Notkühlprobleme von Fukushima-Reaktoren seit 1971 bekannt
"Wir konnten nicht in der Öffentlichkeit zugeben, dass die Sicherheitssysteme möglicherweise nichts taugen"
In einem Dokumentarfilm zeigte ein BBC-Journalist schon 1992 auf, dass gravierende Probleme an den Notkühlsystemen des Reaktortyps von General Electric in Fukushima lange bekannt waren. Bei Tests stellte schon 1971 die US- Atomaufsichtbehörde (AEC) gravierende Fehler an den Siedewasserreaktoren fest, ohne dass dies Konsequenzen gehabt hätte. Die Aussagen der Wissenschaftler werfen auch einen neuen Blick auf die Schwesterreaktoren im spanischen Santa Maria de Garoña und im schwedischen Okarsham, die noch früher ans Netz gingen als Block 1 in Fukushima Daiichi. 2010 weilten Ingenieure aus Fukushima in Garoña, um von den "sehr wertvollen Praktiken" zu lernen, und in Spanien für eine Laufzeit von mindestens 60 Jahren zu werben.
Nach der Kernschmelze in den Reaktoren von Fukushima Daiichi wirkt ein Artikel in der spanischen Zeitung "Diario de Burgos" vom Juni 2010 skurril. Kurz nachdem die spanische Regierung ihr Versprechen, aus der Atomkraft auszusteigen, mit der Verlängerung der Laufzeit des ältesten Atomreaktors im Land definitiv gebrochen hatte, war der Fukushima-Ingenieur Takeyuki Inagaki mit einigen Kollegen in den spanischen Nordwesten gereist, um dem Reaktor einen Besuch abzustatten. Doch es ging dem japanischen Generaldirekter der Instandhaltungsabteilung weniger um einen Erfahrungsaustausch, sondern er machte vor allem Werbung dafür, die Laufzeit des Uraltreaktors an der Grenze zum Baskenland bis 2019 zu verlängern.
Denn das hatten die Nuclenor, die das 40 Jahre alte Kraftwerk betreibt, beantragt, obwohl der Meiler die gesetzliche Höchstlaufzeit 2011 erreicht und von Netz gehen müsste. Schließlich hat die sozialdemokratische Regierung angesichts des massiven Drucks der Atomlobby in der tiefen Wirtschaftskrise einen Mittelweg gewählt und gegen geltende Gesetze die Laufzeit (zunächst) um zwei Jahre bis 2013 verlängert. Diese Entscheidung entwickelt sich angesichts der Ereignisse in Japan zum Super-Gau für eine Regierung, die in der Wählergunst ohnehin immer weiter abstürzt (Spanische Fukushima-Schwestern).
Inagaki warb bei seinem Besuch in Spanien ausdrücklich dafür, dass auch Garoña mindestens 60 Jahre Strom liefern solle. Er verwies darauf, dass Fukushima dafür schon die Erlaubnis der Regierung habe. Er trat dafür ein, dass Atomkraftwerke "so lange laufen, wie es technisch möglich ist." Die einzige Grenze sei eine "ökonomische", die von den Betreibern bestimmt werde, wann sie es für sinnvoller hielten, einen Meiler abzuschalten, als weiter in ihn zu investieren. Wie absurd diese Haltung ist, hat sich in seinen Katastrophenmeilern gezeigt.
Doch weil es bei dem Besuch vor allem darum ging, die Schwäche der Regierung zu nutzen, die Bresche weiter zu öffnen und den Druck auf sie zu steigern, damit die ohnehin schon verlängerte Laufzeit über 2013 hinaus weiter verlängert wird, fehlte es Inagaki nicht an lobenden Worten für Garoña. Das Atomkraftwerk "ist eine exzellente internationale Referenz" und man werde in Fukushima die "sehr wertvollen Praktiken" aus Garoña umsetzen und den "Informationsaustausch in der Zukunft" aufrecht erhalten. "Wenn wir im Sinn haben, dass Garoña unser Schwesterreaktor ist, der einer guten Instandhaltung unterzogen wird, glaube ich, dass er aus technischen Gründen langfristig ohne Probleme arbeiten kann", resümiert er. Dreht man die Argumentation nach den japanischen Ereignissen nun um, muss man zu dem Schluss kommen, dass Garoña besser gestern als heute abgeschaltet werden sollte.
Dass es Inagaki mit der Wartung in seiner Anlage wohl nicht so genau nahm, darüber berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. In Fukushima sind offenbar sogar planmäßige Inspektionen nicht durchgeführt worden. Das gehe aus einem Bericht des Betreibers Tepco hervor, der am 28. Februar an die japanische Atomsicherheitsbehörde ging. Die Inspektion von 33 Bestandteilen der Einrichtung sei versäumt worden. Darunter seien auch ein Motor und ein Notstromaggregat in Block I gewesen, wird berichtet.
