No poetry among water drinkers?
Seite 2: Fleischgewordene und getötete Kreativität
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Das Gegenteil könnte bei Kokain der Fall sein - der Droge, die wie keine andere mit der Kreativwirtschaft in Verbindung gebracht wird. Dass sich Werbefuzzis ständig eine Linie ziehen, ist als Klischee ja geradezu Allgemeinwissen. Dass die Wirklichkeit mit dem Klischee vermutlich wenige Berührungspunkte hat, versteht sich. Und wissenschaftliche Studien zur Wirkung von Kokain auf Kreativität scheint es nicht zu geben.
Wenn, dann hilft es - wie andere Psychostimulanzien verschiedener pharmakologischer Klassen - bei der Ausarbeitung und Bewertung kreativer Ideen. Denn Kokain hemmt die Wiederaufnahme von Dopamin in die Präsynapsen, aus denen es ausgeschüttet wurde. Diese Wiederaufnahme ist ein wichtiger Mechanismus, um die Wirkung eines Transmitters zu beenden.
Indem Kokain sie für Dopamin blockiert, wirkt dieses also länger und stärker. Im Nucleus accumbens hat das zur Folge, dass sich der Nutzer in seinem Verhalten verstärkt und belohnt fühlt: Das lässt ihn die Droge wieder nehmen. Im Stirnhirn dagegen wirkt die höhere Dopaminausschüttung fokussierend. Manche - nicht alle - Kokainnutzer beschreiben, dass sie im High konzentrierter an ihren Ideen arbeiten können. Sie bekommen aber die Ideen in diesem Zustand nicht; tatsächlich liest man auch von Psychostimulanzien als "Kreativitätskillern".
Sicherer (und billiger) erscheint es sowieso, in der Ausarbeitungsphase auf milde Psychostimulanzien wie Koffein zu setzen. Es ist bezeichnend, dass die einzige wissenschaftliche Veröffentlichung, die "Kreativität" in einen Zusammenhang mit Kokain bringt, einen einfallsreichen Selbstmord beschreibt, den jemand unter Einfluss von Kokain mittels einer Autoantenne verübt hat.
Und schließlich: LSD. "Creativity incarnate" (fleischgewordene Kreativität), wie es ein Internetnutzer genannt hat. Pharmakologisch ist es - ebenso wie Psilocybin, Mescalin, Ayahuasca und andere Psychedelika, die ganz ähnlich wirken - ein Agonist am Serotonin-Rezeptor vom Typ 2A. Das heißt, es regt diesen besonderen Rezeptortyp so an, wie der Neuromodulator Serotonin es tun würde.
In den letzten Jahren erst haben Neurowissenschaftler angefangen, sich dafür zu interessieren, was auf einem psychedelischen Trip im Gehirn passiert. Sie haben festgestellt, dass sich die unterschiedlichen Aspekte des psychedelischen Erlebnisses auch auf getrennte Gehirnaktivierungen zurückführen lassen: Die Intensität der visuellen Halluzinationen korreliert mit der Anregung der Sehrinde. Die eher mystischen Erfahrungen dagegen - Auflösung des Ich, Bedeutungsveränderungen - ließen sich damit in Verbindung bringen, dass Rindenfelder im Umfeld des Hippocampus weniger miteinander kommunizierten. Insgesamt lässt - von der Sehrinde abgesehen - die Tätigkeit des Gehirns während eines Trips eher nach, auch unter Psilocybin. Robin Carhart-Harris und David Nutt vom Imperial College in London, die in den letzten Jahren diese und viele weitere Studien zu Halluzinogenen durchgeführt haben, fassen ihre Befunde darin zusammen, dass Psychedelika einen "entropischen Zustand" des Gehirns hervorrufen. Sie meinen damit einen Verlust der etablierten Ordnung, wodurch sich Netzwerke (wie das Default Mode Netzwerk) ebenso wie die Grenzen zwischen diesen Netzwerken auflösen.
Die Folge sind synästhetische Wahrnehmungen, Bedeutungsverschiebungen, farbige, überraschende Halluzinationen, das Gefühl tiefer Einsichten - tatsächlich scheint LSD die Erfahrungen zu liefern, aus denen die Ideen werden. Studien und Berichte aus den 50er- und 60er-Jahren, als Psychedelika noch nicht dämonisiert waren, unterstützen diese Wahrnehmung: So führten Louis Berlin und Oscar Janinger zwei getrennte Studien durch, in denen sie erfolgreichen Künstlern LSD verabreichten, ehe sie ein Bild malten. Unabhängige Gutachter beurteilten in beiden Untersuchungen die Bilder unter LSD-Einfluss als zwar technisch beeinträchtigt, aber ideenreicher und künstlerisch wertvoller als die Bilder, die vor dem Trip gemalt worden waren.
Auch wissenschaftliche und technische Ideen werden LSD zugeschrieben: Francis Crick will die Doppelhelix dank einer kleinen Dosis LSD verstanden haben, und Kary Mullis behauptet, die Idee zu ihrer Vervielfältigung per Polymerase-Kettenreaktion (für die es ebenfalls einen Nobelpreis gab) auf einem Trip gefunden zu haben. Auch Steve Jobs führte einige seiner Ideen auf seine LSD-Nutzung zurück.
Dem wuchernden Dschungel von beeindruckenden Anekdoten und begeisterten Berichten Dutzender psychedelischer Künstler steht leider eine Wüste an quantitativen Fakten gegenüber. Seitdem LSD vor einem halben Jahrhundert in Nordamerika und Europa in Acht und Bann getan wurde, hat es so gut wie keine wissenschaftlichen Studien mehr damit gegeben. Nahezu alles, was wir darüber wissen, wie LSD die Kreativität beeinflusst, verdanken wir einigen wenigen Untersuchungen, die vorher gemacht wurden und viele Fragen offen lassen. Stets schwärmten die Probanden von ihrer erweiterten Wahrnehmung, ihren neuen Perspektiven und großartigen Ideen. Doch in messbaren Leistungen schlug sich das nur gelegentlich nieder. Den Tests, in denen die Konsumenten von LSD oder anderen Psychedelika besser abschnitten als Kontrollgruppen, standen immer andere gegenüber, in denen sich nichts tat.
Es drängt sich das im Wortsinne ernüchternde Fazit auf, dass es mit den Drogen so geht wie mit der Manie: Wer im Rausch ist, glaubt zwar, superkreativ zu sein, blickt dann aber oft sehr bedröppelt auf peinliche Erzeugnisse, wenn er wieder runter ist. Sowieso gilt, was Michael Ende auf die Unterstellung erwiderte, er habe "Die unendliche Geschichte" unter Drogeneinfluss geschrieben: "Wie armselig müssen Leute dran sein, die sich schöpferische Phantasie nicht anders erklären können." Der einzige Beitrag, den Drogen zum Leben vieler großer Künstler geleistet haben, war, es zu beenden.
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