Nützliche Tools für den Netzintellektuellen

Minordomo und textz.com aus dem Hause ROLUX

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Das Berliner Internet-Projekt ROLUX verfolgt in den drei Jahren seines Bestehens die Entwicklungen in den Neuen Medien von Websites und Texten bis zu Veranstaltungen. Zwischen Netzdiskurs und Offline-Welt angesiedelt bietet ROLUX alternative Lebens- und Denkweisen, die den Mehrheitsdiskurs von Verwertbarkeit und Profitstreben um eine gemeinschaftliche, linke Gesellschaftskritik ergänzen. In diesem Jahr starteten gleich zwei Projekte, die einen Kommentar zu virtuellen Gemeinschaften, geistigem Eigentum und Netz abgeben, aber gleichzeitig auch ganz praktischen Zwecken dienen.

Die Netzkritik sollte Websites machen, statt zu kritisieren. Oder aber Netzkritik wie Websites machen.

Sebastian Lütgert: Einfuehrung in eine wahre Geschichte des Internet

Es ist es wichtig, dass sich Projekte in einem Kontext befindet und dass dieser Kontext auch thematisiert wird, sagt Sebastian Lütgert, der Betreiber von ROLUX. ROLUX gehört zu den unabhängigen kleinen Netzprojekten, die sich im Berlin der 90er Jahre mit seinen leerstehenden Gebäuden und verlassenen Geländen im Umfeld von Clubs und Bars, Kunst und elektronischer Musik gebildet haben. Dazu gehört unter anderem auch mikro e.V., das Bootlab, wo sich auch Lütgerts Arbeitsplatz befindet, Veranstaltungen wie last tuesday, der inzwischen geschlossene Club DaimlerChrysler, aber auch das virtuelle Umfeld der Mailinglisten wie nettime und rohrpost.

Die ROLUX-Website nimmt das Netzwerkprinzip als Strukturprinzip. Auf der ROLUX-Homepage sind unterschiedlichste Projekte gleichberechtigt nebeneinander angeordnet - Partner gegen Berlin, Real, allemagne ta gueule ca suffit, Auseinander, a.s. ambulanzen, Rolux, luxor, urlxo, kleine Scherze wie "this is not a link" oder "this is not an icon" stehen Seite an Seite und bilden ein Netzwerk des Gleichen. Hierarchien gibt es nicht, der Besucher weiß nicht, ob hinter einem Projektnamen nur ein kleiner Kommentar zu der Konsolidierungsdebatte in der Netzkunst steckt ("classics of net.art") oder eine ganze Site wie zum Beispiel das Textwarezprojekt.

Der Vorteil am Programmieren ist, dass das, was man geschrieben hat, sofort Auswirkungen hat. Beim Texte schreiben passiert oft gar nichts. Man sitzt stunden- manchmal tagelang vorm Rechner und überlegt sich was und versucht, es möglichst passend zu formulieren. Dann veröffentlicht man auf einer Mailingliste oder in einem Magazin und erhält keine Reaktion. Beim Programmieren hingegen wird der geschriebene Code ausgeführt und man sieht sofort, ob das Programm so funktioniert, wie man es sich vorgestellt hat oder nicht. Die oft übliche Arbeitsteilung zwischen Programmierern auf der einen und denen, die den Inhalt der Webseiten machen (um hier nicht das blöde Wort "content provider" schreiben zu müssen), ist in vieler Hinsicht unbefriedigend. Sie schafft Differenzen und verhindert Kommunikation, die der Weiterführung des Projektes "Netzkritik" nicht dienlich ist. Daher bewegt sich Lütgert auch zwischen diesen beiden Tätigkeiten, die sich gegenseitig befruchten und andere Zusammenhänge erschließen, als die Beschränkung auf ein Feld es möglich machen würde. So verkoppeln die Projekte von ROLUX immer diese Bereiche zu neuen Ausdrucksformen.

minordomo

Mailinglisten sind vielleicht das wichtigste Werkzeug bei der Vernetzung von alternativen Öffentlichkeiten. nettime, rhizome, syndicate, um nur einige zu nennen, spielen eine nicht mehr wegzudenkende Rolle in der kulturellen Netzlandschaft. Die Rolux-Mailingliste bezeichnet sich als Liste "for the advancement of minor criticism". Dabei ist nicht gemeint, dass es um geringfügige Kritik geht, sondern um Kritik, die sich selbst in der Minderheit befindet. "rolux.org selbst ist entsprechend ein netzwerk zur befoerderung von "critical minorities", also kritischer minderheiten. kritisch hat dabei immer auch eine bedeutung wie in 'kritischer zustand'", meint Lütgert.

So heißt das Programm, das die Rolux-Liste verwaltet, in Abwandlung auf das häufig verwendete Programm "Majordomo", natürlich "Minordomo". Das ist auch der Name des neuen Dienstes, den rolux vor zwei Wochen auf den einschlägigen Mailinglisten ankündigte. Minordomo ist nicht nur ein Programm für die Verwaltung von Mailinglisten, das man auf seinem Server installieren kann, so man denn einen hat, sondern bietet die Möglichkeit über ein Webinterface selbst Listen einzurichten. Damit stellt es eine Alternative zu kommerziellen Anbietern wie eGroups dar. Nicht nur dass Minordomo viel besser aussieht, es ist auch freie Software, die von den Usern gemeinschaftlich weiterentwickelt werden soll. Das Programm selbst ist komplett in php 4 geschrieben und benötigt keine zusätzliche Software oder eine darunterliegende Datenbank, was die Installation sehr einfach macht. Bisher wird der Server bei einem kommerziellen Anbieter gehostet und von bootlab.org betrieben und bezahlt. Der Umzug auf einen befreundeten Host ist allerdings schon geplant. Wenn mehr Listen den Traffic in die Höhe treiben, was an sich eine gute Sache wäre, wird man sich um zusätzliche Finanzierung in Form von Sponsoring oder Fördergeldern kümmern.

