Nordkorea will den Irak-Konflikt ausbeuten

Die "Achse des Bösen" fordert die US-Regierung heraus

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Der Kampf gegen den Terrorismus, der von den USA in die Strategie der Sicherung der militärischen Überlegenheit eingelagert wurde, hat die Welt ganz offensichtlich bislang nicht sicherer gemacht. Nicht nur wächst in Reaktion auf das amerikanische Vorgehen die Bedrohung durch den Terrorismus, die durch den geplanten Krieg gegen den Irak noch weiter zunehmen dürfte, im Windschatten der amerikanischen Orientierung auf einen Krieg mit dem Irak ist nun mit Nordkorea ein weiterer Staat der "Achse des Bösen" provokativ auf die Bühne getreten und zwingt die US-Regierung zum Handeln, will sie nicht gänzlich unglaubwürdig werden.

Zu erwarten ist, dass die Waffeninspekteure, selbst mit der Unterstützung von amerikanischen Geheimdienstinformationen, im Irak keine Massenvernichtungswaffen und auch keine entsprechenden Rüstungsprogramme mehr finden werden. Es lässt sich kaum vorstellen, dass Saddam Hussein sonst die Türen, wie bislang geschehen, derart weit aufgemacht hätte. Anders dürfte der Fall bei Dual-use-Technologien liegen, die bekanntlich für Deutungen offen stehen. Auch der bereits stattfindende Nadelstichkrieg zwischen den amerikanischen und britischen Kampfflugzeugen, die immer wieder Stellungen und auch zivile Strukturen bombardieren, und der irakischen Flugabwehr, die jetzt eine womöglich bewaffnete Drohne abgeschossen hat, könnte zu einer Eskalation führen. Inzwischen sucht auch der israelische Ministerpräsident Scharon die Lage für sich auszunutzen und Syrien mit in den Irak-Konflikt hineinzuziehen. Er beschuldigte das Land, chemische und biologische Waffen aus dem Irak aufgenommen zu haben. Überdies sollen Raketen aus dem Irak über Syrien an die Hisbollah weiter geleitet worden sein.

Schon lange hatten Kritiker der US-Regierung vorgeworfen, dass im Hinblick auf die Verfügung über Massenvernichtungswaffen und Langstreckenraketen der Nordkorea für die USA und den Weltfrieden sehr viel gefährlicher ist. Doch Präsident Bush, der trotz der anfangs weltweiten Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus schon große Mühe hatte, das schon kurz nach dem 11.9. geplante Vorgehen gegen den Irak (Bush gegen Hussein, II. Akt?), der keine Beziehungen zu al-Qaida hatte, zu rechtfertigen, scheute wohl davor zurück, auch den bis an die Zähne bewaffneten asiatischen Staat ins Visier zu nehmen. Ein Krieg gegen Nordkorea wäre noch viel weniger mit dem Kampf gegen den Terrorismus zu rechtfertigen, dafür wäre er womöglich weitaus gefährlicher als gegen den geschwächten, militärisch weit unterlegenen Irak. Nordkorea besitzt die viertgrößte Armee der Welt. Zudem verfügt das Land, dessen Regime noch repressiver ist als das Husseins und große Teile der Bevölkerung in Armut und Hunger hält, über große Mengen an biologischen und chemischen Waffen sowie über Mittel- und auch Langstreckenraketen wie die Taepo Dong-2, die auch den USA gefährlich werden könnten. Raketen werden von Nordkorea seit langem an Staaten wie Ägypten, Iran, Libyen, Pakistan, Jemen oder Syrien geliefert.

Vielleicht weil Diktaturen zu theatralischen Inszenierungen neigen und der nordkoreanische Präsident Kim Jong Il diese auch im Auftreten der US-Regierung spüren konnte, während die bislang guten Beziehungen zwischen den USA und Südkorea schlechter wurden, hat sich das Regime anscheinend entschlossen, auf die Bühne zu treten und mit der Supermacht herausfordernd zu spielen. Welche Absichten wirklich hinter der Taktik und den martialischen Posen stehen, lässt sich bestenfalls erraten, klar ist jedoch, dass damit der Weltfrieden noch unsicherer geworden ist. Pjöngjang will direkt mit der US-Regierung verhandeln, da das Abkommen über die Versiegelung der Atomreaktoren mit den USA, nicht mit der UN geschlossen wurde, und warnt vor einer "Internationalisierung" des Themas. Die US-Regierung verwahrt sich gegen jede "Erpressung" und hat bereits mit Krieg gedroht, Südkorea setzt hingegen auf Verhandlungen. Verteidigungsminister Rumsfeld hatte am Montag erklärt, man könne auch gleichzeitig zwei Kriege führen - und überdies sei Nordkorea keineswegs wegen der amerikanischen Irak-Politik gestärkt.

Taktik und Rhetorik

Zunächst wurde bekannt, dass Nordkorea gegen ein Abkommen mit den USA aus dem Jahr 1994 verstoßen hat und anscheinend seit einiger Zeit wieder angereichertes Uran herzustellen sucht, mit dem sich auch Atombomben entwickeln ließen (Update: Die US-Regierung hat dem Kongress die Informationen über das nordkoreanische Atomwaffenprogramm vorenthalten). Dass Nordkorea seine Raketen auch an Länder in die Krisenregion im Mittleren Osten liefert, wurde erst Anfang Dezember wieder bekannt, als von spanischen Kriegsschiffen im Rahmen von Enduring Freedom Scud-Raketen für den Jemen auf einem nordkoreanischen Frachter entdeckt wurden. In Israel geht man allerdings offenbar weiter davon aus, dass die Scuds eigentlich an den Irak geliefert werden sollten. Und die Internationale Atomenergiebehörde IAEA gab bekannt, dass von Nordkorea die Versiegelung und die Überwachungstechnik bei drei Nuklearanlagen entfernt wurden.

