Österreich auf großer diplomatischer Bühne

Seite 2: Österreich am Scheideweg

Wie schlecht es gerade um Österreich steht, lässt sich daran ermessen, dass Politik und Spitzen des Meinungsjournalismus derweil das Osterfest beschwören. "Licht am Ausgang der Osternacht", "Auferstehung" und andere ziemlich vage Aussichten werden bemüht, weil die Realität nichts Gutes verspricht. Österreich steht traditionell an Ostern wieder auf, was an der Bauchlage meist nichts ändert.

Aktuell hat dies hat viel mit der allgemeinen, vom Angriffskrieg Russlands in der Ukraine geprägten Situation in Europa zu tun, aber auch mit den tausenderlei kleinen Verfehlungen der heimischen Politik, die sich zu einem Staatsversagen in Operettenform summieren.

Die Österreichische Volkspartei hat jüngst ihre Führungsspitze ausgetauscht. Ex-Kanzler Sebastian Kurz und Ex-Finanzminister Gernot Blümel haben jetzt "Top-Jobs" in der Finanzindustrie. Nicht schlecht für Studienabbrecher und Kinder aus wenig vernetzter Mittelklasse. Dies war sicherlich immer der Plan, wenn man auch gerne ein paar Runden mehr in der Toppolitik gedreht hätte.

Mit Schwips am Steuer

Durch diese "Säuberung" erwarteten sich manche vielleicht eine gewisse "moralische Aufrüstung", die das Land aus der Themenspirale, "wer hat in welchem Chat, wem welchen Posten versprochen?" herauswachsen könnte. Mit Nussknackercharme sollte der neue Bundeskanzler Karl Nehammer liefern, der schließlich nicht zum engen Kreis der türkisen Postenschacherer zu zählen war.

Das ging eine Weile halbwegs gut, bis auch Nehammer ins bekannte Fahrwasser geriet. Zwei zu seiner Sicherheit abgestellte Beamte des "Einsatzkommandos Cobra" haben Anfang März ihr Dienstfahrzeug geschrottet. Grund: Vollrausch. Nun kamen die beiden Angeheiterten direkten Weges vom Bundekanzler und hatten dort vielleicht – es gilt die Unschuldsvermutung – mit Kanzler und Kanzlerfrau einen gelüpft.

Das Land fragte sich: "Macht man das so?" und geriet wieder tief in diesen bekannten ÖVP-Mahlstrom. Waren die Beamten im Dienst? Haben sie mit dem Kanzler gefeiert oder nur in dessen Wohnung? Übernehmen sie häusliche Dienste aus freundschaftlicher Verbundenheit zu Nehammer oder werden die Aufgaben ihres Dienstverhältnisses eigenwillig interpretiert.

Dazu im Parlament befragt, platze Kanzler Nehammer der viel zu enge Kragen. Es ginge um die Sicherheit seiner Familie und hier sei eine "rote Linie" überschritten. Antworten blieb er bei aller emphatischen Aufregung beharrlich schuldig.

Das Schema ist bekannt. Jörg Haider ließ 1994 plakatieren: "Sie sind gegen ihn. Weil er für euch ist." Inwiefern wer "für euch" ist, lässt sich nie genau sagen, aber dass alle gegen ihn sind, sieht man ja. All die Anfeindungen und falschen Behauptungen, die dann gar nicht widerlegt werden müssen, weil man einfach spürt, dass sie alle falsch sind.

So geht rechte Identitäts- und Verblödungspolitik. Sie funktioniert mal besser und mal schlechter. Nehammer gelingt sie nicht sonderlich gut, weil man ihn nicht so richtig gern hat. Dieser Politikstil hat nur einen enormen Baufehler: Er kann auf keine tatsächliche Krise reagieren.

Diese Politik funktioniert "gut", wenn ein weitgehend funktionierender Staatsapparat gelenkt werden soll, indem die eigenen Interessen und jener der Unterstützenden bedient werden sollen. An der Wahlurne genügt dann das Brimborium vom "wir gegen die", wobei nur ein kleiner Teil des "wir" mitkassiert.

Die Krisen spitzen sich zu

Der laufende Untersuchungsausschuss zur Korruption in der Regierung, beziehungsweise in der ÖVP, bietet zahlloses weiteres Anschauungsmaterial. Die österreichischen Oligarchen mit besten Kontakten nach Moskau werden vorgeladen und reden nur widerwillig und einsilbig über ihre Geschäfte. Das meiste lässt sich einfach nicht so leicht erklären und geht ja auch niemanden etwas an. Warum beispielsweise ein Multimillionär Steuern erlassen bekommt und eine günstige Gemeindewohnung besitzt.

Kaum jemand in den Spitzen der österreichischen Politik und Wirtschaft scheint, wenn es um Steuerzahlungen und öffentliche Verpflichtungen geht, eine größere Aufmerksamkeitsspanne zu haben als Boris Becker. Kanzler Nehammer spürt allerdings, dass bald das Ende der Fahnenstange erreicht sein könnte.

Österreich nimmt im Moment bereits zehntausende Flüchtlinge aus der Ukraine auf, die mit halb schlauer Umwortung plötzlich als "Vertriebene" bezeichnet werden. Russlands Angriffskrieg könnte noch lange dauern. Die jetzt bewiesene, spontane und schöne Solidarität mit den Menschen aus der Ukraine muss durch solide administrative Maßnahmen unterstützt werden, damit die Stimmung nicht wie 2015 wieder kippt.

Dazu müssen Gelder her, Wohnraum und Beschäftigungsmöglichkeiten gefunden werden und vieles mehr. Das kann nicht gelingen, ohne wem im Lande aufs Fußerl zu steigen. Eine entschiedene und moralisch agierende Politik müsste nun Komfort- und Wohlstandsverluste ansprechen und vorbereiten, zu Gunsten des höheren Guts gelebter Solidarität.