Notruf nur per Fax statt mit SMS
Im Bundesrat wird ein Gesetz von vorgestern diskutiert
Immerhin seit sieben Jahren bastelt die Bundesregierung bzw. die damit betraute Bundesnetzagentur an einem Entwurf für eine neue Notrufverordnung. Doch auch im Jahre 2011 sind für den Notruf nur Telefon und Fax vorgesehen.
Weder SMS noch GPS
SMS und GPS gelten in deutschen Amtsstuben als unzuverlässig und ungenau. Außer im Kriegsfall, da reden auch deutsche Militärs von "zielgenauen", weil GPS-gesteuerten Raketen. Bei einer SMS, so die deutschen Beamten, sei nicht sichergestellt, dass sie schnell genug ihr Ziel erreiche.
Andererseits mobilisieren Freiwillige Feuerwehren in Deutschland ihre Mitglieder per SMS zu Einsätzen und gehen davon aus, dass sich die Feuerwehrmänner (und -frauen) ganz schnell zum Brandort begeben. Wie sich jeder überzeugen kann, klappt das auch.
Hinzu kommt, dass es durchaus Fälle gibt, in denen die SMS die einzige Möglichkeit der Notrufübermittlung darstellt. Beispielsweise wenn ein Gehörloser beim Spaziergang in der Natur verunglückt, sich weit und breit kein Haus in Nähe befindet und er Hilfe braucht. Schade, dass kein Fax-Gerät am nächsten Baum hängt. Hier wäre die amtliche Akzeptanz der SMS als Kommunikationsmittel eine echte Hilfe. Technisch ist das längst kein Problem mehr. In Großbritannien und in Luxemburg ist es bereits gängige Praxis. Und auch in Berlin und Brandenburg besteht die Möglichkeit, einen Notruf per SMS abzusetzen. Im Saarland geht das schon seit 2007.
Doch die Bürokraten im Bundeswirtschaftsministerium, in der Bundesnetzagentur und in zahlreichen Landesministerien bleiben dabei – Notruf geht auch künftig nur per Telefon oder Fax.
Notruf per Fax aus dem Unfallwagen?
Wie schon erwähnt, finden einige der Beamten in den Ministerien die SMS zu langsam und zu unsicher. Aber das sei besser, als auf Telefon und Fax angewiesen zu sein, kontern Gehörlose und liefern dafür durchaus gute Argumente. Man stelle sich vor: Ein Gehörloser sitzt, möglicherweise verletzt oder eingeklemmt, in seinem verunfallten Auto in einem Straßengraben, um sich jede Menge Gegend, aber keine Menschenseele. Dumm, dass er jetzt kein Fax im Auto hat, um einen Notruf abzusetzen. Telefonieren stellt für ihn keine Alternative dar – eine SMS von seinem Handy wäre hier eine echte Alternative. Oder ein GPS-Signal, ausgesandt von Handy oder vom Auto aus. Aber auch GPS sehen die bundesdeutschen Notrufverwalter nicht vor.
In der "Technischen Richtlinie Notrufverbindungen" kurz "TR Notruf" genannt, definiert die dafür zuständige Bundesnetzagentur im Oktober 2010, was unter einer "Notrufverbindung" amtlicherseits verstanden wird:
Über einen öffentlich zugänglichen Telefondienst zu einem Notrufanschluss aufgebaute Telefon oder Telefaxverbindung, die durch Wahl einer Notrufnummer oder durch Aussenden einer in den technischen Standards für die Gestaltung von Telekommunikationsnetzen ausschließlich für Notruf vorgesehenen Signalisierungsinformation eingeleitet wird.
Diese Formulierung stammt nicht etwa aus den frühen 80er Jahren, sondern tatsächlich aus dem Oktober 2010.
Neue Technik nur bei der Allianz?
Während amtlicherseits also SMS oder GPS weiterhin nicht vorgesehen sind, erzählt der private Hilfsanbieter Allianz Ortungsservice GmbH auf seiner Homepage etwas von allerneuester Technik, die in Zusammenarbeit mit den Rettungsdiensten zum Einsatz komme.
