Nur für Autofahrer praktikabel: Landflucht vor hohen Mieten
Bauministerin löst Debatte aus: Aus Großstädten wegziehen ist trotz Homeoffice leichter gesagt als getan. Ein Grund ist die Verkehrspolitik. Ein Kommentar.
Der Vorschlag von Bauministerin Klara Geywitz (SPD), wer in Großstädten keinen bezahlbaren Wohnraum finde, solle doch aufs Land ziehen, sofern er oder sie die Möglichkeit hat, im Homeoffice arbeiten, kam nicht einmal beim Koalitionspartner FDP gut an.
"Die Empfehlung von Frau Geywitz, die Menschen sollten einfach aus Großstädten wegziehen, grenzt an Hohn", sagte deren Generalsekretär Bijan Djir-Sarai den Zeitungen der Funke Mediengruppe nach Angaben vom Montag.
"Viele Personen sind aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit, ihrer Ausbildung oder ihres familiären Umfeldes auf Wohnraum in der Stadt angewiesen." Die Ampel-Koalition hatte zu Beginn der Legislatur den Neubau von rund 400.000 Wohnungen pro Jahr versprochen; Geywitz nannte inzwischen die Fertigstellungsraten "überraschend gut", obwohl im vergangenen Jahr nur 294.000 Wohneinheiten gebaut wurden.
Gegenvorschlag: 10.000 Euro Umzugsprämie
In einem aktuellen Kommentar der Zeit werden statt wohlfeiler Ratschläge "echte Anreize" für den Umzug aufs Land gefordert – so könnten etwa Gemeinden, in denen besonders viel Wohnraum leersteht, weil jüngere Menschen wegziehen, mit Bundesmitteln bei der Auslobung von Umzugsprämien in Höhe von 10.000 Euro unterstützt werden, sofern Interessierte bereit sind, dafür mindestens drei Jahre zu bleiben.
Japan habe bereits etwas Ähnliches beschlossen, schreibt Zeit-Autor Zacharias Zacharakis: "Umgerechnet mehrere tausend Euro gibt es dort für den Umzug aufs Land – und zwar pro Kind. Ein Umzug ist teuer, gerade über größere Strecken. Gegebenenfalls muss die neue Wohnung auch renoviert werden."
Ohne Auto geht im ländlichen Raum nicht viel
Ein weiteres Problem ist allerdings Mobilität. Denn viele Großstadtmenschen kommen gut ohne Auto zurecht und verzichten teils freiwillig, teils auf finanziellen Gründen darauf – was auf dem Land selbst im Homeoffice schwierig ist. Einkäufe, Arztbesuche, Behördengänge oder Treffen mit Freunden und andere Freizeitaktivitäten können so schnell zur Herausforderung werden.
In einer Umfrage des Norddeutschen Rundfunks (NDR) zeigte im vergangenen Jahr große Unzufriedenheit mit öffentlichen Verkehrsmitteln im ländlichen Raum: Fast die Hälfte der Teilnehmenden gab dem ÖPNV eine Schulnote zwischen "Vier" und "Sechs".
"Ich würde gern mal den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Leider fahren bei uns auf dem Land nur zweimal am Tag die Schulbusse. Und diese fahren auch nur bis zum nächsten Ort", wurde eine Teilnehmerin zitiert.
ÖPNV-Ausbau: Ein Muss für die Verkehrswende
Menschen, die sich aus ökologischen Gründen für eine Verkehrswende einsetzen, hören dieses Argument oft und betonen seit Jahren, dass der ÖPNV fernab der Großstädte ausgebaut werden muss. Wenn das Angebot an Bus- und Bahnverbindungen deutlich erweitert würde, könnte das 49-Euro-Ticket auch für mehr Menschen im ländlichen Raum ein Anreiz sein, ihr Auto stehenzulassen oder perspektivisch abzuschaffen.
Denn die Unterhaltskosten für einen Kleinwagen Auto liegen bei etwa 200 Euro, inklusive Spritkosten, Kfz-Versicherung, Steuern, Wertverlust und Wartungskosten – bei einem Mittelklassewagen können sich diese Kosten durchaus verdoppeln. Das relativiert auch die Mietersparnis für Menschen, die einen Umzug aufs Land erwägen.
Inwieweit es sich trotzdem lohnt, hängt nicht nur von der Haushaltsgröße und der Häufigkeit der Autonutzung auch für kulturelle Teilhabe ab. Wer gar Wohneigentum erwerben will, wird beim Blick auf die Angebote sehr schnell feststellen, dass die Preise ziemlich genau da purzeln, wo ein Leben ohne Auto nicht mehr praktikabel ist, wenn es nicht in Richtung Eremitendasein gehen soll.
Mobilität ohne Auto: Nicht mit diesem Verkehrsminister
Hinzu kommt: Erstens soll das 49-Euro-Ticket demnächst teurer werden. Zweitens ist keine Investitionsoffensive für den ÖPNV im ländlichen Raum geplant. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) geht davon aus, dass mehr Menschen Auto und "Deutschlandticket" kombiniert nutzen sollten. Wissing spricht in diesem Zusammenhang "Umstiegs-Hubs" – gemeint sind Bahnhöfe, die Menschen aus der Umgebung gut mit dem Auto erreichen könnten.
Alles, was in Richtung "Weniger Autos" weist, lehnt Wissing traditionell ab. Und eines ist sicher: Die Autoindustrie dürfte den Vorschlag der Bauministerin begrüßen, während naturverbundene Menschen oft damit hadern, im ländlichen Raum fast zwingend auf ein Auto angewiesen zu sein.