit früheren Nazi-Kollaborateuren verstärkten Königstreuen erschüttert. Sie protestierten nicht oder nur unzureichend gegen die Namensgebung des jugoslawischen Bundeslandes. Schließlich hatte Tito nach seinem Bruch mit Stalin die Grenzen für die kommunistischen Partisanen geschlossen und sie somit den danach siegreichen Konservativen ausgeliefert. Auf der anderen Seite der Medaille war den Partisanen die Benennung des Bundeslands so lange egal, so lange Tito ihnen ein Rückzugsgebiet lieferte.
Heute, mehr als siebzig Jahre nach dem letzten Weltkrieg, tendiert die Zahl jener, die nicht mit dem Nationalbewusstsein als "Mazedonier" aufgewachsen sind, aus biologischen Gründen gegen Null.
Es ist bemerkenswert, dass sich griechische Staatsanzeiger aus den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts finden lassen, in dem vom "Ethnarchen" Konstantinos Karamanlis unterschriebene Dokumente sind, welche die EJRM schlicht als "Mazedonien" bezeichnen. Die heutigen griechischen Medien vermeiden es, diese Geschichten wieder aufzuwärmen.
Karamanlis selbst wuchs in Serres in der griechischen Region Mazedonien auf. Für den Balkan typisch ist jedoch auch, dass Karamanlis Familie aus der heutigen Türkei stammt. Ein Umstand, der aktuell gern von Nationalisten genutzt wird, um Karamanlis damaliges Schweigen mit der geographischen Herkunft seiner Familie zu erklären.
Um der weiteren Geschichte kurz vorzugreifen bleibt zu erwähnen, dass Kostas Karamanlis, Neffe des Ethnarchen, als Premier 2008 gegen eine Aufnahme der EJRM in die NATO ein Veto eingelegt hatte. Für Karamanlis den Jüngeren muss zunächst die Namensfrage geklärt werden. Karamanlis treu zur Seite stand seinerzeit die Außenministerin Dora Bakoyianni.
Und hiermit wird der nationale Konflikt endgültig auch zu einer Familienposse der Clans der Nea Dimokratia. Denn Bakoyiannis Vater, Konstantinos Mitsotakis, hatte als Premier und Parteichef der Nea Dimokratia direkt nach dem Zerfall Jugoslawiens keinerlei Einwände gegen ein "Mazedonien" an der nördlichen Grenze Griechenlands. "In zehn Jahren ist das alles vergessen", war sein berühmt berüchtigtes Motto, mit dem er 1993 seine Partei einstimmen wollte.
Seine damalige Staatsekretärin war Dora Bakoyianni. Sein damaliger Außenminister hieß Antonis Samaras. Samaras fand Sponsoren und Parteigänger, um mit dem Vorwand des Namensstreits Mitsotakis zu stürzen. Damit beendete er auch dessen Wirtschaftsreformen, die im Großen und Ganzen der heutigen Austeritätspolitik entsprechen, wenngleich sie zum damaligen Zeitpunkt verglichen mit dem heutigen Drama erheblich milder ins soziale Gefüge eingriffen.
Es verwundert, dass die damaligen Politiker nicht die Chance nutzten, vorrangig gegen die aus der Verfassung resultierenden Gebietsansprüche des Nachbarstaats zu protestieren, sondern sich vielmehr am Namen festbissen. Auf Mitsotakis folgte Andreas Papandreou, der sein politisches Comeback feiern konnte. Papandreou, ein begnadeter Populist, hatte in den Achtzigern ähnlich wie Tsipras heute soziale Gerechtigkeit versprochen, gleichzeitig jedoch die Oligarchen mit Steuererleichterungen und Krediten beschenkt. Damals ging das noch auf Pump, was wiederum einen entscheidenden Beitrag zur heutigen Misere Griechenlands leistete.