Mousepad aus Nordkorea

Insbesondere mit der Inbetriebnahme der Wiederaufbereitungsanlage für atomare Brennstäbe in Yongbyon und der Weiterverarbeitung der dort lagernden 8.000 plutoniumhaltigen Brennelemente, könnte Nordkorea schnell in der Lage sein, waffenfähiges Plutonium herzustellen. Überdies sollen, wie die südkoreanische Regierung berichtete, bereits neue Brennstäbe an den Reaktor geliefert werden. Als Argument für die Wiederinbetriebnahme wurde von Nordkorea angeführt, dass die Reaktoren wieder zur Elektrizitätsgewinnung benötigt würden, nachdem die USA und andere Länder wegen der bekannt gewordenen Fortführung des Atomwaffenprogramms kein Öl mehr liefern. Überdies sei für Nordkorea die Öffnung der Anlagen die Gewähr, seine Souveränität und Sicherheit zu wahren.

Auf die Reaktion der US-Regierung, sich einer Erpressung nicht zu beugen und notfalls zwei Kriege führen zu können, antwortete Nordkorea, dass sich die koreanische Halbinsel "am Rande eines Atomkrieges" wegen der harten Haltung der USA befinde. Die US-Regierung fordert eine sofortige Beendigung des Atomwaffenprogramms, will aber offensichtlich trotz der Äußerung Rumsfelds in keinen militärischen Konflikt zusätzlich zum Irak hineingezogen werden. Es gebe, so versicherte Sean McCormack, der Sprecher des Außenministeriums, keine Absicht, in Nordkorea einzumarschieren. Man wolle eine friedliche Lösung.

Der nordkoreanische Verteidigungsminister Kim Il Chol hat, wie die nordkoreanische Nachrichtenagentur mitteilte, den USA am Dienstag damit gedroht, dass die nordkoreanische Soldaten sich darauf vorbereiten würden, "menschliche Bomben und Kämpfer zu werden, die sich selbst in die Luft sprengen, um das Hauptquartier der Revolution zu verteidigen". Überdies seien "die revolutionären Streitkräfte unter der weisen Führung von Kim Jong Il unbesiegbar geworden, da sie moderne offensive und defensive Waffen besitzen, mit denen sie alle Feinde schlagen können".

Überdies wehrt sich Nordkorea dagegen, wegen des Verkaufs von Raketen als Händler von Massenvernichtungswaffen beschuldigt zu werden. Niemand habe das Recht, dagegen vorzugehen, weil der Verkauf von Raketen das Recht eines jeden souveränen Staates sei. Zudem seien die USA selbst der weltweit größte Waffenexporteur.

Unberechenbarer Spieler

Das von Diktator Kim Jong Il begonnene Spiel ist auch deswegen gefährlich, weil niemand weiß, wie weit dieser gehen und wie "rational" er handeln wird. Das verarmte Land ist fast hermetisch abgeschlossen. Bei Saddam Hussein lässt sich davon ausgehen, dass er auf Überleben und Machterhaltung setzt und daher mit entsprechenden Mitteln unter Druck zu setzen ist. Allerdings hatte die US-Regierung auch ihren Teil an dem Spiel, denn sie erklärte das Abkommen von 1994 mit Nordkorea als ungültig, nachdem bekannt wurde, dass Nordkorea möglicherweise wieder mit einem Atomwaffenprogramm begonnen hatte. Als Teil der von Bush identifizierten "Achse des Bösen" (Zehntausende über die Welt verstreute tickende Zeitbomben) will Kim Jong Il aber sicher auch nicht warten, bis die US-Regierung nach dem Irak sich dann möglicherweise Nordkorea zuwendet und dort ebenfalls einen Regimewechsel einfordert. In Südkorea sind überdies noch 37.000 US-Soldaten stationiert - und damit möglicherweise direkt gefährdet.

1994 hatte sich Nordkorea noch von einer friedlichen Lösung "überzeugen" lassen. Damals hatte Nordkorea noch unter dem Präsidenten Kim Il Sung, der dann aber während der Verhandlungen mit den USA gestorben war, gedroht, Atombomben herzustellen und Südkorea damit anzugreifen. Präsident Clinton hatte für die Beendigung des Atomwaffenprogramms und die Überprüfung durch die IAEA die Lieferung von jährlich einer halben Million Tonnen Öl sowie den Aufbau von zwei Leichtwasserreaktoren und der Erleichterung mancher Wirtschaftssanktionen angeboten, mit denen sich kaum waffenfähiges Material herstellen lässt. Offenbar drohte er aber auch damit, die Anlage von Yongbyon zu bombardieren, falls Nordkorea nicht auf das Geschäft eingehen sollte. Möglicherweise will Kim Jong Il jetzt nur einen besseren Handel mit den USA herausschlagen, weil er denkt, dass diese mit dem Irak genug beschäftigt ist und keinen zweiten ernsthaften Konflikt wünscht.