Die konsequente Verbesserung der deutschen und europäischen Notfallhilfe ist das Ziel der Allianz OrtungsServices GmbH. Dabei setzt das Unternehmen auf modernste Technologien und entwickelt neue Produkte, die die Ortung im Notfall noch einfacher, sicherer und zuverlässiger machen. Die Allianz OrtungsServices GmbH stellt die "Ortung im Notfall" allen bereits an das System angeschlossenen Rettungsleitstellen zur Verfügung. Langfristig sollen alle europäischen Rettungsleitstellen mit einem Zugang zum sicheren Ortungssystem ausgestattet werden. Im Notfall kann die Rettungsleitstelle über die Ortungsplattform "LifeService112" jedes Mobilfunkgerät mit Hilfe der LBS- und GPS-Ortung lokalisieren. Damit kann die Zeit bis zum Eintreffen der Rettungskräfte erheblich verkürzt werden...
Zitat aus dem Allianz-Werbetext
Kaum zu glauben, dass sich auch die Allianz tatsächlich an die Vorgaben der Bundesnetzagentur halten muss. Doch so ganz genau scheint es der Versicherungsriese mit den geltenden Vorschriften nicht zu nehmen.
Allianz kann Handys orten
Wie die Allianz in den Genuss einer eigenen Handyortung kam, war bereits in Telepolis zu lesen. (Allianz kann Handys orten).
Die in der Notrufkommunikation anerkannte Björn Steiger Stiftung hatte das heute von der Allianz genutzte Ortungs-System 2005 entwickelt und 2006 in den deutschen Notrufzentralen eingeführt. Auf Grund eines – wie sich später zeigen sollte - inhaltlich vollkommen unbegründeten Steuerstrafverfahrens wurde die Plattform von der Stiftung in eine eigene Gesellschaft mit dem Namen Björn Steiger Stiftung Service gemeinnützige GmbH geparkt. Die Allianz übernahm daran 90 Prozent und gewährleistete auf diese Weise den Weiterbetrieb. Doch nach Einstellung des Steuerverfahrens gab sie die Plattform nicht mehr, wie von den Steigers erhofft, an die Steiger-Stiftung zurück, sondern behielt sie und trennte sich von Pierre Steiger und den anderen Stiftungsmitarbeitern.
Allianz will Handys orten
Die Allianz übernahm, trotz zahlreicher auch öffentlich kommunizierter Bedenken der Notrufzentralen, offiziell das Kommando über die Ortungsplattform für die deutschen Notrufzentralen und gab sich den neuen Namen Allianz OrtungsServices GmbH (AOS).
Legal, illegal, Allianz
Bis zu einer Änderung des Telekommunikationsgesetzes im Jahr 2009 genügte es, dass vor einer Handy-Ortung eine Einwilligung des Betroffenen mündlich eingeholt und auf Tonband gespeichert wurde. Seit 2009 wird eine schriftliche Einwilligung des zu Ortenden gesetzlich verlangt.
Diesen Umstand hat die Allianz angeblich den Notrufzentralen seither nicht mitgeteilt. Man entschied, dass die Ortungsplattform gar nicht wie von der Stiftung angegeben unter §98 TKG, sondern unter §108 TKG falle. Der Unterschied beider Paragraphen liegt in der Tat darin, dass der §108 TKG explizit die Ortung für Notrufzentralen ohne Einwilligung vorsieht. Um aber unter diese Regelung zu fallen, muss man entweder selbst eine 110/112-Notrufzentrale betreiben oder aber technischer Erfüllungsgehilfe der deutschen Netzbetreiber sein. Da die Allianz bekanntermaßen weder Polizei noch Feuerwehr ist, fühlte man sich von nun an als technischer Erfüllungsgehilfe der Netzbetreiber. Die Notrufzentralen erfuhren von alle dem lange nichts. Im September 2010 erhielten die Lebensretter Post von der Allianz mit der Aufforderung, einen neuen Vertrag auf Basis des §108 TKG zu unterschreiben, der die Allianz als Erfüllungsgehilfen der Netzbetreiber auswies. Dieser Vertrag stieß bei etlichen Notrufzentralen auf große Skepsis. Wie viele der Notrufzentralen ihn unterschrieben haben, war bis Redaktionsschluss nicht zu erfahren.
