Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Wie einseitig sind die Nachrichten?

Seite 2: Aussagekraft der Studie: Was fehlt

Marcus Maurer, Simon Kruschinski und Pablo Jost benennen am Ende, wie in solchen Studien üblich, selbst einige Einschränkungen zur Aussagekraft: dass sie nur neun ÖRR-Formate in einem bestimmten Zeitraum betrachtet haben und die Programmvielfalt deutlich größer ist, als sich dies an reinen Nachrichtensendungen zeigen kann.

Ein grundlegendes Problem solcher Inhaltsanalysen ist allerdings auch, dass sie nicht auf die Details der Berichterstattung schauen, sondern nur bestimmte, vorher definierte Schlagworte erfassen. Dass sich damit Vielfalt und Ausgewogenheit wirklich messen lassen, kann man bezweifeln.

Vielfalt

Schon für die Vielfalt politischer Positionen sind die üblichen Kategorien nicht ausreichend. Es gibt innerhalb der Parteien zu jedem Thema sehr verschiedene Positionen. Wird diese innere Vielfalt abgebildet, wird die Diskussion um zu vertretende Positionen transparent und nachvollziehbar berichtet?

Spielen beispielsweise die Überlegungen in den Ortsgruppen überhaupt eine Rolle? Kommen jemals Parteien in der Berichterstattung vor, die nicht in einem Parlament vertreten sind (die aber auf dem letzten Wahlzettel standen)?

Vollständigkeit

Zur schönen Frage "Fehlt da was?" gehören zudem noch weitere Qualitätskriterien, etwa die Vollständigkeit. Dass ein Thema überhaupt auftaucht, sagt noch nichts darüber aus, ob es inhaltlich zureichend dargestellt wurde (siehe am Beispiel der Corona-Berichterstattung: "Halbe Wahrheiten sind keine").

Die Autoren thematisieren eingangs selbst die Ambivalenz der Begriffe Vielfalt und Ausgewogenheit.

Unter welchen konkreten Bedingungen aber müssen Vielfalt und Ausgewogenheit hinter anderen Werten zurückstehen? Soll beispielsweise im Fall des russischen Angriffs auf die Ukraine auch die Perspektive Russlands (gleichgewichtig) thematisiert werden?

Oder verlangen die Umstände sogar, dass sich die Medienberichterstattung auf die Seite der Angegriffenen stellt? Wenn erst einmal Ausnahmen vom Vielfaltsgebot akzeptiert werden, resultieren daraus aber zugleich weitere Fragen: Welche von der Meinungsfreiheit gedeckten und den Programmgrundsätzen nicht eindeutig widersprechende Positionen und Perspektiven erscheinen dennoch so unmoralisch oder inakzeptabel, dass wir sie in den Medien nicht sehen möchten?

Kann es Bedingungen geben, unter denen Journalismus nicht vielfältig und ergebnisoffen zu einer unabhängigen Meinungsbildung beitragen, sondern die Bürgerinnen und Bürger im Sinne einer "guten" Sache in die "richtige" Richtung lenken soll?

Und wer entscheidet dann, welche Bedingungen das sind und was die "gute" Sache ist? Hier geht es letztlich auch um die Frage, wie breit der Meinungskorridor ist, den wir als Gesellschaft bereit sind zu akzeptieren.

Studie "Fehlt da was?"

Allerdings konstatieren sie, diese Frage in der Studie nicht beantworten zu können. Dabei wäre dies die Voraussetzung, um sich überhaupt mit Vielfalt und Ausgewogenheit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu befassen.

Dazu braucht es auch keine dezidierteren Vorgaben der Politik, die in ihren Staatsverträgen festlegt, was die Sender zu leisten haben. Unter dem Gesichtspunkt der Orientierung wird man schlecht für eine Verengung des "Meinungskorridors" argumentieren können.

Kritische Untersuchung des Themenangebots

Interessant wäre auch hier ein Blick in die Details: Denn vor einer Meinung stehen ja stets erstmal die Tatsachen, die dann überhaupt erst bewertet werden können. Ist die Berichterstattung in diesem Punkt "ausgewogen" genug (treffender wäre hier eben von Vollständigkeit zu sprechen)?

Zur Beurteilung der Ausgewogenheit der Berichterstattung müsste u.a. mit dem Themenangebot abgeglichen werden. Welche inhaltlichen Themen einer Partei kommen in den Medien vor, welche werden ignoriert?

Umgang mit Reaktionen des Publikums

Wie gehen die Redaktionen mit dem Feedback ihrer Kunden um? Was diskutieren die Bürger im Privaten, im Freundes- und Familienkreis, bei der Arbeit oder am sprichwörtlichen Stammtisch, und wie sieht es demgegenüber in den Medien aus?

Eine weitere Schwäche der Studie wird zwischen den Zeilen deutlich: wenn nämlich davon gesprochen wird, dass man vom ÖRR in manchen Punkten etwas bessere Leistungen erwarten kann als von den privatwirtschaftlichen Medien.

Dass sich der beitragsfinanzierte Journalismus nur wenig vom marktwirtschaftlichen unterscheidet, ist ein Befund der Studie. Ob aber deutlich mehr zu leisten wäre, kann ein Vergleich der beiden Gruppen nicht zeigen.

So haben andere Wissenschaftler jüngst wieder herausgearbeitet, dass Journalisten insgesamt stärker zu Parteien links der Mitte neigen, als dies in der Gesamtbevölkerung der Fall ist (Studie: "Wie blicken Journalistinnen und Journalisten auf die Welt?").

Wie groß also das Verbesserungspotenzial ist und wie mithin die Antwort auf die Titelfrage lautet, ob beim ÖRR etwas fehlt, wissen wir so noch nicht.