No poetry among water drinkers?

Psychoaktive Drogen und Kreativität hängen zusammen. Aber wie?

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Will man die Vernunft in Morpheus' Arme betten, so muss der restliche Mensch nicht auch zwingend schlafen. Den unmittelbaren Kontakt zum wilden Wabern der Inspiration, die geistige und seelische Hingabe an die romantisch-dunkle Schattenwelt der Ahnungen, den mystischen Zugriff auf das Verborgene haben die Menschen seit jeher im Rausch gesucht, als Rausch gesehen. Der Schaffensrausch ist kein nüchterner Zustand; er ist der Verliebtheit und dem Opiumrausch verwandt (Ideen aus dem neuronalen Untergrund).

Schon Horaz dekretierte daher in seinen Briefen nach Kratinos: "Nulla placere diu nec vivere carmina possunt quæ scribuntur aquæ potoribus" (Kein Gedicht von Wassertrinkern kann lange gefallen oder lebendig bleiben). Dies ist einer jener Fälle, in denen die kollektive Erinnerung ein kantiges Schlagwort griffiger geschliffen hat: Der Psychiater Ben Sessa macht daraus "There is no poetry among water drinkers" und schreibt es fälschlich Ovid zu.

Der Wein der Poesie. Seit Horaz ist der Alkohol in Liedern von jedem beliebigen künstlerischen Rang besungen worden: von der Champagnerarie über The Beautiful Souths "Liar's Bar" und Ivan Rebroffs "Schenk mir einen Wodka ein" bis hinab zu "Was wollen wir trinken sieben Tage lang?" und hundert anderen Saufliedern.

Und nicht allein der Alkohol: Auch dem Kokain (Eric Clapton), dem Heroin (Velvet Underground), dem LSD ("Lucy in the Sky with Diamonds", Beatles) und Marihuana (Bob Marley) ist gehuldigt worden. Shakespeare rauchte Haschisch und Kokain, de Quincey schrieb die "Bekenntnisse eines Opiumessers", Huxley über seine Erfahrungen mit LSD. Im Internet können Sie die rund 30 Selbstportraits des Künstlers Bryan L. Saunders betrachten, die er unter dem Einfluss jeweils einer anderen Droge gemalt hat.

Anscheinend teilen viele Künstler die Ansicht von Horaz. Tatsächlich gibt es zwar eine große Mehrheit von Künstlern, die es bei einem mäßigen Konsum von Tabak oder Alkohol belassen haben, aber als ausgesprochener Abstinenzler ist, soweit ich weiß, kein Künstler von Rang je hervorgetreten.

Nun gibt es offensichtlich zwei Möglichkeiten, um die Verbindung von Drogen und Kreativität zu erklären. Die meisten Menschen fliegen auf die erste: Machen Drogen womöglich kreativ?

Alkohol, der große Anreger der Ja-Funktion

Drei Klassen von Drogen verheißen am ehesten, den Zugang zu den schöpferischen Quellen zu öffnen: Alkohol, Psychedelika wie LSD, und Kokain. THC in seinen verschiedenen Darreichungsformen wird zwar mit kreativen Subkulturen assoziiert, steigert aber nach wissenschaftlichen Studien nicht die Kreativität, sondern hemmt sie in hohen Dosen sogar.

Und Opium? Neben de Quincey konsumierten auch Größen wie Berlioz, Poe, Coleridge und Cocteau diese Droge, aber es scheint - möglicherweise aus ethischen Erwägungen - keine wissenschaftliche Untersuchung dazu zu geben, ob sie die Kreativität befeuert. Wahrscheinlich nicht. Denn die Opiatwirkung auf das Belohnungssystem ist so stark, dass der Konsument keine andere Befriedigung mehr sucht: nicht durch Essen, nicht durch Nähe und wohl auch nicht durch schöpferisches Gestalten.

Alkohol ist nicht nur unter der Gesamtbevölkerung, sondern auch unter Künstlern die wohl am häufigsten genossene Droge. Insbesondere sind es wieder einmal die Schriftsteller, die sich gerne mal ein Gläschen genehmigen. Goethes Weinkonsum ist legendär, Schiller hielt sich eher an Champagner, Samuel Coleridge (schon wieder), Jean Paul, Dylan Thomas, Jack London, Charles Bukowski, Ernest Hemingway, Joseph Roth und andere waren Trinker. "Man sollte immer betrunken sein", dichtete Baudelaire.

