"Nur Laien können Experten kontrollieren"

Seite 3: Citizen Science ist "direkte Demokratie in der Wissenschaft"

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Wissensgesellschaft ist mit dem Begriff Freiheit verknüpft. Was würde eine souveräne Integration von "Citizen Science" an Freiheit für die Gesellschaft bringen?

Peter Finke: Citizen Science ist Wissenschaft, die noch wirklich frei ist. Wer diese wirklich ernst nimmt und nicht als zweitrangig versteckt, schafft eine Herausforderung für die Profis, sich ihrer heutigen Unfreiheit bewusst zu werden und sich genauer zu überlegen, wessen Geld man annimmt, wessen Aufträge man ausführt und von sich aus zu wünschen, dass manches Hochschulgesetz novelliert wird. Bisher geht dies fast ausschließlich von der Politik aus mit dem Ergebnis, dass die Wissenschaftsfreiheit noch weiter eingeschränkt wird (s. NRW).

Aber das wichtigste Resultat für die Gesellschaft bestünde in einer Stärkung der Demokratie. Bürger als gleichberechtigte Gesprächspartner der Experten anzuerkennen, ist der erste, notwendige Schritt, die Fahrt in die Expertokratie zu bremsen. Nur Laien können Experten kontrollieren; dies ist die wichtigste Funktion von Citizen Science. Die Gesellschaft hat davon einen ungeheuren Gewinn: Es ist der Abbau von Privilegien einzelner Gruppen, die sich ihre Angelegenheiten nicht hineinreden lassen wollen. Ich stimme Popper zu, dass die wahren Feinde einer offenen Gesellschaft diejenigen sind, die in einer offenen Gesellschaft (= einer Demokratie) "geschlossene Gesellschaft" spielen wollen. Das geht nicht; es ist der Anfang vom Ende einer Demokratie, wenn man das zulässt. Citizen Science ist ein Modell einer konsequenten Demokratie in der Wissenschaft; oder, wie der Schweizer Journalist Adolf Reichwarth gesagt hat, sie ist "direkte Demokratie in der Wissenschaft". Das ist ein ungeheuer starkes Modell, das die Gesamtgesellschaft nicht kalt lassen kann.

Wäre die Etablierung von Bürgerwissenschaft Ihrer Meinung nach auch ein Schritt in Richtung freiheitlich verfasster Bürgergesellschaft?

Peter Finke: Natürlich. Aber noch einmal: Es geht nicht um die "Etablierung der Bürgerwissenschaft". Es geht um ihre Wahrnehmung und ihre Respektierung als legitimer, wichtiger Basisbereich der Wissenschaft. Es gibt sie, wir brauchen sie nicht zu schaffen. Insofern ist das Bild, das der Gesprächsleiter der Citizen-Science-Gespräche im BMBF benutzt hat, an denen ich anfangs teilgenommen habe, es ginge ihnen um eine Art "Geburtshilfe" in Deutschland, schlicht falsch. Die Kinder sind längst auf der Welt, man hat sie nur bisher nicht bemerkt und ihnen die Aufmerksamkeit gezollt, die sie verdienen, wenn sie sich gut entwickeln sollen. Man verwechselt den neuen Begriff ("Citizen Science") mit einer angeblich neuen Sache. Aber die Sache ist nur in Teilaspekten neu (Internet). Im Wesentlichen ist sie alt. Es gibt das Gewünschte mindestens seit gut zweihundert Jahren. Man muss nur der Aufklärung einen neuen Schub verleihen wollen. Daran scheint es zu hapern.

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