Nordirak: Jesiden befürchten erneut Vertreibungen
- Nordirak: Jesiden befürchten erneut Vertreibungen
- Die irakische Regierung und die PKK
- Kurdische Autonomieregierung blockiert Wiederaufbau im Shengal
- Spielball der Gebietsansprüche der KDP
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Die Türkei droht mit einem Einmarsch: PKK soll Shengal verlassen. Erdogan übt Druck auf die kurdische Regionalregierung unter Barzani aus
Ankara meldet Ansprüche in Shengal (Sindschar) an, einem der Siedlungsgebiete der Eziden (Jesiden). Erdogan hatte schon mehrfach angekündigt, sein Einflussgebiet auf Nordsyrien und Teile des Iraks bis nach Kirkuk auszuweiten. Dabei geht es ihm vor allem um die Vertreibung der PKK aus dem Shengal.
"Die Ausbreitung der PKK nach Westen und die Tatsache, dass sie in Sindschar Unterschlupf findet, ist nicht akzeptabel für uns. Es ist ein Sicherheitsproblem. Nicht nur für die Türkei, sondern auch für die kurdische Regionalregierung im Irak", äußerte der türkische Premierminister Binali Yildirim auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Barsani Anfang Januar 2017.
Die Eziden befürchten nun erneute Vertreibungen aus ihrem Siedlungsgebiet, denn der Türkei wie auch der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak sind die kurdischen Eziden mit ihren demokratischen Selbstverwaltungsplänen im Shengal ein Dorn im Auge.
Zur Vorgeschichte
In der Nacht vom 2. auf den 3. August 2014 überfiel der IS das Shengal-Gebiet und ermordete Tausende von Eziden, verschleppte und versklavte tausende ezidische Frauen und Mädchen. Dabei kam der Überfall auf das Shengal-Gebiet nicht überraschend, denn nach der Einnahme von Mosul war es nur eine Frage der Zeit, wann der IS die Eziden im Shengal-Gebiet überrennen würde.
Von der Barzani-Regierung waren damals alle Warnungen mit dem Hinweis abgetan worden, zum Schutz der Eziden seien dort zehntausend Peschmergas stationiert. Wegen dieser Schutz-Zusage der kurdischen Autonomieregierung hatte sich die irakische Regierung aus dem Shengal zurückgezogen.
Das damalige Angebot der PKK, Einheiten ihrer im Kampf mit dem IS erprobten HPG und Einheiten der syrischen YPG im Shengal zu stationieren, hatte Barzani abgelehnt. Als dann der IS in das Shengal-Gebiet eindrang, ergriffen die Peschmergas die Flucht. Erst dadurch wurde der anschließende Genozid an den Eziden möglich.
Am Ende waren es neun Kämpfer der PKK welche die Zufahrtsstraße ins Shengal-Gebirge sicherten und so zehntausenden von Eziden die Flucht ins Gebirge ermöglichten. Danach kämpften YPG/YPJ einen zeitweisen Korridor vom Gebirge nach nach Rojava frei und ermöglichten vielen Eziden die Evakuierung dorthin.
Die Eziden bildeten nach der Befreiung Shengals im November 2015 eigene Selbstverteidigungseinheiten (YPS), die von der Einheiten der PKK/HPG ausgebildet wurden. Nach den schlechten Erfahrungen mit den Peschmergas wollten sie sich nicht mehr auf deren Schutz verlassen. Sie gründeten einen ezidischen Volksrat, der den Wiederaufbau Shengals organisieren sollte. Allerdings akzeptiert die KRG unter Barzani weder die ezidischen Selbstverteidigungseinheiten noch den ezidischen Volksrat.
PKK soll Shengal verlassen
Kürzlich drohte nun der stellvertretende türkische Premierminister Veysi Kaynak mit einer Intervention in Shengal, sollte die kurdische Autonomieregierung (KRG) nicht selbst dafür sorgen, dass die PKK den Shengal verlässt: "Ankara wird nicht erlauben, dass aus Shengal ein weiteres Kandil wird".
Allein - das Shengal-Gebiet gehört nicht zum Territorium der kurdischen Autonomieregierung, obwohl sie hier Gebietsansprüche anmeldet. Rechtlich ist das Shengal-Gebiet an den Zentralstaat Irak angebunden. Somit ist die kurdische Regionalregierung überhaupt nicht für Shengal zuständig und damit der falsche Ansprechpartner für die Türkei.
Ende Dezember forderte die Barzani-Regierung die PKK auf, das Shengal-Gebiet zu verlassen, andernfalls würde sie die PKK mit Gewalt zum Abzug zwingen. Der Kommandant der Shengal-Selbstverteidigungseinheit (HPG) konterte, niemand könne die PKK zum Abzug aus dem Shengal zwingen und mahnte zur kurdischen Einheit:
History has proven that nobody can push us out of Shengal by use of force. Making such a statement targeting our forces in Shengal while remaining silent on the occupation by the Turkish state of many territories in South Kurdistan, harms Kurdish unity.
Kommandant der Shengal-Selbstverteidigungseinheit (HPG)
Der US-Regierungssprecher der Obama-Regierung, John Kirby, forderte in einem Statement Mitte Dezember 2016 ebenfalls einen Abzug der PKK-Einheiten, da sie ein Haupthindernis für eine Aussöhnung der verschiedenen Akteure seien.
Kurdische Autonomieregierung unter Druck aus der Türkei
Die kurdische Autonomieregierung steht derzeit erheblich unter Druck. Ähnlich wie in der Türkei liegt die Wirtschaft am Boden. Gleichzeitig ist die Region von der Türkei chronisch abhängig. Das ist Erdogans Faustpfand bei seinen Machtspielen zwischen der von ihm weitgehend abhängigen kurdischen Autonomieregion und der schwächelnden irakischen Zentralregierung.
Bei aller Rhetorik und Muskelspielereien der beteiligten Akteure gab es nun anscheinend eine Einigung, nachdem die Türkei die irakische Regierung und die Regierung der kurdischen Autonomieregion unter Druck gesetzt hatte. Die PKK müsse sich aus dem Shengal zurückziehen, ansonsten würde man in den Irak einmarschieren.
In den letzten Wochen gab es dafür schon Vorbereitungen. Das türkische Militär bombardierte wiederholt Dörfer in Rojava im Grenzgebiet Syrien/Irak/Türkei auf syrischem Territorium. Es ist eine dünn besiedelte Gegend im Grenzgebiet und die von türkischen Truppen leicht zu besetzen wäre, weil die SDF momentan ihre Kräfte auf die Eroberung von Rakka konzentrieren.
Türkische Truppen könnten auf syrischer Seite, ohne irakisches Territorium zu verletzen, bis zur syrisch-irakischen Grenzstation Rabia vordringen und von dort ins irakische Shengal-Gebirge vorstoßen.
Liest man die wenigen Medien aus der Region, so scheint es, dass alle Parteien bei diesem Agreement versuchen ihr Gesicht zu wahren. Der Sprecher der kurdischen Autonomieregierung, Safin Disaji (Safeen Dizayee), teilte in Erbil der Presse mit, dass die PKK-Führung dem Abzug zugestimmt hätte.