Null-Toleranz? Europaparlament im Korruptionssumpf

EU-Parlament. Bild: Erich Westendarp/Pixabay

EU-Parlamentspräsidentin will offiziell mehr Transparenz. Das gilt aber offenbar nicht für die Pfizer-SMS von der Leyens oder Metsolas Angaben zu ihren Reisen. Der Korruptionsfall "Katargate" wächst sich aus.

Angesichts des Korruptionsskandals, der meist "Katargate" genannt wird, hatte die Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola, schon vor zwei Monaten erklärt, es werde "keine Toleranz" in Fragen der Korruption geben.

"Unser Parlament steht entschieden gegen Korruption", hatte die Präsidentin nach der Festnahme ihrer Stellvertreterin Eva Kaili und anderen Beschuldigten verkündet.

Da das Parlament den Skandal bisher nicht aussitzen konnte, der sich ausweitet, während sich neue hinzugesellen, will die konservative Metsola nun angeblich für mehr "Transparenz" sorgen.

Reform der ethischen Regeln des Parlaments

Sie will offiziell eine Reform der ethischen Regeln des Parlaments umsetzen. Dabei gibt es nicht nur Widerstand aus den eigenen Reihen der Volksparteien (EVP), obwohl sich der große Katargate-Skandal, der viel eher ein "Marokkogate"-Skandal ist, wie wir schon aufgezeigt habe und sich immer stärker abzeichnet, vor allem im Milieu der Sozialdemokraten abspielt.

Doch abnehmen muss man die Beschwörung einer "Null-Toleranz" gegenüber Korruption und von "mehr Transparenz" weder der Parlamentspräsidentin noch ihrer EVP-Fraktion, die jetzt offiziell das US-Transparenzgesetz in der EU übernehmen will, um den Einfluss und die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisation und Akteuren aus Drittländern überwachen zu können.

Das FARA-Gesetz der USA verlangt von allen Politikern aus Drittländern und ihren Lobbyvertretern eine Registrierung. Sie müssen ihre Arbeit mit Abgeordneten detailliert veröffentlichen, einschließlich aller formellen Verträge und Honorare.

Transparenz? Fehlanzeige! Omerta?

Dass es um reale Transparenz nicht geht, wird schon darüber deutlich, dass davon nichts zu sehen ist, wenn Metsola oder andere Mitglieder der EVP betroffen sind, wie etwa die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. So hatte die Parlamentspräsidentin Metsola umsonst in einem Fünf-Sterne-Hotel im französischen Burgund übernachtet.

Eingeladen worden war sie von einer Weinbruderschaft. Die Übernachtung sei im Rahmen ihres Mandats als Präsidentin erfolgt und Metsola habe sich an die Regeln gehalten, die auch für alle früheren Präsidenten angewandt wurden, erklärte ein Sprecher lapidar und wenig transparent.

Er beantwortete auch die Frage nicht, welche Kosten dem Parlament durch die Reise der Christdemokratin aus Malta entstanden sind. Ob Metsola und ihrem Mann beim Besuch Wein geschenkt bekommen haben, wurde genauso wenig geklärt, wie Details zum Reiseprogramm genannt wurden. Die würden Rückschlüsse auf ihre Aktivitäten zulassen. Transparenz sieht anders aus.

Im Fall von Ursula von der Leyen ist Metsola an der Verschleierung von dubiosen Vorgängen beteiligt. Gestern hat das Europaparlament eine "exzellente Gelegenheit vergeigt, sein in weiten Teilen der Bevölkerung angekratztes Image zu polieren", stellt zu einem skandalösen Vorgang Die Presse aus Österreich fest.

In Straßburg haben die Fraktionsvorsitzenden unter dem Vorsitz von Metsola bei ihrem turnusmäßigen Treffen beschlossen, dass die Kommissionspräsidentin nicht vor den Sonderausschuss zu den Erkenntnissen aus der Covid-19-Pandemie geladen wird, um Rede und Antwort über ihre Verhandlungen mit Pfizer-Chef Albert Bourla über den Ankauf der Covid-Impfstoffe zu stehen.

Konservative und Liberale waren ohnehin stets dagegen, sie vorzuladen. Die Bereitschaft war bei den Sozialdemokraten auch gering, die wegen Marokkogate ebenfalls an keiner wirklichen Untersuchung interessiert sind.

Von der Leyen soll nun lediglich in den Mauschelkreis mit den Fraktionsvorsitzenden im Rahmen eines allgemeinen Informationsaustausches kommen, wo "auch" über die Impfstoffbeschaffung geredet werden soll. Selbstredend findet das Treffen hinter verschlossenen Türen statt.

Transparenz sieht natürlich anders aus. Dass Pfizer schon einmal hart in den USA wegen "illegalem Marketing" bestraft wurde, ist bekannt. Dass Biontech/Pfizer für die Covid-Impfstoffe das Zwanzigfache der Produktionskosten einstreichen konnten, obwohl die Forschungen dafür "in hohem Maße von der EU finanziert" worden waren, wurde von Telepolis schon berichtet.

Von der Leyen verweigert weiter, mit Rückendeckung von Metsola, den SMS-Verkehr mit Bourla offen zu legen, bei denen Impfstoffe für etliche Milliarden Euro gekauft wurden.

