Nigeria: Dschihadisten massakrieren Reisbauern und Saisonarbeiter
Zahl der Toten steigt von 43 auf 110
Den aktuellen Zahlen des UN-Koordinators Edward Kallon nach sind bei einem Massaker in Nigeria am Samstag nicht nur 43, sondern mindestens 110 Menschen umgebracht worden. Die Tatorte waren Reisfelder in der Nähe von Koschobe im Bundesstaat Borno, die Opfer vor allem Reisbauern und Gastarbeiter, die zur Reisernte aus dem Bundesstaat Sokoto nach Borno gekommen waren.
Bürgerwehr nennt Boko Haram als Täter
Zu den Tätern, die auf Motorrädern kamen, ihre Opfer fesselten, und ihnen anschließend die Kehlen durchschnitten, macht Kallon keine Angaben. Dafür sind sich Babakura Kolo und Ibrahim Liman, zwei Angehörige einer örtlichen Bürgerwehr, sicher, dass es Dschihadisten von Boko Haram waren.
Boko Haram entstand Anfang der Nullerjahre aus den Lehren des inzwischen erschossenen nigerianischen Islamistenführers Ustaz Mohammed Yusuf, der neben der Vorstellung einer Evolution und den physikalischen Erkenntnissen zum Aufbau der Erde auch die Erklärung der Entstehung von Regen aus Verdunstung explizit ablehnte. Außerdem predigte der 1970 im Dorf Girgir im Bundesstaat Yobe geborenen Islamist, dass Bildung den Glauben an Allah "verderben" würde. Daraus erklärt sich auch der Name der Gruppe: "Bolko" steht im Haus für Bildung und fand über das englische Wort "Book" Eingang in die Verkehrssprache Nordnigerias. "Harem" ist der im Islam verwendete arabische Begriff für Verbotenes (vgl. "Bildung ist Sünde").
Ende der Nullerjahre ging Boko Haram von der militärischen Ausbildung in einem in Nordnigeria gelegenen Camp namens "Afghanistan" dazu über, in den nigerianischen Bundesstaaten Borno, Yobe und Kano, Kirchen, Gefängnisse, Polizeireviere und andere staatliche Einrichtungen anzugreifen. Dabei war die Gruppe so erfolgreich, dass sie teilweise ein Gebiet von der Größe Irlands kontrollierte.
Andere Möglichkeiten: ISWAP und Fulbe-Banden
2015 schwor Abubakar Shekau, der damalige Anführer von Boko Haram, dem IS-Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi die Gefolgschaft (vgl. IS-Kalifat wird auf einen Schlag um mindestens 70.000 Quadratkilometer größer). Sein Herrschaftsgebiet nannte er "Wilayat Garb Ifrqiya", die "Westafrikanische Provinz".
Nachdem Abubakar Shekau 2016 entmachtet wurde, spaltete sich Boko Haram in die unabhängig vom IS operierende und gemeinhin wieder unter dem Namen Boko Haram laufende Gruppe "Dschama'atu Ahlis Sunna Lidda'Awati Wal-Dschihad" und in den "Islamischen Staat Provinz Westafrika" (ISWAP). Ob sich die Dschihadisten, die in Nigeria Massaker verüben, diesem ISWAP oder den anderen Boko-Haram-Spaltprodukt zugehörig fühlen, ist schwer erkennbar, so lange sie keine Bekennerbotschaften hinterlassen. Eine dritte Tätergruppe, die infrage käme, wären bewaffnete Fulbe-Banden, die ebenfalls in ähnlicher Weise Massaker verüben (vgl. Nigeria: Das Mexiko Afrikas).
Leichte Opfer
Seit die nigerianische Staatsführung im Kampf gegen Boko Haram und ISWAP Bürgerwehren ausrüstet und fördert, scheinen sich die Überfälle der Dschihadisten von Dörfern auf Holzarbeiter, Fischer, Hirten und Feldarbeiter zu verlagern. Dort müssen die Gottesmörder mit weniger Gegenwehr rechnen als in den nun besser verteidigten Dörfern. Erst im Oktober kamen in der Nähe von Maiduguri 22 Erntearbeiter bei einer Massenschlachtung ums Leben. Auch Koschobe liegt in der Nähe dieser Stadt, wo am Wochenende erstmals seit 2009 wieder Kommunalwahlen stattfanden. Sie wurden seitdem wegen des dschihadistischen Terrors immer wieder verschoben und werden als mögliches symbolisches Ziel des Massakers vom Samstag gehandelt.
Ein nicht nur symbolisches, sondern häufig auch konkretes Ziel von Dschihadisten sind Christen: Die hatte neuen Informationen der Kronen-Zeitung nach auch der Wiener IS-Terrorist Kujtim Fejzulai im Visier: Er soll versucht haben, in eine Gebetsveranstaltung einer katholischen Kinder- und Jugendgruppe einzudringen, scheiterte aber an einem Zeitschloss. Hätte ihn das nicht aufgehalten, wären heute möglicherweise nicht nur vier Erwachsene, sondern auch 17 Kinder und Jugendliche tot. Nun hat der österreichische Innenminister Karl Nehammer angekündigt, Kirchen in der Advents- und Weihnachtszeit besser zu schützen.
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