Papandreou wollte es sich weder mit den Wählern noch mit dem Ausland verderben. Er förderte die provisorische Namensnennung FYROM, die er im Inland als großen Erfolg feierte. Er schaffte es, dass die Wähler ihm glaubten. Dass hinter FYROM eine explizite Nennung des Wortes "Mazedonien" steht, ist vielen Griechen auch heute nicht wirklich bewusst. Sie fordern, wie bei der Demonstration in Thessaloniki, dass das Land gefälligst einen Namen ohne "Mazedonien" führen solle.
Dementsprechend ist auch die PASOK, beziehungsweise das, was sich aus ihr entwickelt hat, gespalten. Bei der Demonstration in Thessaloniki waren einige PASOK-Politiker, allen voran die Europa-Abgeordnete Eva Kaili präsent.
Es bleibt anzumerken, dass in der ersten Phase des Namensstreits, 1992-1993 in Griechenland Massendemonstrationen stattfanden, bei denen sich auch die Vorgängerpartei von SYRIZA unter diejenigen gesellte, die jeglichen Namen des Nachbarstaats mit einem Zusatz "Mazedonien" ablehnten. Damals erreichten die Demonstrationen in Thessaloniki Millionenstärke.
Bei der Nea Dimokratia ist die Lage noch komplizierter. Hier heißt der aktuelle Parteichef Mitsotakis, Kyriakos Mitsotakis, und ist Sohn des verstorbenen früheren Premiers, dem der Name egal war. Mitsotakis stellte es seinen Abgeordneten frei, an der Demo teilzunehmen oder nicht. Sein Parteigenosse, Antonis Samaras, der nach seiner Rückkehr zur alten Partei mittlerweile selbst Ex-Premier wurde, machte keinen Hehl aus seiner Einstellung. Auch dem lokalen Druck folgend waren die Parlamentarier der Nea Dimokratia aus Nordgriechenland zur Demonstration geeilt.
Ihnen zur Seite standen die Parlamentarier der Unabhängigen Griechen. Tsipras Koalitionspartner möchte keinem Namen zustimmen, bei dem das Wort "Mazedonien" Bestandteil ist. Damit steht die Partei diametral gegen die Haltung von Premierminister Alexis Tsipras und dessen Außenminister Nikos Kotzias.
Die Unabhängigen Griechen sehen sich als die "wahren Erben" Karamanlis des Älteren und als Hüter der volkstümlichen Rechten. Die Konsequenz, aus der Regierungskoalition auszutreten, möchten sie trotzdem nicht ziehen. Das aber will die Nea Dimokratia provozieren, indem sie bei einer Abstimmung im Parlament dem Namen des Nachbarlands nur zustimmen möchte, wenn die Unabhängigen Griechen es auch tun.
Bei den kleineren Parteien rund um das politische Zentrum ist To Potami, der neue Partner der PASOK in der entstehenden frischen sozialdemokratischen Partei, für die Freiheit des Nachbarn, sich so zu nennen, wie sie es gern möchten. Damit bestehen Reibungspunkte mit dem patriotisch gesinnten Flügel der PASOK.
Vollkommen gegen den Namenszusatz "Mazedonien" ist die Zentristenunion um Vasilis Leventis. Dieser war einst Gründungsmitglied der PASOK und sieht sich selbst in der Tradition von Andreas Papandreous Vater Georgios Papandreou. Die Kommunisten bestehen darauf, dass der Nachbarstaat die Unveränderlichkeit von Grenzen anerkennen soll und jegliche Expansionsgelüste aus der Verfassung streichen muss.
Schließlich gibt es von den Parlamentsparteien noch die Goldene Morgenröte. Diese sieht Griechenland als Opfer einer jüdischen Weltordnung und möchte gern das Problem mit dem nördlichen Nachbarstaat durch Schaffung gemeinsamer Grenzen mit Serbien und der daraus resultierenden Invasion ins Nachbarland lösen.