Das ist der Umgang mit Skandalen in der EU. Die Gerichte müssen es klären (siehe auch: Klage gegen EU-Kommission: Was steht in den SMS von der Leyens an Pfizer?). So darf auch bestenfalls von der Justiz einiger Mitgliedsländer erwartet werden, dass Aufklärung in Skandale kommt.

Belgische Justiz: Aufklärung von Katargate/Marokkogate

Im Fall von Katargate/Marokkogate, wo offensichtlich viel Geld aus beiden Ländern geflossen ist, um massiven Einfluss auf Entscheidungen im Europaparlament zu nehmen, gibt es zwischenzeitlich neue Bewegung in Belgien.

Die dortige Justiz ist offensichtlich um Aufklärung bemüht. Hervorzuheben ist die das Vorgehen gegen den belgischen Sozialdemokraten Marc Tarabella. Der Europaparlamentarier und Bürgermeister von Anthisnes wurde dort vor einer Woche "zum Zweck der Vernehmung" festgenommen, hatte die Brüsseler Staatsanwaltschaft mitgeteilt. In seiner Heimatstadt im Osten des Landes wurden auch mehrere Büros durchsucht.

Tarabella sitzt nun ebenfalls in Untersuchungshaft, auch wenn er weiter seine Unschuld beteuert. Dabei wird er wird seit fast zwei Monaten von denen belastet, die die Korruption eingeräumt haben und geständig sind.

Wie erwartet, hatte das Europaparlament auch diesem sozialdemokratischen Parlamentarier die Immunität entzogen, der auch aus der sozialdemokratischen Fraktion und aus der Partei geworfen wurde.

Belastet wird Tarabella unter anderem von Pier Antonio Panzeri, der als zentrale Figur in dem Skandal gilt. Er wurde wie Kaili schnell inhaftiert und sitzt seither in Untersuchungshaft. In seiner Wohnung wurde nach Angaben der Ermittler viel Bargeld gefunden.

Immer wieder eine Papiertüte mit rund 20.000 Euro

Als "Geschenke" wurden die Schmiergelder verschleiert, hatte der Lebensgefährt von Kaili zugegeben. Francesco Giorgi hatte die Gelder verwaltet, der ehemalige Assistent von Panzeri. Auch Panzeri ist schon teilweise geständig. Er hatte ausgesagt, Tarabella immer wieder eine Papiertüte mit rund 20.000 Euro überreicht zu haben.

Vor dem Ermittlungsrichter erklärte er, die letzte Zahlung sei im vergangenen Sommer geflossen. Insgesamt habe der Belgier zwischen 120.000 und 140.000 Euro von ihm erhalten, um im Parlament "gewisse Positionen" zu verteidigen.

Vermutlich sitzen noch einige Parlamentarier auf heißen Stühlen, denn Panzeri muss mehr liefern, um mit einer geringeren Strafe davonzukommen. Er habe schon eine "Reuevereinbarung" unterschrieben, die wohl einigen schon schlaflose Nächte" beschert.

Hyperaktive Marokkaner

Mit den Angaben Panzeris wurde aber auch längst klar, dass Katargate eher ein Nebenprodukt von Marokkogate ist, denn Marokko hat "hyperaktiv" und erfolgreich Einfluss auf Entscheidungen im Europaparlament betrieben, wie an dieser Stelle schon herausgearbeitet wurde.

Panzeri war Vorsitzender der Parlamentsdelegation für die Beziehungen zur Union des Arabischen Maghreb (DMAG), wozu nicht Katar gehört, allerdings Marokko. Auch über diese Delegation sollen Entscheidungen positiv für Marokko beeinflusst worden sein. Dass an der Spitze der Delegation nach dem Abgang Panzeris der Italiener Andrea Cozzolino stand, ist auch kein Zufall.

Das gilt auch dafür, dass der dessen Assistenten Giorgi und Kaili-Lebensgefährten übernahm. Cozzolini ist in Italien im Hausarrest und Belgien fordert seine Auslieferung, während die Untersuchungshaft dort für Kaili, Panzeri und Tarabella gestern verlängert wurde. Vorgeworfen wird ihnen Geldwäsche und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Korruption.

Besonders sticht aber nun heraus, dass die belgischen Ermittler inzwischen einen Haftbefehl gegen den marokkanischen Geheimdienstchef Yassine Mansouri und andere Geheimdienstmitarbeiter ausgestellt hat. Nach Ansicht der belgischen Ermittler habe der Auslandgeheimdienst (DGED) und dessen Chef Mansouri die Fäden im Marokkogate gezogen.

Die belgische Justiz hat internationale Haftbefehle gegen marokkanische Beamte erlassen, die in die EU-Korruptionsaffäre, auch bekannt als Marokkogate", verwickelt sind, wird berichtet.

Diverse Medien berichten über den Vorgang. Inzwischen wurden auch Fotos von Mansouri veröffentlicht, der die Liste der von Belgien gesuchten Personen anführte. Die Regierung in Frankreich, wo sich Mansouri und andere Geheimdienstler aufhalten sollen - auch der marokkanische König hält sich eher in Paris als in Rabat auf – befände sich jetzt in einer schwierigen Lage.

Zitiert wird ein französischer Diplomat, wonach man in Paris befürchtet, dass Verhaftungen zur Verschlechterung der französisch-marokkanischen Beziehungen führen könnten. Die belgischen Haftbefehle sind eine Reaktion auf die Festnahme von Tarabella.

Das weist darauf hin, dass bei Durchsuchungen weiteres Belastungsmaterial gefunden worden sein dürfte.