Öl, Macht und Manipulation: Wie die USA die Welt am Tropf halten

Seite 2: Erdöl: Eigentümer wollen langsame Produktion

Denn bei funktionierenden Märkten haben die Eigentümer erschöpfbarer Ressourcen aufgrund ihres Monopols auf einen Teil der Ölquellen ein Interesse daran, die Produktion möglichst zu verlangsamen, um durch Verknappung des Angebots die Preise optimieren bzw. in die Höhe treiben zu können.

So verfuhren Öleigner Anfang des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Texas, sodass der Ölpreis auf dem US-Ölmarkt auf bis zu 100 Dollar pro Barrel steigen konnte. Die USA waren seit Beginn der industriellen Revolution – und sind es bis heute – der weltweit größte Produzent und Verbraucher fossiler Energieträger.

Gemäß den Knappheitsregeln der Ökonomie bewegte sich der für den gesamten Energiesektor regulierende Ölpreis bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts – inflationsbereinigt und auf die heutige Kaufkraft umgerechnet – um 100 US-Dollar pro Barrel.

Mit der Entdeckung umfangreicher Ölvorkommen in den neokolonial beherrschten Ländern des Südens bot sich den multinationalen Ölkonzernen jedoch die historisch einmalige Chance, sich von den in den USA herrschenden Marktzwängen und mächtigen Ölbesitzern zu befreien und stattdessen Förderverträge mit machtlosen Ölbesitzern abzuschließen.

Ölmultis hatten bald freie Hand

Auf der Grundlage von neokolonialistischen Pachtverträgen mit den Ölbesitzern des Südens, also von Pachtverträgen, die unter den Bedingungen ungleicher Machtverhältnisse zustande gekommen waren, hatten die Ölmultis nun freie Hand, die Produktion massiv zu steigern, denn die Pachtverträge erlaubten ihnen, wie oben erläutert, de facto eine unbegrenzte Mengenproduktion.

Mit anderen Worten: Die Ölbesitzer waren gezwungen, untereinander um langfristige Pachtverträge zu konkurrieren, anstatt ihr Monopol gemäß dem marktwirtschaftlichen Prinzip der Nutzenmaximierung durch Mengenbeschränkungen durchzusetzen.

Damit haben sie ihre Marktsouveränität fast vollständig aufgegeben. Um es noch deutlicher zu sagen: Die Ölbesitzer des Südens übten als Anbieter praktisch keine Marktfunktionen mehr aus, sie verloren für die Dauer der langen Pacht- und Nutzungsverträge alle Machthebel zur Optimierung ihrer Einnahmen.

Zeit der großen Überproduktion auf Erdölmärkten

Als Anbieter überließen sie diese Machthebel der Nachfrageseite, d.h. den untereinander konkurrierenden Ölkonzernen. Die Folge war eine strukturelle und über Jahrzehnte andauernde Überproduktion und Preissenkung auf den Weltölmärkten.

Die so entstandene neokolonialistische Ölproduktion im Globalen Süden (im Iran, Saudi-Arabien, Kuwait und anderen Ölstaaten am Persischen Golf, in der Republik Aserbaidschan am Kaspischen Meer, in Mexiko und Venezuela in Südamerika) senkte den hohen Ölpreis von 100 US-Dollar pro Barrel seit den 1920er-Jahren auf sage und schreibe ca. zwei Dollar pro Barrel.

Zwei Dollar pro Barrel, weil die bisherige Knappheit schlagartig verschwindet und weil die Ölkonzerne als sehr wichtige Marktakteure innerhalb weniger Jahre in die neue Position versetzt werden, die im US-Binnenmarkt noch wirksamen Knappheitsgesetze durch unbegrenzte Ölförderung im Globalen Süden aushebeln zu können.

Niedrige Ölpreise, hohe Gewinne

Die Ölkonzerne hatten dank der hohen natürlichen Ergiebigkeit der Ölquellen im Nahen Osten vergleichsweise sehr niedrige Produktionskosten und konnten so trotz niedriger Ölpreise sehr hohe Gewinne erzielen und zu den finanzstärksten Konzerne der Welt aufsteigen.

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, belaufen sich die Gewinne von 25 Ölkonzernen im Zeitraum von 1985 bis 2018 laut einer Studie des Thinktanks "Climate Analyse" auf 30 Billionen US-Dollar.

Im Folgenden wird das Ergebnis der obigen, in weiten Teilen komplexen Darstellung zum besseren Verständnis und trotz teilweiser Wiederholungen in elf Punkten pointiert dargestellt:

Erstens: Die neu entdeckten fossilen Energiequellen des Nahen Ostens werden neokolonialistisch in den Weltmarkt integriert. Neokolonialistisch bedeutet hier, dass den Eigentümern im Globalen Süden die Marktmacht und damit die Möglichkeit zur Maximierung der Ölrente genommen wird.

Zweitens wird dadurch das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage und damit die Marktfunktion der Anbieter für die Bildung eines Gleichgewichtspreises, d.h. realer und fairer Marktpreise, ausgehebelt.

