Normandie-Treffen mit Putin und Selenskyj
Vor der Zusammenkunft bekam der ukrainische Staatspräsident eine Fortsetzung des Gas-Transits durch sein Land und einen neuen Kredit der Weltbank in Aussicht gestellt
Heute trifft der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin, seinen französischen Amtskollegen Emmanuel Macron und die deutsche Regierungschefin Angela Merkel. Dieses Treffen in der französischen Hauptstadt Paris ist das erste im so genannten "Normandie-Format" seit drei Jahren. Ziel dieser Zusammenkünfte ist es, den Konflikt in der Ostukraine zu entschärfen.
Kurz vorher empfing Putin in der russischen Tourismusmetropole Sotschi eine 22-köpfige Delegation aus deutschen Unternehmern, Managern und Wirtschaftsfunktionären, der unter anderem der Siemens-Vorstandsvorsitzende Josef Käser angehörte.
Die Mähdrescherherstellerin Cathrina Claas-Mühlhäuser meinte danach, sie hoffe, "dass nach dem Treffen in Paris der Abbau der Sanktionen beginnen" könne: "Denn die Milliarden, die wegen der Sanktionen verloren gehen, können in den Wiederaufbau der Wirtschaft und die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents investiert werden." In diesem Zusammenhang schlägt sie einen "europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes für die Ukraine" vor, bei dem die Wirtschaftsverbände die Staaten ihren Angaben nach gerne beraten würden.
Frische 5,5 Milliarden Dollar
Damit stellte sie am Wochenende nicht das einzige Zuckerbrot für Selenskyj in Aussicht: Kristalina Georgiewa, die neue bulgarische Direktorin des Weltwährungsfonds IWF, ließ nach einem Telefonat mit ihm mitteilen, ihre Organisation habe sich "grundsätzlich" auf einen neuen Kredit für das Land geeinigt, der mit 5,5 Milliarden Dollar deutlich höher wäre als die im Dezember 2018 bewilligten 3,9 Milliarden Dollar, von denen bislang lediglich 1,4 Milliarden Dollar tatsächlich flossen. Dieser grundsätzlichen Einigung müssten jetzt noch das Direktorium und die IWF-Mitgliedsstaaten zustimmen, wobei sie Fortschritte bei der Stabilisierung des ukrainischen Bankenwesens, bei der Gewaltenteilung und beim Kampf gegen die Korruption berücksichtigen würden.
Gleichzeitig verlautbarte Wladimir Putin, die Fertigstellung der neuen Gaspipeline Nord Stream 2 bedeute "nicht, dass Russland die Absicht hegt, den Gastransit durch das Territorium der Ukraine zu unterbrechen". Vorher hatte die ukrainische Außenministerin Elena Serkal öffentlich auf eine Verzögerung durch amerikanische Sanktionen gehofft, die die Position ihres Landes bei den Verhandlungen über einen neuen Druschba-Transitvertrag deutlich verbessern würde. Solche Sanktionen hat der US-Senat im November in den Entwurf des National Defense Authorization Act (NDAA) aufgenommen (vgl. "Kraft Sibiriens" liefert russisches Gas nach China).
Minenräumung und Gefangenenaustausch
Die Zusage, dass weiterhin russisches Erdgas durch die Ukraine fließen soll, lässt allerdings offen, in welchem Volumen das geschehen wird. Yuri Vitrenko, der geschäftsführender Direktor des staatlichen ukrainischen Energiekonzerns Naftogaz, denkt deshalb darüber nach, wie sich die Druschba-Leitungen nutzen lassen, wenn Deutschland nicht mehr so sehr darauf angewiesen ist. Eine Möglichkeit sieht er darin, Ländern wie der Slowakei und Rumänien mehr Gas zu liefern.
Als Alternative oder Ergänzung dazu schwebt ihm vor, in den Rohren Gas zu lagern, mit dem die Deutschen zeitweise anfallende Energie-Überkapazitäten aus Photovoltaikanlagen und Windrädern speichern könnten. Damit, so Vitrenko, werde sich allerdings wahrscheinlich kaum so viel Geld verdienen lassen wie mit der Durchleitung von russischem Gas (vgl. Dänische Energiebehörde genehmigt alternative Nord-Stream-2-Route).
Auch ohne Normandie-Treffen gab es seit dem Wechsel von Petro Poroschenko zu Wolodymyr Selenskyj einige Fortschritte bei der Entspannung: Im Juli bauten sowohl die ukrainische Staatsführung als auch die Lugansker Separatisten Stellungen bei Stanyzja Luganska, so dass dort Minen geräumt werden konnten, und im September ließen Moskau und Kiew jeweils 35 Gefangene frei, die in den letzten Jahren im Rahmen der Streitigkeiten gemacht worden waren. Die Ukraine bekam dabei unter anderem Militärangehörige zurück, die Russland beim Kertsch-Zwischenfall festgenommen hatte (vgl. Ukraine will nach Zwischenfall an der Straße von Kertsch Kriegsrecht verhängen).