Nominierungen für Turner Preis erhitzen wieder die Gemüter
Kunstfilmer Isaac Julien überraschend in der Endauswahl für den wichtigsten britischen Kunstpreis
Was vereint Pferderennen, Parlamentswahlen und Kunstpreise in Großbritannien? Richtig, der Umstand, dass man auf ihren Ausgang wetten kann. Wieder einmal wurden die Nominierungen für die engere Auswahl für die diesjährige Verleihung des Turner-Preises bekanntgegeben. Für viele überraschend kam die Nominierung des Filmemachers Isaac Julien. Kaum war diese bekanntgegeben, wurde er vom Wettbüro William Hill mit 7-4 als Favorit eingestuft.
Die alljährlichen Diskussionen um den begehrten Preis in britischen Medien - nicht nur in den Boulevardblättern, sondern auch in sogenannten Qualitätszeitungen - reflektieren vor allem das miserable Niveau der Kunstdiskussion in England. Im Mittelpunkt stehen dabei polarisierte Gefechte zwischen Anhängern der gar nicht mehr so jungen "Young British Artists", meist kurz nur mehr YBA's genannt, wie Damien Hirst und Tracy Emin, und jenen, die sich regelmäßig übergangen fühlen. Letztere werfen der Jury und dem Vorsitzenden Nicholas Serota vor, sensationsheischende Arbeiten einer städtischen Elite von Konzeptkünstlern zu bevorzugen, während "echte Künstler" wie sie selbst, die tagtäglich vor der Staffelei sitzen würden, leer ausgingen. Dafür hat sich diese Gruppe schon seit längerem einen Namen zugelegt, sie nennen sich "The Stuckists". Dies beruht auf der Anekdote, dass Tracy Emin ihrem damaligen Boyfriend, einem Maler, zugerufen haben soll, "you are stuck, stuck, stuck". Der Vorwurf, in der künstlerischen Entwicklungen steckengeblieben zu sein, wird nun stolz als Label getragen.
Die Diskussion in den Medien suggeriert, dass es außer den YBA's und den Stuckists keine wesentlichen Bewegungen in der Kunst geben würde und dass die Kritik der Stuckists an der Dominanz der YBA's, die auch andere Kunstfreunde mit Unbehagen erfüllt, tatsächlich Hand und Fuß hätte. Doch von den Stuckists lässt sich vor allem sagen, dass Tracy Emin recht hatte, sie sind wirklich irgendwo tief im 19.Jahrhundert hängengeblieben und sollten besser über zeitgemäße künstlerische Praxis nachzudenken beginnen, anstatt dauerend anklagende Presseinterviews zu geben.
Dass es auch noch andere Arbeiten gibt, die weder sensationalistisch im Stile der YBA's, noch in der von Terpentinölgeruch erfüllten Malereivergangenheit hängengeblieben sind, zeigt die Auswahl der Jury für die diesjährige Turner-Preis-Show. Vor allem die Nominierung von Isaac Julien ist ein lobenswerter Lichtblick. Dieser hat eine wichtige Rolle im Black Filmmakers Movement der achtziger Jahre in London gespielt und trat zunächst vor allem als politischer Filmemacher in Erscheinung. Erst in jüngerer Vergangenheit ging er dazu über, Kurzfilme in Galerien zu zeigen, abgespielt in Multiplayer- und Mehrfachprojektions-Installationen mit synchronisierten DVD-Playern als Quelle. Doch die Presse kann Isaac Julien scheinbar seinen politischen Aktivismus nicht verzeihen und begegnet ihm mit einer für Londoner Kunstkritiker typischen Mischung aus provinzieller Ignoranz und snobistischer Herablassung. Man zeigt sich verwundert über die Nominierung des "in England kaum bekannten Künstlers", der in den USA aber auch Europa hohes Ansehen genießt und auf der Harvard University unterrichtet. Das Versäumnis der lokalen Kunst-Cliquen, Isaac Julien früher wahrgenommen zu haben, wird zum Vorwurf gegen ihn umgemünzt. In der Beschreibung seiner Arbeit dominieren kaum verhohlener Sexismus und Rassismus. Die Attribute "schwarz" und "homosexuell" werden in einem Atemzug damit genannt, dass seine Arbeiten "visuell überwältigend und sinnlich" seien. Übersehen wird dabei, dass Isaac Julien vor allem auch ein sehr politischer und analytisch intellektueller Filmemacher ist. Sein Portrait des französischen Arztes, Schriftstellers und Widerstandskämpfers Frantz Fanon, benannt nach einem von dessen Büchern "Frantz Fanon: Schwarze Haut, weiße Maske", demonstriert seine Fähigkeit, einen schwierigen Stoff in 70 Minuten Länge für ein größeres Publikum von nicht bereits Überzeugten stimmig aufzubereiten.
Weitere Nominierungen sind: Richard Billingham, ein Fotograf, der vor allem durch Portraits seiner Arbeiterklasse-Eltern bekannt wurde, die ihr Leben kettenrauchend und trinkend in einer Hochhaussozialwohnung in Birmingham verbringen; Mike Nelson, der Installationen aus gefundenen Objekten macht und von den Kettenhunden der Tagespresse dafür als "Abfallkünstler" heruntergemacht wird; sowie Martin Creed, dem angekreidet wird, dass er ein zerknülltes Blatt Papier als Skulptur für 2000 Pfund verkaufen konnte. Keiner von ihnen zählt zu den Insidern der Sofa-Kuschel-Mafia und ihr Oeuvre umfasst weit mehr als die einseitig herausgepickten, "anstößigen" Merkmale, an denen sich der populistische Mediengeist sensationslüstern aufgeilen kann.
Die Arbeiten der nominierten Künstler werden ab 7.November 2001 bis 20.Januar 2002 in der Tate Gallery gezeigt, der Gewinner des mit 20.000 Pfund dotierten Preises wird am 9.Dezember bekanntgegeben. Im Vorjahr hatte der in London lebende deutsche Fotograf Wolfgang Tillmans gewonnen.