Auch in anderen Kulturen schätzten Dichter den Wein: Der wunderbare chinesische Poet Li Tai Po gründete in Jugendjahren einen Dichterclub mit dem bezeichnenden Namen "Die acht Poeten der Zechgelage" und ertrank der Legende nach, als er betrunken aus einem Boot heraus den Mond erhaschen wollte, dessen Spiegelbild er im Wasser sah. Sogar im islamischen Persien besangen Hafis in seinen Ghaselen und Omar Khayyam in seinen Rubaiyat den Weingenuss. Doch auch Musiker wie Modest Mussorgsky und Amy Winehouse und Maler wie Vincent van Gogh waren schwere Alkoholiker.

Hat es ihnen was gebracht, künstlerisch? Zumindest ist es möglich, dass der Weingeist sie inspiriert hat. Alkohol verringert nämlich die Kapazität unseres Arbeitsgedächtnisses, also die Fähigkeit, eine Anzahl von Inhalten für kurze Zeit bewusst verfügbar zu halten - wie z. B. eine Telefonnummer. Das Arbeitsgedächtnis ist eine Funktion des seitlichen Stirnhirns. Unter Alkoholeinfluss verliert es diese Fähigkeit, vermutlich aufgrund geringerer Aufmerksamkeitskontrolle. Einfach gesagt: Angeschickert können Sie sich schlechter auf eine Aufgabe konzentrieren, darum können Sie die Gedächtnisinhalte auch schlechter ordnen und verfügbar halten.

Im Gegenzug ist aber eine breitgestreute Aufmerksamkeit eine große Hilfe bei der kreativen Ideenfindung. Und tatsächlich: In einem Vergleich zwischen zwanzig Studenten, die nüchtern bleiben mussten, und zwanzig, die sich mit Wodka-Cranberry-Cocktail (1 : 3, mit Smirnoff-Wodka, präzisiert die Studie) auf 0,7 Promille anduseln durften, lösten die beschwipsten Probanden mehr Einsichtsprobleme aus der remote association task, sie lösten sie schneller, und sie spürten dabei auch häufiger den Aha-Effekt.

Indem er den großen Neinsager Stirnhirn schwächt, macht Alkohol also in Maßen kreativ. Schon viel früher hat der große Psychologe William James das formuliert: "Sobriety diminishes, discriminates, and says no; drunkenness expands, unites and says yes. It is in fact the great exciter of the Yes function in man." (Nüchternheit engt ein, benachteiligt und sagt nein; Trunkenheit erweitert, vereint und sagt ja. Eigentlich ist sie die große Anregerin der Ja-Funktion im Menschen.)

Allerdings gilt natürlich auch: alles in Maßen ("Nie mehr als zwei Flaschen am Abend!", soll Cocteau gesagt haben). Eine einschlägige Veröffentlichung von zwei Psychiatern, von denen einer ausgerechnet Beveridge mit Nachnamen heißt, liefert einen Überblick über die verschiedenen Gründe, warum Künstler trinken, weist aber auch darauf hin, dass ein Alkoholkranker schwerlich arbeitsfähig ist. Und dass die meisten Künstler darum selbst feststellten, dass Alkohol ihre Schaffenskraft mehr hemmt als fördert, und darauf achteten, dass sie bei der Arbeit nüchtern blieben.

Fleischgewordene und getötete Kreativität

Das Gegenteil könnte bei Kokain der Fall sein - der Droge, die wie keine andere mit der Kreativwirtschaft in Verbindung gebracht wird. Dass sich Werbefuzzis ständig eine Linie ziehen, ist als Klischee ja geradezu Allgemeinwissen. Dass die Wirklichkeit mit dem Klischee vermutlich wenige Berührungspunkte hat, versteht sich. Und wissenschaftliche Studien zur Wirkung von Kokain auf Kreativität scheint es nicht zu geben.

Wenn, dann hilft es - wie andere Psychostimulanzien verschiedener pharmakologischer Klassen - bei der Ausarbeitung und Bewertung kreativer Ideen. Denn Kokain hemmt die Wiederaufnahme von Dopamin in die Präsynapsen, aus denen es ausgeschüttet wurde. Diese Wiederaufnahme ist ein wichtiger Mechanismus, um die Wirkung eines Transmitters zu beenden.

