No Sex in the City

Empire St. Pauli. Bilder: Irene Bude/Olaf Sobczak/Steffen Jörg, GWA St. Pauli

Schöner wohnen: Wie uncool ist die Kritik an der Gentrifizierung?

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Ob Berlin, Hamburg oder München vielen deutschen Städten heißt es inzwischen: Vorsicht, die Gentrifizierer kommen! Gewachsene und etwas in die Jahre gekommene oder noch nie chic gewesene Stadtviertel werden von Investoren aufgepeppt, filetiert und zu Höchstpreisen an reiche Kleinfamilien, saturierte BWLer und Latte-Macchiato-Schlürfer verkauft. Dagegen müssen Künstler, Studenten und andere Menschen mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr wegziehen. Kürzlich war im Feuilleton der SZ zu alldem auch noch die affirmative Theorie zu lesen1: Wer die Investoren kritisiert, so behaupten die steilen Thesen des Autors Jan Füchtjohann, sei nur nostalgisch und wünsche "sich letztlich auch die alte Bundesrepublik, klare Feindbilder und das Wählscheibentelefon zurück." So so, aha... Aber ist die Gentrifizierungskritik wirklich nur uncool?

Ein Begriff macht Karriere: Gentrifizierung. Man spricht ihn übrigens englisch aus, also "Dschentrifizierung", denn er stammt von der britischen Soziologin Ruth Glass, die das Wort "Gentrification" erstmals 1964 in einem Text über urbanen Wandel in London verwendete. Der Begriff leitet sich ab von der Gentry, dem seit dem Mittelalter existierenden niederen Adel Englands, und meint allgemein den Einfluss von Mittelschicht-Milieus auf Arbeiterquartiere. Im engeren Gebrauch bedeutet es Verdrängung, Verlust von Stadtkultur, die mehr oder weniger gewaltsame Umwandlung traditioneller Wohnviertel in Quartiere für Besserverdienende. In der neoliberalen Praxis geht dies mit Entmietung, Totalsanierung und Immobilienspekulation einher. In den 90er Jahren setzte sich das Wort allmählich auch im akademischen Jargon Deutschlands fest, umgangssprachlich häufiger wurde es erst in den letzten zwei Jahren verwendet.

Zugegeben, Gentrifizierung ist ein nicht sehr hübsches Wort. Man könnte alternativ auch von Yuppisierung, Disneyfizierung oder Langweilisierung sprechen, von Kultur-Vampirismus oder am besten gleich von der Zombisierung der Städte. Stimmt alles. Denn alles wird immer schlechter, und auch wenn das eine abgedroschene Weisheit ist, ist sie deshalb noch nicht falsch. Sie hindert nur manchmal am genauen Hingucken, aber das gilt, wie wir noch sehen werden, ja auch für die Kritiker der Gentrifizierungsforschung - nur von "Theorien" zu sprechen hieße hier bereits, es sich zu einfach zu machen, wäre also Ideologie. Wovon genau erzählen also diese Analysen?

Erste Phase: Der Angriff der Investoren

Die Gentrifizierung hat viele Agenten. Künstler, Copyshops, der gemeine Latte Macchiato und der Straßen-Poller. Am Anfang steht ein eher heruntergekommenes Viertel. Vielleicht ist es ein ein wenig in die Jahre gekommenes bürgerliches Viertel, vielleicht war es noch nie richtig chic, sondern eher Wohnort für das Kleinbürgertum und für Arbeiterschichten, es leben dort auch viele Alte, überdurchschnittlich viele Migranten und Arbeitslose; vielleicht gibt es dort auch alte Fabrikgebäude, die sich in Lofts und ungewöhnliche Wohnungen und/oder Büros umbauen lassen. Relativ viele leerstehende Wohnungen.

