Nordostsyrien: Ist die demokratische Selbstverwaltung Vasall der USA?

Seite 2: Öl ist notwendige Finanzierungsquelle

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Im Gebiet der Selbstverwaltung gibt es bekanntermaßen Ölquellen. Natürlich dienen sie der Finanzierung der Region. Woher sonst sollen auch die Mittel für die Versorgung der Bevölkerung im anhaltenden Corona-Lockdown kommen?

Die Selbstverwaltung organisiert mit Tanklastern die Wasserversorgung der Bevölkerung, sie versorgt angesichts explodierender Preise in Syrien und leeren Ladenregalen die nordsyrische Bevölkerung mit erschwinglichen Grundnahrungsmitteln.

Es gab in der Vergangenheit immer wieder Angebote an die Türkei, türkische Waren zu kaufen, wenn sich die türkische Regierung auf Friedensverhandlungen einlassen und aus den besetzten Gebieten in Nordsyrien abziehen würde. Angesichts der rasanten Talfahrt der türkischen Lira wäre dies sogar eine Option für die Türkei, die eigene Wirtschaft zu stabilisieren. Aber Präsident Erdogan hat keinen Verständigungswillen und obendrein, wie auch im östlichen Mittelmeer zu beobachten ist, seine neo - osmanischen Expansionspläne.

Auch die Angebote an die syrische Regierung zur Kooperation unter der Bedingung der Anerkennung von ethnischen und religiösen Minderheiten wurden in den Verhandlungen zwischen der Selbstverwaltung und der Assad-Regierung von Damaskus bisher immer abgelehnt.

Die syrische Regierung hält trotz des mittlerweile zehnjährigen Krieges und dem Verlust vieler syrischer Gebiete an die Türkei starrsinnig an ihren alten Doktrinen fest, die den türkischen minderheitenfeindlichen Doktrinen stark ähneln.

Corona-Virus ist in Nordsyrien angekommen

Die Anzahl der bestätigten Infektionen mit dem Coronavirus im Autonomiegebiet Nord- und Ostsyrien ist auf 138 Infizierte gestiegen. Sechs Menschen sind bisher an Covid-19 gestorben. Angesichts der Zahlen aus den USA, Latein - und Mittelamerika wie aus Asien sind das auf den ersten Blick geringe Zahlen.

Zunächst hatten die Autonomiegebiete die Pandemie dank frühzeitiger Kontaktbeschränkungen ja gut im Griff und konnten sich mit weitgehend geschlossenen Grenzen und strikten Quarantäneauflagen monatelang erfolgreich gegen Covid-19 wehren. Angesichts des nur noch rudimentär vorhandenen Gesundheitssystem in der Region und angesichts der schlechten Versorgungslage und der vielen Binnenflüchtlinge mit einer nach 9 Jahren Krieg, labilen physischen und psychischen Gesundheit, steht die Region vor einer humanitären Katastrophe.

Bis 2011 galt Syrien als ein Land mit einer relativ guten Gesundheitsversorgung. Staatliche Krankenhäuser waren mehrheitlich kostenlos und das System der Polikliniken garantierte mehr oder weniger eine landesweite Abdeckung. Polio, Tuberkulose und Leishmaniose waren unter Kontrolle oder sogar ausgerottet. Die Versorgung von Krebs- und Herzkranken war im Vergleich zu den Nachbarländern vorbildlich - und vor allem für die Mehrheit der Bevölkerung auch erreichbar. Mittlerweile gibt es in Regimegegenden kaum noch funktionsfähige Gesundheitseinrichtungen.

ANF

Der Kurdische Rote Halbmond (Heyva Sor a Kurd) und die Menschenrechtsorganisation Efrin wandten sich mit einem dringenden Unterstützungsappell an die Weltgesundheitsorganisation, UNICEF und das Internationale Rote Kreuz. Inzwischen findet ein rasanter Anstieg der Covid-19-Infektionszahlen statt.

Die Lage droht außer Kontrolle zu geraten, insbesondere in Regionen, die an Regimegebiete grenzen. Besonders betroffen scheint die Region Sehba zu sein, die an die türkisch besetzten Gebiete grenzt. Der kurdische Rote Halbmond befürchtet, dass die Infektionswelle auch die Camps mit Vertriebenen erfasst.