Indem Kokain sie für Dopamin blockiert, wirkt dieses also länger und stärker. Im Nucleus accumbens hat das zur Folge, dass sich der Nutzer in seinem Verhalten verstärkt und belohnt fühlt: Das lässt ihn die Droge wieder nehmen. Im Stirnhirn dagegen wirkt die höhere Dopaminausschüttung fokussierend. Manche - nicht alle - Kokainnutzer beschreiben, dass sie im High konzentrierter an ihren Ideen arbeiten können. Sie bekommen aber die Ideen in diesem Zustand nicht; tatsächlich liest man auch von Psychostimulanzien als "Kreativitätskillern".

Sicherer (und billiger) erscheint es sowieso, in der Ausarbeitungsphase auf milde Psychostimulanzien wie Koffein zu setzen. Es ist bezeichnend, dass die einzige wissenschaftliche Veröffentlichung, die "Kreativität" in einen Zusammenhang mit Kokain bringt, einen einfallsreichen Selbstmord beschreibt, den jemand unter Einfluss von Kokain mittels einer Autoantenne verübt hat.

Und schließlich: LSD. "Creativity incarnate" (fleischgewordene Kreativität), wie es ein Internetnutzer genannt hat. Pharmakologisch ist es - ebenso wie Psilocybin, Mescalin, Ayahuasca und andere Psychedelika, die ganz ähnlich wirken - ein Agonist am Serotonin-Rezeptor vom Typ 2A. Das heißt, es regt diesen besonderen Rezeptortyp so an, wie der Neuromodulator Serotonin es tun würde.

In den letzten Jahren erst haben Neurowissenschaftler angefangen, sich dafür zu interessieren, was auf einem psychedelischen Trip im Gehirn passiert. Sie haben festgestellt, dass sich die unterschiedlichen Aspekte des psychedelischen Erlebnisses auch auf getrennte Gehirnaktivierungen zurückführen lassen: Die Intensität der visuellen Halluzinationen korreliert mit der Anregung der Sehrinde. Die eher mystischen Erfahrungen dagegen - Auflösung des Ich, Bedeutungsveränderungen - ließen sich damit in Verbindung bringen, dass Rindenfelder im Umfeld des Hippocampus weniger miteinander kommunizierten. Insgesamt lässt - von der Sehrinde abgesehen - die Tätigkeit des Gehirns während eines Trips eher nach, auch unter Psilocybin. Robin Carhart-Harris und David Nutt vom Imperial College in London, die in den letzten Jahren diese und viele weitere Studien zu Halluzinogenen durchgeführt haben, fassen ihre Befunde darin zusammen, dass Psychedelika einen "entropischen Zustand" des Gehirns hervorrufen. Sie meinen damit einen Verlust der etablierten Ordnung, wodurch sich Netzwerke (wie das Default Mode Netzwerk) ebenso wie die Grenzen zwischen diesen Netzwerken auflösen.

Die Folge sind synästhetische Wahrnehmungen, Bedeutungsverschiebungen, farbige, überraschende Halluzinationen, das Gefühl tiefer Einsichten - tatsächlich scheint LSD die Erfahrungen zu liefern, aus denen die Ideen werden. Studien und Berichte aus den 50er- und 60er-Jahren, als Psychedelika noch nicht dämonisiert waren, unterstützen diese Wahrnehmung: So führten Louis Berlin und Oscar Janinger zwei getrennte Studien durch, in denen sie erfolgreichen Künstlern LSD verabreichten, ehe sie ein Bild malten. Unabhängige Gutachter beurteilten in beiden Untersuchungen die Bilder unter LSD-Einfluss als zwar technisch beeinträchtigt, aber ideenreicher und künstlerisch wertvoller als die Bilder, die vor dem Trip gemalt worden waren.

Auch wissenschaftliche und technische Ideen werden LSD zugeschrieben: Francis Crick will die Doppelhelix dank einer kleinen Dosis LSD verstanden haben, und Kary Mullis behauptet, die Idee zu ihrer Vervielfältigung per Polymerase-Kettenreaktion (für die es ebenfalls einen Nobelpreis gab) auf einem Trip gefunden zu haben. Auch Steve Jobs führte einige seiner Ideen auf seine LSD-Nutzung zurück.