Doch zurück in den spanischen Norden, denn in dem Artikel des Diario fehlten genau Hinweise darauf nicht, dass das Lob für Garoña ausgerechnet von einem Japaner kam, der zwischen 2002 und 2008 für die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) tätig war. So unterstreicht die Zeitung immer wieder das "nukleare Wissen" eines "technologisch sehr hoch entwickelten Landes", das "weltweit für die Modernisierung und Anpassung seiner Reaktoren, vor allem in modernste Instrumente und Steuerungen hervorsticht." Vor den Ereignissen in Fukushima könnte man solche Sätze als Realsatire lesen, wäre die strahlende Realität für die Bevölkerung um die von Inagaki gewarteten Meiler nicht so traurig. Doch diese massive Propaganda entfaltete bekanntlich ihre Wirkung in Spanien. Denn inzwischen wurde durch die Hintertür auch die Laufzeitgrenze von 40 Jahren [gekippt 8/149286]. Damit wurde der Weg für den "langfristigen Betrieb" geebnet, ganz nach Profitinteressen der Betreiber, wie es das Fukushima-Führungsmitglied gefordert hatte.
Schon vor Inbetriebnahme von Fukushima und Garoña waren gravierende Probleme bekannt
Es lohnt sich ein Besuch des Blogs des BBC-Journalisten Adam Curtis, um sich A For Atom sich einen seiner Dokumentarfilme anzuschauen. Der Film wurde 1992 im Rahmen der Sendereihe "Pandora's Box" ausgestrahlt, in der die Gefahren der technokratischen und politischen Rationalität kritisiert wurden. Curtis hat nun den Film erneut zugänglich gemacht. Der Name seines Dokumentarfilms übernimmt den Namen eines Films von General Electric, mit dem die große US-Firma 1952 Propaganda für die friedliche Nutzung der Atomkraft machte.
Der Film von Curtis greift nach den Erfahrungen in mit der Kernschmelze in Harrisburg (Three Miles Island) und dem Super-Gau in Tschernobyl die Debatte um die Atomkraft wieder auf und hinterfragt die Atompropaganda. Tatsächlich ist verheerend, was der Journalist ans Tageslicht förderte. So zeigt Curtis auf, dass schon 1964 Mitgliedern der US-Regierung die potentiellen gravierenden Sicherheitsmängel von Siedewasserreaktoren des Typs bekannt waren, in denen in Fukushima die Kerne schmelzen und die von Okarsham in Schweden bis ins spanische Garoña auch in Europa noch in Betrieb sind. Die schwedischen Reaktoren sind sogar noch deutlich älter als die in Japan und Spanien.
Wie im Film angegeben, versuchte die Atomic Energy Commission (AEC) im Laufe der 1960er Jahre durchzusetzen, dass die Konstruktion des Reaktortyps geändert wird, um die Sicherheit zu erhöhen. Doch gegen die mächtige General Electric, so machte der damalige AEC-Vorsitzende im Film deutlich, konnte sich die Kommission nicht durchsetzen. Die Reaktorsicherheitskommission hat 1971 die Meiler getestet und ausgerechnet ihre Notkühlsysteme hätten dabei nicht wie geplant funktioniert. Bei den simulierten Unfällen hätten die Kühlsysteme sogar gearbeitet, doch sei es trotzdem nicht gelungen, den Reaktor mit Kühlwasser zu füllen.
Ein AEC-Wissenschaftler erklärt in dem Dokumentarfilm, man habe festgestellt, dass die theoretischen Berechnungen nicht sehr viel mit der Realität zu hätten:
We discovered that our theoretical calculations didn't have a strong correlation with reality.
Er geht sogar noch weiter. Er fügte an, man habe nicht in aller Öffentlichkeit zugeben können, dass die Sicherheitssysteme vermutlich nicht funktionieren würden:
But we just couldn't admit to the public that all these safety systems we told you about might not do any good.
Schließlich dienten sie dazu, den Menschen eine trügerische Sicherheit vorzugaukeln. Konsequenzen wurden aber aus den Erkenntnissen bis heute nicht gezogen. Sehr interessant an dem Film ist auch eine Tonaufnahme aus dem US-Atomkraftwerk Three Miles Island, in dem sich 1979 die erste Kernschmelze ereignete. Ähnliche interne Gespräche, dass man keine Ahnung habe, was im Reaktorkern gerade vorgehe, dürfte es derzeit auch in Fukushima geben.
Angesichts der Erkenntnisse von Curtis darf nun aber auch gefragt werden, welches Ziel das Spektakel verfolgt, mit dem in den letzten Tagen die Öffentlichkeit mit Positivnachrichten bombardiert wurde, wonach es gelungen sei, die Reaktoren wieder mit Strom zu versorgen. Denn offen ist nicht nur, ob die Notkühlsysteme nach den Explosionen überhaupt noch funktionieren können. Zudem ist fraglich, ob sie überhaupt dazu in der Lage sind, die Kerne zu kühlen, falls sie noch funktionieren. Schließlich hat die AEC genau das in dem Jahr in Zweifel gezogen, als der erste Block in Fukushima und Garoña ans Netz gingen. Dass zum Beispiel in Reaktor 5 das Kühlsystem wieder arbeiten soll, beruhigt nicht. Dieser Reaktor wurde wie die Meiler 4 und 6 von Hitachi gebaut. Sie waren beim Erdbeben wegen Wartungsarbeiten abgeschaltet und in Reaktor 5 gab es, soweit bisher bekannt, auch keine Explosionen.