Niemand will es gewesen sein
Bei der Wahl zum Amt des sächsischen Ministerpräsidenten erhält der NPD-Kandidat mehr Stimmen, als die Fraktion Abgeordnete hat
Als im September bei der Wahl in Sachsen die NPD mit einem fast zweistelligen Ergebnis den Einzug in den Landtag erreichte (Rechter Aufbau Ost - NPD im Sächsischen Landtag), waren Politiker sowie Politikwissenschaftler sehr schnell mit der für sie beruhigenden Erklärung zur Stelle, das 'Problem' NPD werde sich schon bald durch niveaulose Beschäftigung der Abgeordneten mit sich selbst von allein erledigen. Allein schon vor dem Wahlabend sollte diesen vorgeblich aufmerksamen Beobachtern der sächsischen NPD - und deren rechtsextremistischen Umfeldes aus beispielsweise so genannten Freien Kameradschaften - klar gewesen sein, dass ihr bürgerlich-konservativer Beruhigungsansatz bestenfalls wahrgenommen werden kann, aber mitnichten den wahren Gegebenheiten der sächsischen Politiklandschaft entspricht. Denn in Sachsen haben rechtsextremistische Losungen schon seit geraumer Zeit ihre durchaus willigen Ohren in der Mitte der Gesellschaft gefunden (Die Mitte der Gesellschaft?).
Gut zwei Monate nach der Wahl zum Sächsischen Landtag hat sich offenbart, wie hehre politische Absichtserklärungen zum Umgang mit der NPD im Hohen Haus aussehen können - bei der Wahl zum sächsischen Ministerpräsidenten. Dabei stand vorab außer Frage, dass der amtierende Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) das Amt auch weiterhin ausüben würde. Die letztendliche Wahl Milbradts - auch wenn er dafür zwei Wahlgänge benötigte, weil ein Teil der CDU-Fraktion ihm die Stimme verweigerte - trat dann allerdings eher in den Hintergrund.
Mit Uwe Leichsenring ("Natürlich sind wir verfassungsfeindlich") hatte die NPD einen eigenen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten aufgestellt. Ein Gerichtsverfahren gegen den Beisitzer im NPD-Bundesvorstand und Geschäftsführer des Kreisverbandes Sächsische Schweiz wegen Unterstützung der mittlerweile verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) wurde vor einiger Zeit gegen Zahlung einer Geldstrafe eingestellt.
In einer so titulierten Grundsatzerklärung kündigte Leichsenring als "Ministerpräsidentenkandidat" an: "Meine Regierung wird nicht bereit sein, sich darüber zu unterhalten, auf welche Art und Weise, wie viele Milliarden in ein künftig in weiten Teilen entvölkertes Sachsen investiert werden!" Zudem forderte Leichsenring: "... nehmen Sie Vernunft an! Stoppen Sie den geistigen Bürgerkrieg gegen die nationale Opposition ..." Unter dem Anspruch "Wir sind das Volk! Wir sind ein Volk! Die Freiheitsimpulse der Wendezeit wiederbeleben!" fabulierte Leichsenring letztlich seine Sicht der politischen Dinge: "Wer die innere Einheit nach der Vereinigung der BRD mit der zusammengebrochenen DDR wirklich vollenden will, muss zu allererst die nationale Identität der Deutschen wiederherstellen, die im bundesdeutschen Gesinnungsdschungel als Indiz für rechtsextremistisches oder gar neonazistisches Denken herabgewürdigt ist."
Die Regierungskoalition im Sächsischen Landtag verfügt über 68 Sitze; davon besetzt die CDU 55 und die SPD 13. Die Oppositionsparteien sind bei Bündnis 90/Die Grünen mit 6, bei der F.D.P. mit 7 und bei der PDS mit 31 Abgeordneten vertreten. Die NPD nennt 12 Landtagssitze ihr eigen. Im Vorfeld der Wahl des Ministerpräsidenten war übrigens die PDS mit ihrem Ansinnen an CDU und SPD gescheitert, neben Stimmenthaltungen auch Nein-Stimmen auf den Wahlscheinen zu ermöglichen. In beiden notwendig gewordenen geheimen Wahlgängen erhielt der NPD-"Ministerpräsidentenkandidat" am 10. November in Dresden jeweils 14 Stimmen.
