Noch nicht aus dem Vollen geschöpft
Kreationisten und Verfechter des Intelligent Design in Deutschland - ein Überblick
Kreationismus, Intelligent Design (ID), christlicher Kulturkampf – es ist nahe liegend bei diesen Begriffen an die USA zu denken. Denn dort haben es Teile der christlichen Rechten in einigen Bundesstaaten geschafft, dass ihre Weltsicht im Biologieunterricht der Schulen gleichberechtigt mit der Evolutionstheorie gelehrt werden muss. In mehr als der Hälfte aller US-Bundesstaaten wird derzeit juristisch darüber gestritten, wie die Entwicklungsgeschichte der Erde und der Menschheit im Unterricht behandelt werden soll. Ebenso nahe liegend aber ist es, sich mal hierzulande zum Thema Kreationismus samt seinen Vertretern umzusehen.
Gerade einmal 6000 Jahre soll es her sein, dass das Universum, die Erde und das Leben geschaffen wurden. So steht es in der Bibel, und was dort steht, wird nicht selten auch geglaubt. Nach einer Umfrage der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland aus dem Oktober 2005 hängen derzeit rund 12,5 Prozent der Deutschen diesem Glauben an. Der Aussage, "das Leben auf der Erde wurde von einem höheren Wesen bzw. von Gott erschaffen, durchlief aber einen langwierigen Entwicklungsprozess, der von einem höheren Wesen bzw. von Gott gesteuert wurde", also einer klassischen ID-These, stimmte sogar jeder vierte Befragte zu. Zusammengerechnet bedeutet das, dass rund 38 Prozent der Deutschen die Evolutionstheorie bestreiten (zum Vergleich: in den USA stimmen fast 65 Prozent der Bevölkerung solchen Aussagen zu).
Wer beim Begriff "Umfrage" die Augen verdreht und ohnehin keiner glaubt, die er nicht selbst in Auftrag gegeben hat, kann sich als Alternative einfach mal in den Foren der Kirchen, insbesondere der evangelischen umsehen. Auch hier sind enorme Sympathien für Kreationismus und Intelligent Design zu beobachten und viele derjenigen, die nicht gleich zustimmen, möchten zumindest über "interessante Aspekte" dieser "Ansätze" diskutieren. Das ist umso aufschlussreicher, da sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche die Evolution nicht verwerfen, sondern sie als vereinbar mit dem christlichen Glauben verstehen. Kritische Auseinandersetzungen der Kirchen mit Kreationismus und ID gibt es zwar, sie sind aber rar.
Gäbe es tatsächlich mehr davon, so müsste von kirchlicher Seite an zentraler Stelle die Auseinandersetzung mit der "Studiengemeinschaft Wort und Wissen e.V." mit Sitz in Baiersbronn geführt werden. Denn hier versammeln sich rund um den Geschäftsführer Reinhard Junker, einen ehemaligen Biologie- und Mathematiklehrer, und den Ehrenvorsitzenden Siegfried Scherer, Professor für Mikrobiologie in München, all jene, die an einem modernen Ausdruck des Schöpfungsmythos arbeiten. In ihren eigenen Worten klingt das so:
Die Studiengemeinschaft Wort und Wissen e.V. ist ein Zusammenschluss von Christen aus vorwiegend wissenschaftlichen Berufen. Sie will in einer vom Pluralismus geprägten Gesellschaft Orientierungshilfe geben. Die Studiengemeinschaft Wort und Wissen vertritt eine biblische Schöpfungslehre. In der kritischen Auseinandersetzung mit säkularen Denkvorstellungen soll gezeigt werden, wie die wissenschaftlichen Daten aus der biblischen Perspektive gedeutet werden können. Die Studiengemeinschaft möchte Denkhilfen geben, mit denen die Tatsachen dieser Welt und wissenschaftliche Erkenntnisse im biblischen Bezug vertreten und Hindernisse zum Glauben an Jesus Christus ausgeräumt werden können.
Angeboten werden Veranstaltungen, Seminare, Exkursionen etc. zu Themen wie "Archäologie und Altes Testament", "Planung in der Natur: Schein oder Sein? Intelligent Design - eine Einführung", aber auch ganz simple Fachtagungen zur Pädagogik oder Informatik. In den Hausmedien "Wort und Wissen-Info" und "Studium Integrale-Journal" werden Texte über "den Ursprung der Vögel" oder "die Besiedelung Europas" in die eigene Weltsicht eingefügt (oder umgekehrt). Zusammen mit dem Evangeliums-Netz und dem cid (christlicher internet dienst GmbH) betreibt man das so genannte genesisnet, wo sich alles aus christlicher Sicht Grundsätzliche zur Evolutionstheorie und ihren vermeintlichen Schwächen findet.
Der bisher größte Erfolg der "Studiengemeinschaft" besteht in dem Schulbuch "Evolution - ein kritisches Lehrbuch", das Junker und Scherer gemeinsam herausgeben. Vor drei Jahren gewann es den deutschen Schulbuchpreis und im kommenden Frühjahr geht es in die sechste Auflage. Es ist nicht der Schulbuchpreis, der den Erfolg darstellt. Er wird von einem obskuren evangelikalen Kuratorium vergeben, das nur Bücher auszeichnet, die "den Schülern Ehrfurcht vor Gott, Nächstenliebe, Toleranz und Dialogfähigkeit auf der Grundlage einer eigenen ethisch hohen christlichen Überzeugung vermitteln". Zudem ist das Buch nicht als offizielles Lehrmittel zugelassen. Vielmehr hätte dieses Werk Scherer im Herbst fast zu einer Einladung bei der Veranstaltungsreihe "Erfurter Dialog" von Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) verholfen (vgl. Kompetent rückständig). Erst nach Protesten lud die Staatskanzlei Scherer wieder aus, was Althaus geärgert haben dürfte – hatte er doch schon bei der Verleihung des Schulbuchpreises die Laudatio auf Scherer gehalten.
Wer in Scherer einen polternden religiösen Fanatiker sieht, liegt nicht ganz richtig. Er ist ein ruhiger und für einen Religiösen erstaunlich sachlich argumentierender Mensch, der in Interviews gerne betont, dass Charles Darwin "ein hervorragender Biologe war" und dass "viele seiner Erkenntnisse" auch heute noch Gültigkeit haben. Für Reinhard Junker scheint das nicht zu gelten. Der Münchener Evolutionsbiologe Josef Reichholf, der ihn mal bei einer Tagung traf, bezeichnet ihn und sein Auftreten als "päpstlicher als der Papst". Junker habe stets nur die Fehler von Evolutionsforschern betont und alle Selbstkorrekturen, wie sie in den Naturwissenschaften auf der Grundlage neuer Erkenntnisse üblich sind, dogmatisch abgebügelt.
Von Old School-Kreationisten, biblischen Schöpfungsmissionaren oder antidarwinistischen Wirrköpfen unterscheiden sich beide dennoch. Genau das ist das Problem bei der "Studiengemeinschaft Wort und Wissen": Mit ihr ist Intelligent Design, dieser moderne Überbau des muffigen und uralten Kreationismus, unauffällig in Deutschland angekommen. Im Vergleich zu den USA ist die Bedeutung der hiesigen Kreationisten und christlichen Antidarwinisten natürlich ein Witz. Aber die Menge der Deutschen, die die Evolutionstheorie ablehnen sowie die erstaunliche Nähe der deutschen ID-Verfechter zu einem CDU-Ministerpräsidenten geben schon jetzt zu denken.