In jedem Fall aber hat es viele Altbauquartiere und eine gewachsene, aber etwas vernachlässigte Struktur: Viele kleine Läden, wenig Gaststätten, wenig, was für Touristen attraktiv ist. Darum sind die Mieten günstig. Weil das so ist, kommen Studenten, Künstler, Individualisten und mit ihnen die ersten Kreativbranchen. Mit diesen Lokale und ein Nachtleben, das für diese Klientel attraktiv ist. Allmählich steigen die Mieten an, die alten Bewohner und Ladeninhaber ziehen weg, die Struktur der Geschäfte wandelt sich, das Viertel wird attraktiver, gilt als "jung" und "szenig".

Dann kommen die Investoren. Sie investieren in die Gebäude nicht mehr, wie die zuvor Zugezogenen, weil sie selber dort wohnen und arbeiten wollen, sondern weil sie ihr Geld arbeiten lassen, weil sie in den Gebäuden Renditeobjekte sehen. Sie peppen das Viertel weiter auf, sanieren Häuser und Wohnungen, filetieren es in zu Höchstpreisen verkaufbare Objekte. Mieten und Preise steigen; immer weniger der alten Bewohner können sich das Leben dort leisten - auch viele der neuer Hinzugezogenen suchen das Weite. Das angebliche Szeneviertel ist nicht mehr szenig, stattdessen ziehen wohlhabende Kleinfamilien und reiche Yuppies in das Viertel. Der urbane Strukturwandel ist damit aber nur zum ersten Teil zum Abschluss gekommen.

Zweite Phase: Verödung und Proletarisierung

In Deutschland ist Gentrifizierung vor allem in den drei attraktivsten Metropolen sichtbar: In München, Hamburg und Berlin. Dort wird allmählich auch der zweite Teil der Gentrifizierung immer sichtbarer. Denn das bunte Flair, das mit den Künstlern und Studenten einzog, dann Szeneläden, Galerien, Nachtleben und Avantgardistisches anzog, und das auf einem reicheren, gediegeneren, auch langweiligerem Niveau zunächst weiterexistierte, hat inzwischen auch Touristen angezogen. Die Künstler weichen den Möchtegernkünstlern. Zum zweiten werden vor allem die Ladenmieten so teuer, dass Avantgarde und Szene es sich nicht mehr leisten können und wollen. In die leeren Läden ziehen Flagship-Stores, und auf einmal sieht es im Viertel so aus wie in allen anderen sogenannten "Szenevierteln", die alles sind, nur nicht szenig. Der vielgerühmte Prenzlauer Berg zum Beispiel ist längst das langweiligste Viertel in Berlin geworden - von Wilmersdorf vielleicht einmal abgesehen.

Und es dauert gar nicht mehr lang, dann sieht es dort und an ähnlichen Orten auch nicht mehr anders aus als in den Fußgängerzonen von Oberhausen oder Jena: Ein Burger King, ein Delicious Doughnuts, ein Schlecker und ein Kaiser's - in Orten wie dem Prenzlauer Berg natürlich noch ein paar Bioketten und ein Papierlädchen. Interessant ist auch zu beobachten, wie im Folgenden die Gentrifizierung ihre eigenen Kinder frisst: Nach den Yuppies kommen nämlich die Touristen und mit ihnen der Ballermann - dann ist die Verproletarisierung des Viertels abgeschlossen. Es darf wieder herunterkommen, bis zur nächsten Runde. Zwischendurch erlebt man dann das Gegenteil, im Stadtsoziologen-Speak "Abandonment".

Die Gentrifizierung frisst ihre Kinder: Das Beispiel Berlin-Mitte

In Berlin zum Beispiel kann man alles das ausgerechnet im angeblich so hippen Bezirk "Mitte" ablesen. Da gibt es wie in einem Labor parallel nahezu alle Gentrifizierungs-Phasen zu besichtigen; und man würde dem in Berlin lebenden Stadtsoziologen Andrej Holm (über die Grenzen Berlins hinaus als Opfer einer Justizfarce bekannt he Verdacht ist nicht genug), einem der führenden deutschen Gentrifizierungs-Forscher, raten, doch mal für Bildungs-Touristen eine Art gegenkulturelle Stadtrundfahrt zu organisieren: Die westliche Torstraße, die jahrelang tot war, wird in den letzten Jahren von den Investoren entdeckt und fast wöchentlich findet man dort neue Geschäfte, während direkt nebenan der angeblich attraktivste Teil, die Linien-, August- und Oranienburgerstraße, sich gerade prenzlbergisiert und langfristig verödet.