Brauner Schatten auf dem Parlament
Nahezu mit Stimmauszählung erklärten BündnisGrüne, F.D.P., PDS und SPD ihre politische Unschuld hinsichtlich der zwei Mehr-Stimmen für den NPD-Kandidaten. Antje Hermenau (Bündnis 90/Die Grünen): "Alle Anstrengungen, die NPD politisch zu isolieren, werden damit konterkariert." Als "schlichtweg peinlich" bezeichnete Holger Zastrow (F.D.P.) die 14 Stimmen für Leichsenring. Peter Porsch (PDS) sah einen "Schatten, der auf das gesamte Parlament geworfen wird", und für den SPD-Abgeordneten Johannes Gerlach war "die Ministerpräsidentenwahl schlimmer als das Landtagswahlergebnis".
Bliebe die CDU-Fraktion als Verdächtige für diesen NPD hofierenden Wahlausgang. Könnten Unzufriedenheit mit Wahlkampf und dessen Ausgang, könnten zudem Nichtbeachtung bei der Postenvergabe und letztendlich seit der Landtagswahl mehrfach beschriebene Zerwürfnisse zwischen Fraktion und Milbradt der Grund sein? Der Grund dafür, einen NPD-Ministerpräsidenten zu wollen - oder nur mal eben so ein wenig mit der Demokratie zu spielen?
"Dann muss man sich aber einmal die Verantwortung als Mandatsträger überlegen, und dann sind einige Abgeordnete ihrer Aufgabe nicht gewachsen", resümierte die SPD-Landtagsabgeordnete Margit Weihnert. Die Sächsische Zeitung kolportierte in diesem Zusammenhang die Anregung des ehemaligen sächsischen Innenministers Heinz Eggert (MdL, CDU) für eine TV-Show vor dem Landtag namens "Ich bin doof. Lasst mich hier rein!" Laut Eggert sei die Doofen-Quote allerdings längst erfüllt. Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Fritz Hähle, konnte im Nachhinein des Wahl-Eklats keinen Anlass für eine "Gewissensforschung" in den eigenen Reihen ausmachen. Zwischenzeitlich schloss Ministerpräsident Milbradt NPD-Wahl-Leihstimmen der CDU definitiv aus. Aber warum sollten gerade einige Abgeordnete des Landtages unbedingt außerhalb der mittlerweile viel zitierten rechtsextremen Mitte der Gesellschaft in Sachsen stehen?
Die NPD reagierte nahezu euphorisch auf den Wahlverlauf und bot umgehend "politisch heimatlos gewordenen Abgeordneten" ihre parlamentarische Zusammenarbeit an. Im so genannten "Nationalen Forum" jubelt die rechtsextreme Online-Gemeinde über "kostenlose PR" und eine möglichen "Initialzündung", die "auch andere dazu bewegen kann, sich der NPD - wenngleich auch erst mal vorsichtig - zu nähern". Zumindest die Rechtsextremisten wissen - so darf durchaus unterstellt werden - um die Identität ihrer beiden Zusatzstimmen.
Die taz ist allerdings der Meinung, man müsse "nicht wissen, welche Abgeordneten so gehandelt haben, um ihre Vorbildwirkung zu fürchten", und kommentiert dahingehend nicht zu Unrecht: "Wer achtlos NPD wählt, handelt nicht besser, als wer es absichtsvoll tut." Milbradt formulierte während seiner Vereidigung abschließend: "Ich bitte das Hohe Haus darum, mit der neuen Regierung kollegial zusammenzuarbeiten." Immerhin wurde der neue Ministerpräsident in Sachsen nicht mit den Stimmen der NPD gewählt.