Dem wuchernden Dschungel von beeindruckenden Anekdoten und begeisterten Berichten Dutzender psychedelischer Künstler steht leider eine Wüste an quantitativen Fakten gegenüber. Seitdem LSD vor einem halben Jahrhundert in Nordamerika und Europa in Acht und Bann getan wurde, hat es so gut wie keine wissenschaftlichen Studien mehr damit gegeben. Nahezu alles, was wir darüber wissen, wie LSD die Kreativität beeinflusst, verdanken wir einigen wenigen Untersuchungen, die vorher gemacht wurden und viele Fragen offen lassen. Stets schwärmten die Probanden von ihrer erweiterten Wahrnehmung, ihren neuen Perspektiven und großartigen Ideen. Doch in messbaren Leistungen schlug sich das nur gelegentlich nieder. Den Tests, in denen die Konsumenten von LSD oder anderen Psychedelika besser abschnitten als Kontrollgruppen, standen immer andere gegenüber, in denen sich nichts tat.

Es drängt sich das im Wortsinne ernüchternde Fazit auf, dass es mit den Drogen so geht wie mit der Manie: Wer im Rausch ist, glaubt zwar, superkreativ zu sein, blickt dann aber oft sehr bedröppelt auf peinliche Erzeugnisse, wenn er wieder runter ist. Sowieso gilt, was Michael Ende auf die Unterstellung erwiderte, er habe "Die unendliche Geschichte" unter Drogeneinfluss geschrieben: "Wie armselig müssen Leute dran sein, die sich schöpferische Phantasie nicht anders erklären können." Der einzige Beitrag, den Drogen zum Leben vieler großer Künstler geleistet haben, war, es zu beenden.

Wer den Rausch sucht

Aber warum? Wenn Drogen ihnen nicht halfen, ihre Werke zu schaffen - warum haben so viele Künstler dann Drogen genommen? Wir sprachen oben von zwei Möglichkeiten, diese Korrelation zu erklären. Die zweite ist bislang offen geblieben: dass nicht Drogen kreativ machen, sondern Kreativität anfällig macht für Drogen.

Wir erinnern uns: Ein gemeinsames Merkmal kreativer Menschen ist die Offenheit für Erfahrungen. Und neue Erfahrungen versprechen Drogen sicherlich, auch neue Selbsterkenntnis, neue Sichtweisen der Welt. In einer klassischen Studie, in der nach Langzeitwirkungen von LSD auf die Persönlichkeit gesucht wurde, wurden die Teilnehmer eingangs nach ihrer Haltung zu LSD befragt. Es überrascht nicht, dass sie umso intuitiver, schizotypischer und hypomanischer waren, je mehr sie dem Halluzinogen positiv gegenüberstanden, und umso gewissenhafter, verheirateter und kirchgehender, je stärker sie dagegen eingestellt waren. Die LSD-Freunde verfügten also über die Persönlichkeitsmerkmale kreativer Menschen. Wenn also Psychonauten besonders kreativ sind, muss das nicht an den psychedelischen Drogen liegen - sondern wahrscheinlicher an ihrer Persönlichkeit.

Wenn man durch die psychologische Ebene hindurch bohrt zur neurobiologischen, dann stößt man wieder einmal auf den Transmitter Dopamin. Etliche Studien der letzten Jahre bringen genetische Unterschiede im Dopaminsystem in Zusammenhang mit Persönlichkeitsmerkmalen, die mit Kreativität zu tun haben. Unterschiedliche Formen eines bestimmten Rezeptors, nämlich des Dopamin-Rezeptors Nummer 2 (also kurz D2-Rezeptor), beeinflussen sowohl, wie stark das seitliche Stirnhirn durch Belohnungen aktiviert wird, als auch die Persönlichkeitsdimension "Offenheit für Erfahrungen". Zugleich ist Dopamin als Botenstoff des Verstärkungssystems der Hebel, der Drogengenuss oder die Suche nach neuen Erlebnissen umsetzt.

Zwar gibt es noch keine abschließende Einigkeit darüber, ob man suchtanfällig wird durch ein besonders aktives Dopaminsystem (weil dann Drogen besonders stark wirken), oder durch ein besonders schwerfälliges (weil Drogen den Mangel kompensieren). Vielleicht ist ja auch beides der Fall. Aber die Vermutung liegt nahe, dass diejenigen Eigenschaften des Dopaminsystems, die einen Menschen neugierig, offen und kreativ machen, ihn auch gerne zu Rauschmitteln greifen lassen.

Dieser Text ist ein gekürzter Ausschnitt aus dem Buch "Das schöpferische Gehirn. Auf der Suche nach der Kreativität - eine Fahndung in sieben Tagen" von Konrad Lehmann, erschienen im Oktober 2017 im Springer Verlag.

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