Vollzogen ist die Verödung bereits am Hackeschen Markt, einem der zur Zeit schrecklichsten Orte des "Neuen Berlin". Dort lässt sich hervorragend nachvollziehen, wohin Gentrifizierung führt: Die Mieten in dieser Gegend haben sich in den letzten Jahren verdreifacht. Die Verdrängung traf sogar Schicki-Micki-Lokale, die einst selbst als Vorboten der Gentrifizierung den Stadtteil erobert hatten, wie das Promi-Lokal "Schwarzer Rabe" in der Neuen Schönhauser Straße, oder (in der anliegenden Alten Schönhauser) den schicken Buchladen http://www.pro-qm.de/, den die taz als "wichtigsten Buchladen in Sachen Stadt, Pop und Kunst" feierte und in dessen Regalen sich ironischerweise sämtliche Standardwerke zu Stadtsoziologie, Gentrification und poststrukturalistischer linker Franzosen stapeln. "Pro qm" immerhin zog nur zwei Straßen weiter in einen Bau des modernen Architekten Hans Poelzig, liegt nun aber definitiv abseits der Ameisenstraßen der Touristen mit ihrer Laufkundschaft.

Dort eröffnete dafür eine Berliner Zweigstelle der Kölner Edel-Kunst-Buchhandlung Walther König. Die Gentrifizierung frisst ihre Kinder. Noch krasser ist der ökonomische Wandel im Bereich der Modegeschäfte zu beobachten. Einst gab es hier kleine Läden individueller Designer. Heute nun findet man in einer einzigen Straße "Diesel", "Levis", "Lee", "Adidas" und "Hugo Boss".

Oh Gott oh Gott: "Hetzjagd" auf die Gentrifizier

Dazu hat der Autor der "Süddeutsche Zeitung" endlich auch die langersehnte Theorie verfasst. Selbstverständlich ist sie affirmativ: Wer die Investoren kritisiert, so die steile These des Autors, sei nur nostalgisch und wünsche "sich letztlich auch die alte Bundesrepublik, klare Feindbilder und das Wählscheibentelefon zurück."

"Eine vulgäre Stadtsoziologie" schreibt Früchtjohann, der die meisten Fakten seines Textes möglicherweise aus dem Hamburger Anti-Gentrifizierungs-Manifest bezieht und verdreht kommentiert, "ist mittlerweile zum Verlegenheits-Diskurs unter vielen 25- bis 45-Jährigen geworden". Dann wird es gleich bedrohlich: Von "Hetzjagd" ist die Rede, und schuld sind die Künstler. Aber: "In Hamburg, Berlin, München, Düsseldorf und Dresden [wird] trotz allem saniert, restauriert und privatisiert. Unbeeindruckt von allen Krisen, den finanziellen und den moralischen, machen die Städte weiter wie bisher."

Der Protest gegen Gentrifizierung sei ein Luxus der Kreativen, das unterscheide die Lage heute von der klassischen Gentrifizierung. "Es geht um einen Clash der Einkommen und Kulturen [...] die einen haben mehr Zeit, die anderen mehr Geld." Als ob Protest und alternative Politik je von anderen entwickelt worden wären als von Kreativen. Völlig verfehlt ist auch die Argumentation des Autors, Arbeiter gebe es heute nicht mehr, darum könne man sie nicht vertreiben, und die Künstler dürften auch nicht im Namen der Zuwanderer und Armen sprechen, "deren Aufstand anders aussehen würde".