Drittens führt dies zu einem drastischen Einbruch des Ölpreises von 100 auf zwei US-Dollar pro Barrel. Dieser sehr niedrige Ölpreis ist ein ungleichgewichtiger Marktpreis bzw. ein Dumpingpreis, der unter dem fairen Marktpreis liegt, weil die Grundrente der ölexportierenden Länder auf ein Minimum reduziert werden konnte.

Durch den weitgehenden Wegfall der Grundrente wurden die Produktionskosten des Öls im Nahen Osten zum einzigen regulierenden Faktor der Marktpreise, zumal die multinationalen Ölkonzerne untereinander in einem massiven Konkurrenzkampf standen. Die Ölförderkosten im Nahen Osten sind im Vergleich zu den Ölförderkosten in Nordamerika sehr niedrig.

Viertens führten zwei wichtige Faktoren zu einer chronischen Überproduktion von Öl auf dem Weltmarkt: zum einen die freie Konkurrenz der multinationalen Ölkonzerne und zum anderen der durch die neokolonialistischen Pachtverträge mit den Ölstaaten des Globalen Südens geschaffene Anreiz, die Ölausbeutung dauerhaft zu beschleunigen.

Diese permanente Überproduktion entwickelte sich über einen sehr langen Zeitraum von den 1920er-Jahren bis zur ersten Ölkrise 1973/74, also über fast ein halbes Jahrhundert, zu einem wirksamen Hebel der Preissenkung. Entgegen den ökonomischen Theorien blieb der Ölpreis in diesem Zeitraum auf einem sehr niedrigen Niveau, obwohl die weltweite Nachfrage nach Öl rapide anstieg.

Fünftens werden in diesem Zeitraum alle fossilen Energieträger auf dem Weltmarkt zu Dumpingpreisen verkauft, da der Ölpreis den Preis aller fossilen Energieträger reguliert.

Sechstens: Gleichgewichtspreise für Öl und für alle mit Öl konkurrierenden Energieträger werden sich erst nach Überwindung der neokolonialen Weltarbeitsteilung einstellen.

Siebtens: Trotz niedriger Ölpreise machen die globalen Ölkonzerne aufgrund sehr niedriger Produktionskosten im Nahen Osten und trotz Konkurrenz untereinander sehr hohe Profite.

Achtens sind die Nutznießer der Dumpingpreise für Öl als preisregulierender Rohstoff und darauf aufbauend für alle fossilen Energieträger weltweit die Konsumenten, d.h. die Ökonomien der entwickelten kapitalistischen Staaten, die bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Hauptölverbraucher waren.

Die Verlierer dieses gigantischen Weltgeschäfts sind – ökonomisch gesehen – die Öleigentümerstaaten, denn die entwickelten kapitalistischen Staaten haben ihnen aufgrund ihrer neokolonialen Machtüberlegenheit die ihnen zustehende Grundrente (wahrscheinlich mehrere Billionen Dollar) vorenthalten.

Zudem wurden die Ölbesitzerstaaten zur geopolitischen Zielscheibe der Hegemonialmacht USA und zum Schlachtfeld externer subversiver Interventionen und Kriege, die bis heute andauern. Ökologischer Verlierer des Öldumpings ist aufgrund der aktuellen Klimakrise, wie in Telepolis vom 1. Dezember ausführlich begründet, die gesamte Menschheit.

Neuntens: Bei genauerer Betrachtung verbergen sich hinter den Öldumpingpreisen und der neokolonialistischen Weltarbeitsteilung global ungleiche Machtverhältnisse, die durchaus mit den Machtverhältnissen des historischen Kolonialismus vergleichbar sind. Im Ergebnis und als Folge dieser Weltarbeitsteilung werden die Länder des Globalen Südens zu Produzenten und Exporteuren billiger Rohstoffe

Zehntens wurde damit das Dumpingöl aus dem Nahen Osten weltweit zur ökonomischen Grundlage von Industrie- und Konsummustern, die den gesamten Weltmarkt und alle Lebensbereiche prägten. Öl zu Dumpingpreisen bedeutete im Klartext eine Umverteilung von mehreren Billionen Dollar zugunsten der kapitalistischen Industriestaaten.

Dieser Süd-Nord-Transfer schuf auch in den westlichen Industrieländern die Grundlage für hohe Wachstumsraten und steigenden Wohlstand im 20. Jahrhundert. Für die bevölkerungsreichen Öleigentümerstaaten wie Iran, Indonesien, Mexiko, Venezuela bedeuteten die Öldumpingpreise jedoch umgekehrt sehr geringe Grundrenteneinnahmen und Wohlstandsverluste in unvorstellbarem Ausmaß.

Die sehr ölreichen, aber bevölkerungsarmen Öleigentümerstaaten wie Saudi-Arabien, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Staaten etc. am Persischen Golf konnten trotz Grundrentenverlusten einfach durch gigantische Umsätze enormen Wohlstand erzielen.

Elftens schufen die oben erwähnten wirtschaftlichen Vorteile niedriger Ölpreise einen Anreiz für die westlichen Staaten, das neokoloniale Preissystem beizubehalten. Dieser Anreiz wurde zum entscheidenden Faktor für die Zementierung der neokolonialen Arbeitsteilung und damit auch für die zahlreichen Interventionen der USA in den Ölstaaten.

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