Noch ein Osama-Video, gnä' Frau?

Business ist Terror. Terror ist Business.

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Zürich ist nach München die snobistischste Stadt, die ich kenne. Sie arbeiten hart an sich, die Zürcher, kaufen sich teuerste Klamotten, stehen mit ihren Porsche-Cabrios im Stau und bemühen sich wirklich, ihre Umgebung völlig zu verachten, doch an den Münchner Snobismus kommen sie einfach nicht ran. Diese Stadt ist einfach nicht groß und kühl genug. Außerdem befindet sich Zürich in , stilistisch festgekrallt in den 80ern. Man sagt, es gebe hier noch Türsteher und Spätpunks. In Zürich trifft man Typen wie Ben, den sie alle "den Ruhigen" nennen. "Sie", das ist die Kundschaft. Ben selbst bezeichnet sich als "Brujo". Er ist der einzige Mann in der Stadt, der Drogen aus Schweizerfranken herstellen kann.

Schweizer Geld sieht immer neu aus. Es kommt crisp aus dem Automaten, man merkt gleich, dass es sich hierbei um echtes Geld handelt, nicht wie bei deutschen Hundertern, deren Aussehen und Wert den Benutzer umgehend an "Katzenklo" denken lassen. Deutschland ist einfach fertig, jede Kritik an diesem Land mutet schon heute wie Leichenfledderei an. Das Radio in Bens Küche rotzt einen Text über Helmut Kohl runter, der heute wieder irgendeinen Untersuchungsausschuss erfolgreich verarschen wird. Der Brujo shreddert Schweizerfrankenbargeld in einer kleinen, lauten Maschine. "Das iesst schträng vrrrboten!" knattert er. Schweizerfranken sind der reinste Stoff der Welt. Wenn der Brujo mit ihnen fertig ist, kann man sie auskochen und injizieren oder gleich inhalieren. Das Zeug geht direkt ins System, verheiratet sich mit Blutkörperchen, fickt jungfräuliche Mitochondrien und streichelt den Hypothalamus.

Ich mache sowas nicht zum Spass, denke ich, als mir der Brujo unter komischem indianischem Singsang, der sich wie "Daylightinyoureyes" anhört, eine Spritze mit dem fertigen Zeug aufzieht. Alles für die Recherche, denke ich, immer an die Leser denken! Die Welt wird infografikbunt, faltet sich kaleidoskophaft auseinander und offenbart das hohle Ding in ihrer Mitte. Dabei hat mir der Brujo das Zeug noch gar nicht verpasst! Es ist mein ganz normales Hirn, das sich da selbst mit Stoff versorgt, aber diesmal reicht es nicht, denn ich muss einen Mann finden, der sich hier in Zürich aufhalten soll, und der Stoff soll mich auf seine Spur bringen. "Bist Du erstmal auf Geld, dann wirst Du ihn riechen", hatte der Brujo mir versprochen. Ich mache jeden Scheiß mit. Der Strom bringt dich immer ans Ziel.

Schrecklich, wenn man nicht nur vergisst zu atmen, sondern auch noch, wer man eigentlich ist. Fünf Minuten später geht's wieder und ich trample schweren Fußes zur Tür hinaus. Es zieht alle Zellen meines Körpers magnetisch Richtung Bahnhofstrasse, vor zum Paradeplatz. UBS und Credit Suisse haben ihre ganz eigene Gravitation. Ich springe einem Geldkofferträger in den Weg, blende ihn mit einem 1000-Kilotonnen-Grinsen und entwinde ihm sein schwarzes Aktenköfferchen, entschwinde gnomenhaft kichernd in einer Umkleidekabine des nächsten "H&M". Jedoch Pech: Es sind nur Stullen, ein kroatischer "Playboy" und fragwürdige Unterlagen drin. Aber kein Hinweis auf IHN!

Ahhhh. Ich brauche MEHR GELD! Nicht, dass der Brujo mich nicht gewarnt hätte... Wenn man erstmal damit angefangen hat, dann braucht man immer mehr davon. Geisterhaft weht es mich durch die kalten Straßen, mein Gesicht guckt ziemlich fies, bis ich IHN endlich sehe, als er gerade aus dem Sprüngli gehuscht kommt. Ich greife ihn, zwinge ihn ins nächste Caféhaus. "Sie sind Ahmaad bin Salaad, Chefvolkswirt der Al Quaida!" Er streicht sich den Bart und sagt: "Richtig!"

Das Zeug in meinem Blut beruhigt sich. Alles klar. "Wie läuft die Konjunktur? Geben Sie unseren Lesern ein paar Tips!" "Tipps schreibt man jetzt mit zwei p! Sie wollen ein knallharter investigativer Journalist sein?" "Aber bitte, bleiben Sie!" "Von mir aus. Sie wollen Tipps? Ich bin ja eher Schumpeterianer, also denke ich, dass Innovationen das Geschäft beleben. Wir werden gerade virtuell. Das Downsizing unserer Filialen am Hindukusch war zwar etwas schmerzhaft, aber nur für unsere Mitarbeiter. Den eigentlichen Terror haben wir an unsere Lizenznehmer in Nordamerika und Westeuropa outgesourced. Herr Ashcroft terrorisiert seine Bevölkerung wesentlich effizienter und nachhaltiger als wir das jemals selbst tun könnten. Die dünne Personaldecke hat auch ihre Nachteile. Aber: Unser Business hat Konjunktur. Business ist Terror. Terror ist Business. Keine Regeln mehr! Wir sind unilateral und multinational gleichzeitig."

"Sonst noch was?" "Ich habe hier ein cooles Bin-Laden-Video für Sie! Es zeigt Osama als Teenager, wie er mit einem Airfix-Flugzeug einen Lego-Wolkenkratzer ummäht. Die exklusive Botschaft: Osama war's!" "Danke. Ich habe schon das Band mit dem grinsenden Osama vor der 'Titanic' und das mit Osama beim Absturz der 'Hindenburg'." "Erfolgreiches Branding ist die halbe Miete." "Bei mir staubt mittlerweile schon ein Regalmeter original Bin-Laden-Videos zuhause rum." "Die Amis haben auch welche gekriegt und stellen sich jetzt an wie George Lucas vor der nächsten Star-Wars-Premiere!" "Letzte Woche hab' ich mir drei echte Bin-Ladens aus der Videothek ausgeliehen. Ich hab' jetzt auch so ein Gerät mit künstlicher Intelligenz, mit dem man das Fernsehprogramm auf seinen wahren semantischen Gehalt reduzieren kann. Bush erscheint auf dem Schirm und das Gerät quakt nur ‚money, money, money, kill, oil, kill, kill, kill' und so weiter. Schauderhaft. Osama ist wie ein Nebel. Gibt's den überhaupt?" "Ich glaube schon, aber CNN hat noch kein eigenes Logo für ihn, also kann er auch nur eine Art Testimonial sein." "Habt ihr denn überhaupt keine Moral?" "Doch. Unsere eigene. Wollen Sie wirklich kein Video? Ich hab' hier noch eine ganze Tasche voll mit den Dingern."