Es geht nicht um Ghettos für Bunte, Arme und sonstwie Marginalisierte, sondern gegen Ghettos für die Reichen und Mächtigen. Es geht gegen Gated Communities. Es geht um Denkmalschutz, um Erhaltung urbaner Vielfalt, um Erhaltung von Mischformen aus kleinen und großen Läden, reichen und armen Milieus. St. Pauli wurde nicht finanziert, um "rivalisierende Zuhälterbanden und Drogendealer" ruhigzustellen, wie die SZ die neoliberalen Märchen des Beust-Senats nachkaut. "Wer grundsätzlich gegen Aufwertung ist, perpetuiert die Armut." schreibt Früchtjohann im Westerwelle-Jargon.

Wie Andrej Holm in seinem Blog schreibt, lässt der SZ-Autor kein Klischee aus, um seinen Gegner zu dämonisieren. Dann drehen wir den Spieß doch mal um: Vielleicht sollte er mehr Filme angucken. Einer der besten Gentrifizierungsforscher ist nämlich tatsächlich George A. Romero. "Der" Romero? Genau der. Im Einzelnen ist das zwar eine andere Geschichte. Aber soviel darf man verraten: Romero macht in seinen Filmen überdeutlich, was Gentrifizierung tatsächlich tut: Sie geht über Leichen.

Hamburg: Ausverkauf einer Stadt

Viele Gründe hat man dieser Tage für den Rücktritt des schwarzgrünen Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust genannt: Angela Merkel, das Privatleben, die Lage de CDU... Stimmt alles. Aber einer der Hauptgründe kam kaum zur Sprache: Die Kaputtsanierung der Hansestadt, und das Desaster um die Elbphilharmonie und die Hafencity.

Empire St. Pauli

"Wir konzentrieren uns auf die Vermarktung des maritimen Hamburgs, Shopping, und natürlich das Thema Erlebnis Eventmarketing." So Bettina Bunge von der "Hamburg Tourismus GmbH", der städtischen Marketingagentur, die zum Auftakt dieses Films "Empire St.Pauli" munter weiter von 20-25 Millionen Besuchern für St. Pauli und Hamburgs Hafen redet. "Sie geben da natürlich auch viel Geld aus." Es ist Aufbruch und Bewegung in der Stadt für Leute wie Bunge. Von der Verwandlung der Hansestadt und der Veränderung der Hamburger Grundstückspolitik unter dem von-Beust-Senat, auch dem schwarzgrünen, erzählt der Dokumentarfilm "Empire St.Pauli" von Irene Bude und Olaf Sobczak, der alternativ vertrieben wird, also nicht im normalen Verleih zu sehen ist, aber in Programmkinos und bei den Machern auch für die Vorführung bestellt oder gekauft werden kann.

"Da essen wir die ganze Woche von"

St.Pauli war einst ein Viertel, das der Auslagerung des liederlichen Lebens vor dem Rahmen der Stadt diente. Kleinstädtisch, gekennzeichnet durch hohe Toleranz, und ein nicht geringeres Selbstverwirklichungspotential. Zugleich ein sozialer Brennpunkt, eine Sonderrechtszone. Man kam hier mit ziemlich viel durch, das war befreiend und schätzenswert an diesem Viertel. Es war aber auch gefährlich, auch für das Image der Stadt, erst recht heute. Inzwischen ist St. Pauli neben der neuen Hafencity zum Zentrum jenes Prozesses geworden, den man als Gentrifizierung bezeichnet.

Empire St. Pauli

Der Kern-Konflikt zeigt sich im Film ganz treffend im Gastronomiebereich: In St. Pauli sterben nämlich durch die Verwandlung der Gegend die alten Kneipen. Nicht weil Kunden fehlen, sondern weil die Mieten, statt proportional zu steigen, mal flugs verdoppelt und verdreifacht werden. Stattdessen gibt es Orte wie das "Esswerk". Da spricht man von "Esskultur" statt von Sattwerden. Und der Labskaus kostet hier 14.99 Euro. "Da essen wir die ganze Woche von", sagt eine Frau im Film. Das Gegenbeispiel ist das Lokal "Doppelschicht" in der Langestraße. "Wir wollen die normalen Leute", sagt der Wirt und macht sich lustig über "diese ganzen Strandbars ... Caipirinha für 8 Euro ist 'ne Frechheit. Die kann man auch für 3.50 Euro verkaufen und verdient noch dran."

