"Obamacare"-Webseite: "Zwei Stunden Folter"

Seite 2: "Tech Surge”

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Das Gesundheitsministerium (HHS) kündigte daher Mitte Oktober eine Technikoffensive ("tech surge”) an, um Healthcare.gov zu verbessern. Man versprach einige der "Best and Brightest" aus dem Privatsektor von Google und Oracle anzuheuern, um zusammen der Probleme Herr zu werden.

"Best and Brightes”-Zyniker könnten sich an David Halberstams Buch mit dem gleichnamigen Titel erinnert fühlen, in dem jene Besten und Klügsten den Vietnamkrieg verbockten. Doch die HHS ist anscheinend ernsthaft bemüht. Die Seite ist seit der Ankündigung zur Nachtstunde für eine Überarbeitung gesperrt. Innerhalb der letzten Woche wären über zwei Dutzend Verbesserungen durchgeführt worden, heißt es in einem aktuellen "Digitalk-Blog"-Eintrag der HHS.

Einen vor wenigen Tagen sich ereignenden "außerplanmäßigen Ausfall” der Seite konnte man offenbar dennoch nicht verhindern. Zumindest aber sind wohl mittlerweile die Probleme beim Bewerbungs- und Einschreibungssystems behoben. "Wir machen Fortschritte...und kreuzen Punkte vom Mängelprotokol", heißt es aus dem Ministerium. "Wir gehen davon aus, dass (die Webseite) bis zum Ende dieses Monats so funktioniert wie es vorgesehen war", sagte Obama kürzlich.

Zehn Jahre alte Technologie?

Einige Experten bezweifeln jedoch, dass das Beheben von Programmierfehlern ausreichend sein wird. "Healthcare.gov wurde auf Basis einer zehn Jahre alten Technologie gebaut, die vermutlich anhaltende Problembehebungen und Updates benötigt und letztendlich eine Überarbeitung des ganzen Systems", erklärten IT-Experten. "Ich habe in den vergangenen fünf Jahren keine Webseite gesehen, bei der man den Cache löschen muss, um einen Fehler zu beheben", so ein Computer-Ingenieur gegenüber der Zeitung. "Das ist eine Fehlerbehebung für das Web 1.0." Eine Einschätzung, die IT-Experten vom Wall Street Journal teilen. Die Seite, schreibt WSJ, scheint auf Basis einer "schludrigen Software" und unter Zeitdruck zusammengebaut geworden sein (Reddit-Diskussionsrunde über Bugs im System ).

Wie kann ein fast 400 Millionen US-Dollar teures Projekt so drastisch und nachhaltig versagen? Diese Frage und das zweifelhafte Ergebnis haben auch die Republikaner auf den Plan gerufen. Sie luden die verantwortliche Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius vor einem Ausschuss des Repräsentantenhauses. "Wir waren bestrebt die Webseite funktionstüchtig freizuschalten, was wir eindeutig nicht geschafft haben", gab Sibelius zu. Man hätte schlicht kein adäquates "end-to-end testing" durchgeführt.

Das Prestigeobjekt sollte nach all dem Hin-und-her über den Shutdown offenbar endlich und pünktlich an den Start gehen. Sebelius zeigte sich reumütig: "Ich bin verantwortlich für das Debakel. Let me say to the American people: I apologize." Zurückgetreten (worden) ist sie bisher noch nicht, einzig ihr leitender Beamter, Tony Trenkle, verantwortlich für Technologie im Gesundheitsministerium, verlässt die Behörde zum 15 November - für einen Job im Privatsektor. Nicht klar ist, ob er als Reaktion auf das Debakel der Webseite abdankte. Er ist die erste Person, die seit Anfang der Pannenserie ihren Posten verlässt.

Keine Koordination, keine Zeit für Tests, keine funktionierende Webseite

Während der Unterhaus-Anhörung stellte Sebelius in Frage, ob der Auftragnehmer für das Entwickeln der Webseite, CGI Federal, den gesamten Lohn von 197 Millionen US-Dollar wegen der problematischen Einführung ausgezahlt bekommen würde. Man bezahle nicht für etwas, das nicht fertig ist, sagte sie. CGI derweil behauptete in der selben Anhörung, dass man durchaus gerne "Monate" mehr Zeit gehabt hätte, um die Seite zu testen, aber dass die verantwortliche Unterbehörde des Gesundheitsministeriums, die Centers for Medicare and Medicaid Services, sich dafür entschied, erst zwei Wochen vor dem geplanten Launch Tests durchzuführen. Dokumente bestätigen, dass CGI vorweg Sorgen bekundete über eine unzureichende Testphase.

Während die Suche nach Schuldigen und Verantwortlichen auch die kommenden Wochen dominieren wird, kommt das US-Magazin Slate einer Antwort auf die Frage, wie es zu diesen Fiasko kommen konnte, wohl am nächsten: Die Webseite healthcare.gov wurden von zwei verschiedenen Unternehmen zusammengebaut: Verantwortlich für das Back-End war CGI-Federal, für das Front-End die Firma Development Seed. Der fundamentale Fehler, so vermutet Slate, ist, dass jeder für sich allein an Teilen eines komplexen Webprojekts baute und zwischen diesen beiden Auftragnehmern eine Koordination offenbar nicht vorhanden war. Rechnet man dazu den knappen Zeitrahmen hat man ein dilettantisches Großprojekt und einen Sumpf für Steuergelder. Hört sich nach einem zweiten Hauptstadtflughafen an.