Ökozid – ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit?
- Ökozid – ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit?
- Strafverfolgung bei Kriegsführung schon jetzt möglich
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Klimaaktivisten fordern, die Zerstörung ganzer Ökosysteme nach dem Völkerstrafrecht zu ahnden. Das wäre kompliziert umzusetzen. Die Idee ist aber nicht ganz neu
Was passiert, wenn global agierende Konzerne oder Politiker immense Umweltzerstörungen in Kauf nehmen, unter denen am Ende ganze Gesellschaften zu leiden haben? In der Regel: nichts. Die schlimmste denkbare Konsequenz wäre ein Imageschaden oder die Abwahl. Beides sind – im Vergleich zur Strafe für weit weniger schlimme Verbrechen – glimpfliche Sanktionen.
Ein Expertengremium aus Anwälten und Aktivisten möchte das ändern, indem solche Taten in Zukunft als Verbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verhandelt werden können. Der Straftatbestand wäre dann massive Naturzerstörung, oder kurz und prägnant: Ökozid. Der Begriff stammt historisch aus Konferenzen zur Zeit des Vietnam-Kriegs, auf denen der großflächige Einsatz von chemischen Kampfstoffen wie Agent Orange entsprechend umschrieben wurde.
Bedeuteten schon die Entlaubungsmittel des US-Militärs langfristige und schwerwiegende Folgen für die vietnamesische Bevölkerung, könnten diese gegen die Auswirkungen von Klimakrise und Artensterben dennoch verblassen. Der Begriff "Ökozid" bezieht sich auf die systematische Zerstörung ganzer Ökosysteme oder die Beschädigung natürlicher Lebensräume, sodass Mensch und Tier die friedliche Nutzung dieser Lebensräume nicht mehr möglich ist. Jahrzehntelange Dürren oder ein Ansteigen des Meeresspiegels können dieses Kriterium erfüllen.
Der Vorstoß, die Ursache solcher Katastrophen direkt international auszuhandeln anstatt vor nationalen Gerichten, mag gewagt wirken. Die Verfolgung dieses Ziels über die nationalen Gesetze der jeweiligen Länder hinaus wäre zudem äußerst mühsam. Das Risiko wäre hoch, dass Konzerne und Personen mit ihren destruktiven Geschäftsmodellen einfach in ein Land mit niedrigeren Standards umziehen. So würde das mutigste Land in erster Linie wirtschaftliche Nachteile erleiden.
Der Internationale Strafgerichtshof urteilt auf Basis des Römischen Statuts, das vier Verbrechen gegen den Frieden definiert:
- Völkermord
- Kriegsverbrechen
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit
- Verbrechen der Aggression
Dieses Statut müsste zunächst abgeändert bzw. erweitert werden um das Verbrechen eines herbeigeführten Ökozids. Dieser Erweiterung müssen zwei Drittel der Mitgliedsstaaten zustimmen, also 82 Länder. Entsprechend langwierig kann sich so ein Vorhaben gestalten, zumal dann auch genau definiert sein müsste, wann ein Ökozid konkret gegeben ist.
Es geht um Vernichtung ganzer Ökosysteme
Bislang äußerten acht dieser Staaten Zustimmung zum Vorhaben. Dabei sind – wenig überraschend – von der Klimakrise bedrohte Inselstaaten wie die Malediven und Vanuatu. Aber auch Frankreich, Spanien und Kanada befürworten die Initiative.
Der Vorteil ist recht einleuchtend: Konzern- und Regierungschefs, die aktuell keinerlei Konsequenzen fürchten müssen, obwohl sie massiven Eingriffe mit hohen gesamtgesellschaftlichen Schäden befehligen, müssten sich in Zukunft für ihre Taten verantworten. Laut Jojo Mehta, Gründerin der Nichtregierungsorganisation Stop Ecocide, geht es bei der Kampagne nicht um Kleinigkeiten, sondern um schwerwiegende Taten, welche die Vernichtung ganzer Ökosysteme zur Folge haben.
Aktuell gibt es Bestrebungen, den brasilianischen Präsidenten wegen der von ihm eingeleiteten Regenwald-Brandrodungen vor Gericht zu bringen. Mangels einer Ökozid-Definition im Römischen Statut sollen ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden, so die Beschwerde zweier indigener Völker in Brasilien.
Die große Frage ist: Wie kann ein Ökozid sinnvoll definiert werden? Welche Kriterien erfüllen die Brandrodungen konkret, die ihn zum Ökozid machen? Im Fall Bolsonaro gibt es noch eine recht eindeutig nachvollziehbare Zuordnung von Ursache und Wirkung: Nach einigen seiner Maßnahmen brannte der Amazonas wie nie zuvor.
Aber wie gestaltet sich der Fall eines Unternehmens, das im Zementsektor expandiert. Oder noch subtiler: das durch seinen Erfolg höhere Emissionen in anderen Wirtschaftsbereichen verursacht? Die Klimakrise ist so systemisch, dass wir alle Verursacher und Leidtragende gleichzeitig sind. Es wird eine besondere Herausforderung, hier eine trennscharfe, sinnvolle und anwendbare Definition zu erarbeiten.
Grundsätzlich dürfte es auch knifflig werden, die Verantwortung zwischen Unternehmen und Staaten eindeutig zuzuordnen. Wenn ein Unternehmen aufgrund lascher Klimagesetze eines Staates klimaschädlich handeln muss, weil es sonst aufgrund zu hoher Preise pleitegeht, kann man das Unternehmen dann dafür verantwortlich machen? Und was ist, wenn dieses Unternehmen selbst für schwammige Klimagesetze lobbyiert hat?
Vielleicht ist es aber auch typisch deutsch von mir, erst mal alle möglichen Probleme zu berücksichtigen, obwohl es auch recht eindeutige Fälle gibt, bei denen man erst mal beginnen kann. Bei Fällen von mit Erdöl verseuchten Mangrovenwälder, Umweltkatastrophen aufgrund schlampiger Sicherheitsvorkehrungen oder aus reiner Profitmaximierung nicht geschlossenen Methanlecks dürfte es einfach sein, Hauptverantwortliche zu identifizieren.
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