"Alles was dumm und scheiße ist, findet hier statt"

"Es bleibt festzustellen, dass St.Pauli komplett umgekrempelt und aufgegliedert wird, um es auszuweiden und auszuverkaufen", erzählt Rocko Schamoni:

Gerade in den letzten acht Jahren hat der Prozess eine Dynamik angenommen, die von dem Viertel nicht mehr viel übrig lassen wird. ... Alles was dumm und scheiße ist, findet hier statt. ... Das ist die Melkmaschine von Hamburg.

Ein Rückblick erinnert an die Hafenstraße und die Kämpfe um die besetzten Häuser. Furchtbare Typen in Steppjacken und Anzügen bemächtigen sich heute der Alternativwelt und kommen sich noch chic vor. Weitere Beispiele: Der Abriss und Neubau des Astra-Turms und der neue Marco-Polo-Tower. Plätze, wie der Spielbudenplatz, der zweitgrößte Platz Hamburgs, werden von öffentlichen Plätzen zu privaten Orten, die von Betreibergesellschaften kommerziell genutzt und verwaltet wurden. Es entstehen Sonderrechtszonen, deren Neugestaltung und Architektur aber zum allergrößten Teil aus öffentlichen Mitteln, also Steuergeldern finanziert wurde.

Als Hauptinvestor tritt in diesem Fall die Fraatz Bartels Unternehmensgruppe auf, die inzwischen einen sehr großen Teil der Immobilien auf St.Pauli besitzt und dort allein in den vergangenen Jahren etwa 350 Millionen Euro investiert hat. Worum es bei alldem aus öffentlicher Perspektive geht, ist klar: Um Standortpolitik, um das Labeln der Stadt Hamburg als Metropole aus "Wasser, Weltoffenheit, Internationalität". Der Kiez von St. Pauli soll dabei als "bunter, frecher, vielseitiger Stadtteil" "positioniert" werden. Die Investoren sind da nur die willigen Vollstrecker und Helfershelfer einer reaktionären und zynischen Senatspolitik.

Zynisch ist sie, weil sie die Künstler bewusst durch Fördertöpfe und Zwischennutzungs-Gelegenheiten in jene Gegenden lockt, die es in Zukunft zu gentrifizieren gilt: Zu beleben, entwickeln, für Investoren und zahlungskräftige Bewohner attraktiv zu machen. "Kultur soll zum Ornament einer Art Turbo-Gentrifizierung werden", heißt es in einem Protestmanifest treffend (s.u.).

Hierfür wurde die Hamburger Kulturpolitik unter von Beust konsequent instrumentalisiert. Unter der offenbar inhaltlich völlig indifferenten, am Rockschoß des Bürgermeisters und seiner wahlkampfspendenen Kapitalisten hängenden Kultursenatorin Karin von Welck wurde die Hamburger Kulturpolitik zum Bestandteil der Gentrifizierungsstrategie marginalisiert: Mehr als 40 Prozent der Gesamt-Ausgaben für Kultur entfallen derzeit auf das Millionengrab der überdies nutzlosen Luxus-Spielstätte der "Elbphilharmonie". Kein Wunder, das von Welck - aus Scham - nach dem Ausverkauf der Stadt an den Geldadel ihr Amt mit von Beust gleich mit aufgab.

Idiotie und Zynismus des von-Beust-Senats

Die Hamburger Hafencity wiederum ist das größte Stadtentwicklungsprojekt Europas und dafür vergleichsweise wenig aufmerksam behandelt worden. Ein ganzer neuer Stadtteil wird hier bis zum Jahr 2020 aus dem Boden gestampft, in der Größe von 220 Fußballfeldern, nach Entwürfen vom Reißbrett, bzw. aus dem digitalen Baukasten, voller Größenwahn. Architekt ist Hadi Teherani mit viel Investorenpoesie: Glas, Stahl, Beton, glatte, dunkle Steine. Architektur der Macht für die Reichen und Mächtigen. Alles liegt zudem direkt neben den historischen Bauten der Speicherstadt aus dem späten neunzehnten Jahrhundert - ein perfektes Beispiel für das Understatement echter, nicht nur angeschminkter Bürgerlichkeit.