Zumindest "unklar" ist auch das Rechtsverhältnis zwischen der Allianz Ortung (AOS) und den Netzbertreibern. Während Vodafone gegenüber Telepolis betätigte, dass sie "mit der Allianz OrtungsServices GmbH (AOS) einen Vertrag geschlossen haben, um unsere Verpflichtungen aus § 108 Abs. 1 Satz 2 TKG zu erfüllen", verneinten T-Mobile und E-Plus auf Anfrage die Existenz eines für eine gesetzeskonforme Handhabung notwendigen "Erfüllungsgehilfenvertrags" und widersprachen in diesem Punkt der Darstellung der Allianz. T-Mobile teilte schriftlich mit: "Insofern ist die AOS gerade nicht unser "Erfüllungsgehilfe", da AOS keine Auftragsverarbeitung für uns vornimmt." E-Plus hat der Allianz sogar die Zugänge zur Ortungsmöglichkeit zum 1. Januar 2011 gekündigt. Die Allianz teilte dazu mit: "Wie Sie wissen, kooperiert E-Plus seit 2011 nicht mehr mit der AOS. Der Ausstieg erfolgte aufgrund einer allgemeinen, strategischen Entscheidung des Unternehmens und hat nichts mit der AOS zu tun."
Dies bedeutet, die Notrufzentralen benötigen auf Grund der Vertrags- und Gesetzeslage und der geänderten Gesetzeslage nun bei Ortungen eine Unterschrift, was man diesen aber nicht mitteilt. Damit stellt sich zumindest die Frage, ob die Allianz die Notrufzentralen damit zu einem Datenmissbrauch und zu einer in den Verträgen angemerkten "Straftat" verleitet. Möglicherweise bietet die Allianz auch dagegen eine Versicherung...
Gesetzentwurf von vorgestern
Nun ändert sich das Telekommunikationsgesetz in diesem Jahr erneut und die Björn Steiger Stiftung, die ihrerseits mit Ende des Wettbewerbsverbots wieder in den Bereich eigenständig einsteigen will, sieht die Gesetzesänderungen als Rückschritt in der Notfallhilfe und Ende der bisherigen und besseren Ortungsmethoden und hat die Notrufzentralen zum Widerstand gegen dieses Gesetz aufgerufen.
Die Allianz sieht dies ganz anders. In einer Information an die Notrufzentralen wird betont, dass das Allianz-System von dieser Regelung nicht betroffen sei. Wörtlich heißt es: "Die Allianz OrtungsServices GmbH wird unabhängig von den Gesetzesänderungen auch in Zukunft den bestehenden Service der Notfallortung, wie gewohnt, zur Verfügung stellen." Doch auf Anfrage von Telepolis teilte die zuständige Bundesnetzagentur mit: "Das von der AOS angewandte Ortungsverfahren wird nicht im aktuellen Entwurf der TR Notruf beschrieben." Da stellt sich die Frage, ob das, was im Gesetz nicht erwähnt wird, überhaupt erlaubt ist.
Allianz Ortung auch bei Autopanne
Indes sieht sich die Allianz auch nicht mehr als Konzern, sondern als Non-Profit-Unternehmen, da man hier einen Dienst für die Allgemeinheit biete.
Wie allgemein die Allianz das Thema Ortung betreibt, kann man aktuell beim Autoclub von Deutschland (AvD) sehen. Dieser bietet die Ortung der Allianz für seine eigenen Pannennotrufe an und wirbt direkt damit, dass er dieselbe Ortungsplattform nutzt wie die Notrufzentralen von Polizei und Rettungsdienst. Auf Anfrage teilte uns der AvD schriftlich mit: "Ebenso wie die Rettungsleitstellen hat auch der AvD als Dienstleister die Allianz OrtungsServices GmbH und greift auf dasselbe System zurück".
Die Allianz selbst betreibt eine Dienstleistung unter dem Namen Allianz Help die den Allianz-Versicherten zur Verfügung steht, auch hier findet sich in den AGBs der Verweis auf die AOS Plattform zur Ortung.
Ob dies rechtlich und vertraglich erlaubt sei, wollte Telepolis von den Netzbetreibern wissen. T-Mobile antworte schriftlich:
Eine vertragliche Verpflichtung legt fest, dass die Standortdaten ausschließlich den Notrufzentralen verfügbar gemacht werden, die zuvor mit der AOS einen von der Telekom im Einzelnen vorgegebenen Ortungsvertrag geschlossen haben. Ein Abruf von Ortungsinformationen durch AOS darf nur für Nutzer erfolgen, die unmittelbar zuvor eine Notrufzentrale unter der Nummer 110 oder 112 angerufen haben.
T-Mobile
Die Björn-Steiger-Stiftung setzt sich dafür ein, das derzeit im Bundesrat diskutierte Telekommunikations-Gesetz (TKG) dem technischen Standard der Jetztzeit anzugleichen und zum anderen schnellstmöglich wieder eine eigene, Allianz-unabhängige Ortungsmöglichkeit auf einer gesicherten Gesetzes- und Vertragsbasis zur Verfügung zu stellen.