"we are the & in copy & paste"

textz.com ist eine Warez-Datenbank für Texte. Man findet Texte mit und ohne Copyright, fiktionale und theoretische Texte, Manifeste und Songlyrics. Da steht Theodor W. Adorno neben der autonomen Afrika-Gruppe, Douglas Adams neben Klaus Theweleit. Die Texte stammen aus verschiedenen Quellen. Sie werden entweder von den Autoren selbst eingereicht, als freie im Netz kursierende Texte von Mitwirkenden in die textz.com-Datenbank eingespeist oder von mit Scannern und Texterkennungssoftware bestückten Usern vom Analogen Medium Papier in digitale ASCII-Files umgewandelt. "1 month 4 weeks 1 day 16 hours 56 minutes 33 seconds of plain ascii available in 491 files" steht in der Ecke der Website und die Betrachterin fragt sich, wie das nur gemessen worden kann. Das ist natürlich eine Anspielung auf das Projekt Radio Internationale Stadt und das Open Video Archive von Thomax Kaulmann, das einen öffentlich verfügbaren Real Audio bzw. Real Video Server für unabhängige Projekte zur Verfügung stellt, allerdings nicht im Sinne von Warez wie bei textz.com, sondern als gemeinsam nutzbare Ressource für Projekte, die sich ansonsten keinen Streaming-Server leisten könnten.

Die Auswahl der Texte bei textz.com ist vom Projekt Gutenberg so weit entfernt wie nur möglich. Es geht hier nicht darum, Texte, auf die kein Copyright mehr besteht, verfügbar zu machen und damit, gewollt oder ungewollt, einem bildungsbürgerlichen Kanon Vorschub zu leisten. Es geht um Widerstand:

"intellectual, digital and biological property -- cornerstones of the new regimes of control -- are the direct result of organized corporate piracy. they are not only replacing such obsolete notions as freedom, democracy, human rights and technological progress. all these new forms of ownership are, in the first place, attempts to expropriate people's work, data and bodies -- just as the they begin to acquire, for the first time in history, the technical means to organize them differently." a.s. ambulanzen: napster was only the beginning. an introduction to textz.com [v0.5]

Eine Gesellschaftskritik im Sinne von Sprechen/Schreiben über Politik, Medientheorie oder Cultural Studies ist in der Zeit von globalen Werbekampagnen multinationaler Konzerne und weltweiter Vermarktung nicht mehr sinnvoll, da jeder Widerstand sofort vereinnahmt und in den Kreislauf der Werbebilder eingespeist wird. Eingreifsstellen erscheinen woanders, zum Beispiel in den Netzwerken der Filesharing-Gemeinschaften um Napster, Gnutella & Co. Obwohl die Musikindustrie Napster als ihr wichtigstes Feindbild HTTHTTHkleingekriegt hat, war es derjenige Dienst, der den Tausch copyrightgeschützten Materials ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht hat. Bei Texten zeigt sich das Konzept mit sehr viel weniger Virulenz. Bisher haben sich noch keine Anwälte mit "Cease and Desist"-Briefen an Lütgert gewandt, der im Falle des Falles entscheiden wird, wie er darauf reagieren wird. Überhaupt ist textz.com nur ein Archiv, in dem die in diversen Filesharing-Programmen kreisenden Textdateien, die gegenüber mp3 nur einen Bruchteil der Datenmengen ausmachen, gesammelt werden.

Der textz.com-Newsticker hat seinen Weg von textz.com auch in alle anderen ROLUX-Projekte gemacht. Dabei werden die Titelzeilen verschiedener Newsdienste und Tageszeitungen, wie CNN, BBC, El Pais, New York Times, Tagesschau, Der Spiegel und einige andere, ausgelesen und per Laufschrift auf den unteren Rand des Bildschirms gebracht. Die Vereinnahmung der Informationen der herrschenden Informationshändler durch ein Warezprojekt macht darauf aufmerksam, dass Information auch nur eine Ware ist und in dieser Funktion materiell wird und ihren Geldwert hat. Spätestens wenn man die auf den Punkt des Infotainment gebrachten thema1.de-Schlagzeilen ansieht, sollte man die Konstruiertheit dessen, was uns von der Presse als objektive Nachricht verkauft wird, erkennen. Die Übernahme von Logos und Textbausteinen der "Mehrheitskultur" und ihre neue Zusammensetzung fügt dabei einen Kommentar ein, der den Anspruch "Websites wie Netzkritik zu machen" vollstens erfüllt. Die Websites von ROLUX sind immer auch eine Kritik der herrschenden Verhältnisse im Netz. Dazu aber bieten sie eine durchaus praktischen Mehrwert.