Das Lager Serdem zum Beispiel beherbergt Tausende Vertriebene aus Afrin, in vier weiteren Camps leben ebenfalls Vertriebene aus der von der Türkei besetzten Region. Um die Versorgung der Menschen in dem Kanton zu gewährleisten, muss man nach Aleppo reisen, wo es bereits eine Vielzahl von Corona-Infizierten gibt. Damit wird das Virus in die Region Sehba eingeschleppt. Allein seit Anfang August haben sich dort Dutzende Menschen mit Corona angesteckt.

Keine deutsche Hilfe für die Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien

Die Bundesregierung hatte angekündigt, der Region 1 Million Euro Soforthilfe für die Corona-Pandemie bereit zu stellen. Allerdings ist von dieser Soforthilfe die Hilfsorganisation Heyva Sor a Kurd (dt.: Kurdischer Roter Halbmond) ausdrücklich ausgeschlossen. Dies obwohl es der Kurdische Rote Halbmond ist, der das Gesundheitssystem der Selbstverwaltung aufgebaut hatte und es mit Unterstützung internationaler NGOs angesichts steigender Covis-19 Fälle überhaupt noch rudimentär am Laufen hält.

Bisher blieb im Dunkeln, wer Empfänger der deutschen Covid-19-Millionen für die Region ist.

Mit dem Argument, man finanziere nicht in Krisengebieten, sind auch Gelder für entwicklungspolitische Projekte deutscher NGOs in der Region in den Bereichen Ökologie, Bildung und Ausbau des Gesundheitswesens gesperrt.

Im Nordwesten Syriens, im türkisch und islamistisch kontrollierten Idlib, scheint es allerdings durchaus möglich zu sein, staatliche deutsche Hilfsgelder einzusetzen. Und auch Projekte jener Fraktion des ENKS, die die demokratischen Bemühungen der Selbstverwaltung unterläuft, waren mit offizieller deutscher Hilfe möglich, genauso wie die Finanzierung mit mehreren hunderttausend Euro eines ENKS-Büros in Berlin.

Humanitäre Hilfe geht an Damaskus

Die humanitäre Hilfe von UN-Institutionen wird absurderweise nach wie vor allein über Damaskus organisiert. Sämtliche internationalen Hilfsprogramme der UNO müssen vor allem auf russischen (und chinesischen) Druck hin mit der syrischen Regierung koordiniert werden. Also entscheiden letztlich Assad und Putin darüber, wo die UN mit welchen Strukturen Hilfen umsetzen darf. Man stimmt sich also mit einer Regierung ab, die man mit Sanktionen belegt hat und über die man weiß, dass es in großem Maßstab gegen Menschenrechte verstößt.

Erinnert sei hier an die vielen Foltergefängnisse des Regimes: Nach wie vor ist das Schicksal von 150.000 politischen Gefangenen in Syrien ungeklärt (medico-rundschreiben 02/20, Seite 21). Angesichts dieser Strukturen kann gar keine nennenswerte Hilfe im Gebiet der Selbstverwaltung ankommen.

In der UNO wird immer wieder gefordert, den Grenzübergang al-Yarubiya zwischen Syrien und dem Irak wieder zu öffnen. Al-Yarubiya wäre der einzige offizielle Grenzübergang für UN-Hilfe in die Region. Im Januar dieses Jahres sorgte ein Veto von Russland und China im UN-Sicherheitsrat dafür, dass diese Grenze geschlossen blieb.

Der Grenzübergang Semalka/Fish Khabur zwischen dem kurdischen Autonomiegebiet im Nordirak und dem Gebiet der Selbstverwaltung in Nordsyrien darf von UNO-Organisationen nicht genutzt werden, da es kein offiziell anerkannter Grenzübergang ist. Trotzdem gelangt auf diesem Weg minimale humanitäre Hilfe in die Region - was aber immer vom Wohlwollen der nordirakischen Autonomiebehörden von Barzanis KDP abhängig ist.