Die realen Fakten machen das Hafencity-Projekt in seiner ganzen Idiotie, beziehungsweise - da es sich um das sehr bewusste Verprassen öffentlicher Steuergelder handelt - Infamie, deutlich: Über eine Million Büroquadratmeter stehen in Hamburg jetzt schon leer. In der Hafencity gibt es selbstverständlich keine Sozialwohnungen, trotzdem wird sich deren Anzahl in den nächsten zehn Jahren halbieren.

Die "wachsende Stadt" zuerst vom Schill_Senat propagiert, dann vom schwarz-gelben, später schwarz-grünen von-Beust-Senat mit seinen Chlorophyll-Linken, die Grün reden, einen auf Rot machen, aber in Wirklichkeit Politik für das dicke Geld aufbereiten, ist in Wahrheit eine segregierte Stadt in der Tradition des Manchesterkapitalismus: Die Promenaden den Gutsituierten - dem Pöbel die Mietskasernen außerhalb.

"Aua, es tut weh. Hört auf mit dem Scheiß"

Gegen derlei Ausverkauf des Urbanen gibt es inzwischen massiven Widerstand. Unter dem Motto "Not In Our Name, Marke Hamburg" werden im Netz Unterschriften für ein Manifest gesammelt, in dem es unter anderem heißt:

"Für Hamburg hat die Konkurrenz der Standorte mittlerweile dazu geführt, dass sich die städtische Politik immer mehr einer "Image City" unterordnet. Es geht darum, ein bestimmtes Bild von Stadt in die Welt zu setzen: Das Bild von der "pulsierenden Metropole", die "ein anregendes Umfeld und beste Chancen für Kulturschaffende aller Couleur" bietet. Eine stadteigene Marketing-Agentur sorgt dafür, dass dieses Bild als "Marke Hamburg" in die Medien eingespeist wird. Sie überschwemmt die Republik mit Broschüren, in denen aus Hamburg ein widerspruchfreies, sozial befriedetes Fantasialand mit Elbphilharmonie und Table-Dance, Blankenese und Schanze, Agenturleben und Künstlerszene wird. Harley-Days auf dem Kiez, Gay-Paraden in St. Georg, Off-Kunst-Spektakel in der Hafencity, Reeperbahn-Festival, Fanmeilen und Cruising Days: Kaum eine Woche vergeht ohne ein touristisches Megaevent, das "markenstärkende Funktion" übernehmen soll. ... Wir sagen: Aua, es tut weh. Hört auf mit dem Scheiß. Wir lassen uns nicht für blöd verkaufen. ... Es geht darum, Orte zu erobern und zu verteidigen, die das Leben in dieser Stadt auch für die lebenswert machen, die nicht zur Zielgruppe der "Wachsenden Stadt" gehören. Wir nehmen uns das Recht auf Stadt.

Ins gleiche Horn bläst das Aktions-Netzwerk gegen Gentrifizierung das sich unter dem Namen "Es regnet Kaviar" formiert hat, und inzwischen in andere Städte ausstrahlt. Man kann nur hoffen, dass Hamburg ein Beispiel setzt, für den Rest der Republik - eben wirklich weltoffen und international.

Film und Literatur:

"Empire St.Pauli" Dokumentarfilm von Irene Bude und Olaf Sobczak. Infos unter: www.empire-stpauli.de. Der Film ist zum Preis von 10 Euro bestellbar unter steffen.joerg@gwa-stpauli.de
Andrej Holm: "Die Restrukturierung des Raumes: Stadterneuerung der 90er Jahre in Ostberlin: Interessen und Machtverhältnisse"; transcript Vlg. 2006
Andrej Holm: "Wir Bleiben Alle!: Gentrifizierung - Städtische Konflikte um Aufwertung und Verdrängung"; Unrast Vlg. 2010

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