"Ökozid": Ein Verbrechen gegen die Menschheit?
Frankreich: Ein Gesetzentwurf der Sozialdemokraten (PS) sieht bis zu 20 Jahre Freiheitsentzug und Geldstrafen bis zu 10 Millionen Euro vor
Die Unternehmen fühlen sich bedroht, bei der Arbeitgebervereinigung Medef wird gar eine "leichte Panik" beobachtet. Die Unternehmer mögen kein Gesetz, das die verantwortlichen Führungspersonen im schwerstwiegenden Fall von angerichteten Umweltschäden mit zwanzig Jahren Freiheitsstrafe konfrontiert und mit Geldstrafen von bis zu 10 Millionen Euro oder 20 Prozent des globalen Umsatzes droht. Der betreffende Straftatbestand, der neu eingeführt werden soll, heißt: "Ökozid".
Den Gesetzesentwurf, der den Ökozid in die Strafgesetzgebung einführen will, vertritt Christophe Bouillon, Abgeordneter der sozialdemokratischen Partei PS. Die Fraktion "Groupe socialiste" hat 29 von 577 Sitzen in der Nationalversammlung. Selbst wenn man die 17 Sitze der Fraktion "Groupe La France insoumise" hinzuzählt, die bisher Unterstützung für das Gesetz erkennen ließ, fehlen "Welten" zur Mehrheit. Und dennoch "Panik" bei den Arbeitgebern, wo doch Macron ganz auf der Seite der Unternehmer steht?
Es besteht kein Zweifel daran, dass die Gesetzesvorlage, über die morgen im französischen Parlament debattiert wird, keine Mehrheit erhält. Aber vielleicht ist die Abstimmung nur eine Etappe. Und bei der nächsten Vorlage sehen die Bedingungen ganz anders aus…
Wie schnell sich Stimmungen beim Umweltschutz ändern können und eine große Klimaschutz-Bewegung entstehen kann, darüber gab es dieses Jahr genug Anschauungsunterricht und in Frankreich können Bewegungen, mit denen man zuvor nicht gerechnet hat, rasch mächtig werden, wie es die Gelbwesten zeigten und zuvor La République en Marche, mit der Macron die Parteienlandschaft veränderte.
Bisherige Strafen "unverhältnismäßig, ohne Abschreckungseffekt"
Die bisherigen Strafen reichen nicht, sie sind gegenüber den Schäden, die in der Umwelt angerichtet werden, zu schwach, unverhältnismäßig, ohne Abschreckungseffekt, sie sind unverantwortlich, lauten die Argumente derjenigen, die das absichtsvolle Anrichten von großen Umweltschäden künftig als Verbrechen namens Ökozid behandelt und mit schweren Strafen geahndet sehen wollen.
Unterstützt wird die Gesetzesinitiative von einem außerparlamentarischen Appell, unterzeichnet von über 60 Politikern und Intellektuellen - die hierzulande vielleicht bekannteste Persönlichkeit dürfte die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo sein -, die fordern, dass der Ökozid den Verbrechen gegen die Menschheit gleichgestellt wird.
Ihre Definition des Ökozids ist kurz und bildkräftig: "tuer la maison", wörtlich: "das Haus töten". Da sich die Unterstützer der neuen Gesetzgebung auch auf Macron beziehen, der im Falle des Regenwaldes von "Ökozid" spricht, könnte man dies auch mit "das Haus anzünden" wiedergeben.
Der erwähnte Abgeordnete des PS, Christophe Bouillon, verweist auf die Definition, die Eingang in den Gesetzesvorschlag gefunden hat:
Eine abgestimmte und absichtliche Handlung, die so ausgerichtet ist, dass sie direkt umfangreiche, irreversible und nicht zu behebende Schäden an einem Ökosystem verursacht und die in Kenntnis der Konsequenzen ausgeführt wird, die daraus entstehen können.
Art. 413-15, Gesetzesvorschlag zur Anerkennung des Verbrechens des Ökozids
Die Schadenshöhe spielt eine entscheidende Rolle, so Bouillon, die Lücke zwischen Schaden und Strafmaß sei bei der bisherigen Gesetzgebung zu groß. Als Gegenbeispiel zum Argument, wonach es doch bereits gesetzliche Handhabe gegen Verursacher von Umweltschäden gibt, führt der genannte Appell etwa die Ölpest von 1999 vor der bretonischen Küste an, die der Tanker Erika verursachte.
Der verantwortliche Konzern Total wurde zu einer Geldzahlung von 375.000 Euro verpflichtet. Das sei ein "Tropfen Wasser im Ozean" angesichts dessen, was noch heute an Schäden zu sehen ist, so das "Kollektiv der politisch Verantwortlichen und Intellektuellen".
Wie das Kollektiv führt auch Bouillon den Fall des französischen Baukonzerns Vinci an, der im Frühjahr die Schlagzeilen kam, weil ihm vorgeworfen wurde, dass betonhaltiges Wasser in die Seine gegossen wurde. Der Konzern habe das dann zugegeben, so der Abgeordnete. Dafür kassierte der Konzern ebenfalls eine Strafe in Höhe von 375.000 Euro. "Das ist aber nicht auf der Höhe dessen, was hier passierte."
Als weitere Beispiele, wo die Verantwortlichen für die Schäden nicht angemessen zur Verantwortung gezogen werden, nennt er auch das Goldwaschen im "französische Dschungel- Departement Guyana", das große Umweltschäden anrichtet, womit er veranschaulicht, dass es nicht allein um Konzerne geht, sondern auch um "Banden".
"Frankreich als Vorreiter"
Die Gesetzesinitiative ist eine Wiederholung. Schon im März gab es einen Gesetzesvorschlag, der dann im Mai mehrheitlich abgelehnt wurde. Die Definition des Ökozids sei jetzt präziser, heißt es. Dennoch ist der Vorschlag schon im zuständigen Ausschuss durchgefallen. Die Hoffnung richtet sich also nicht so sehr auf eine Sensation, sondern auf eine wachsende Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit - und auf den nächsten Versuch.
Frankreich könnte doch zum exemplarischen Vorreiter werden, so der Ansatz, der auf Unterstützung in der französischen Bevölkerung hofft und darauf, dass die Sache der härteren Ahndung eines Ökozids auch international zum Thema wird. Zum Beispiel beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Allerdings fehlen dort auch noch die rechtlichen Grundlagen dafür.