Offene Türen zum Aufbau "fairer und freundlicher Gesellschaften"

Pat Vila. Bild: R. Streck

Ausländern wird ein direkter Einblick in die Familien und die Realitäten Kataloniens gewährt, eine Blaupause für europäische Verständigung, die längst Schule macht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Telepolis sprach mit Pat Vila, der Koordinatorin der "Foreign Friends of Catalonia" über die erste Open Doors-Initiative. Vom 23. bis 26. April öffnen 250 katalanische Familien verschiedensten Menschen aus verschiedensten Ländern die Türen zu ihren Häusern und Wohnungen.

Wer sind die "Ausländischen Freunde Katalonien", die die Idee der Open Doors (Offene Türen) entwickelt haben?

Pat Vila: Wir haben die Foreign Friends of Catalonia vor gut zwei Jahren gegründet. Genau am 16. Februar ging ein Twitter-Account an den Start. Der Sitz der Organisation ist in Deutschland (Ludwigsburg) und unser Präsident ist Professor Thomas Schulze. Alle Mitglieder der Führung kommen nicht aus Katalonien. Unser Ziel war es zunächst, Twitter-Nachrichten in verschiedene Sprachen zu übersetzen, damit die Nachrichten, die Leute aus aller Welt über Katalonien verbreiten, in verschiedensten Sprachen auf der ganzen Welt zugänglich werden. Wir als Foreign folgen auf Twitter keinen Katalanen, sondern wir folgen Leuten im Ausland wie Ihnen, Herr Streck, die ein Interesse für Katalonien zeigen. Klar, uns folgen auch viele Katalanen, aber wir folgen vor allem Leuten wie Ihnen, die über Katalonien berichten.

Bleibt die Beziehung auf dieser Retweet-Basis?

Pat Vila: Nein, mit Leuten, die sich für die Situation hier interessieren, wollen wir natürlich enger zusammenarbeiten. Angefangen wurde zunächst, über Direktmails einen Kontakt aufzubauen, um auch herauszufinden, warum eine Person eine Sensibilität für Katalonien entwickelt hat, ein Manifest unterzeichnet, einen Gefangenen besucht … Dann kam natürlich die Frage auf, wie wir die Leute auch direkt kennenlernen können, um die Beziehung zu vertiefen und über die virtuelle Ebene hinauszukomme. Denn wir glauben an die Gemeinwesen-Diplomatie, dass wir als einfache Leute sehr viel bewegen können, vor allem, wenn wir uns auch sehen, anfassen und erleben können.

Was war das erste Projekt, um Interessierte zusammenzubringen?

Pat Vila: Es fing mit den Feierlichkeiten zum katalanischen Nationalfeiertag (Diada) am 11. September 2018 an. Wir haben die Leute, die uns folgen, damals nach Katalonien eingeladen. "Kommt her", haben wir ihnen gesagt, um gemeinsam hier mit uns zu feiern und um uns gegenseitig kennenzulernen.

Das ist aber mit erheblichen Kosten verbunden, oder?

Pat Vila: Genau. Da wir aber kaum Geld haben, haben wir einen Aufruf gestartet, damit katalanische Familien die Besucher in ihren Wohnungen und Häusern aufnehmen. Bezahlen musste jeder nur die Anreise. Unterkunft und Verpflegung werden von den Familien übernommen. Im ersten Jahr kamen schon 157 Besucher und dabei wurden die ersten Freundschaften wurden geschlossen.

Es entstehen sehr enge Beziehungen, wenn man mit jemandem im Schlafanzug am Frühstückstisch sitzt und sich austauscht. Dabei erfährt man auch zum Beispiel von einem Parlamentarier deutlich mehr als das, was die offizielle Linie der Partei ist. Am Frühstückstiche vertritt er sich nur persönlich in einem sehr persönlichen Rahmen.

Wir haben dann eine Vereinigung gegründet. Und man stellt beim Kennenlernen fest, dass man die gleichen oder sehr ähnliche Werte vertritt, wie Leute, die sich dafür einsetzen, dass Flüchtlinge nicht im Mittelmeer ertrinken, wie Menschen, die sich für die Kurden oder gegen den Klimawandel einsetzen, oft auch sensibel für die katalanische Frage sind und umgekehrt. Deshalb nennen wir nun nur noch Foreign Friends, weil wir einfach Freunde sind und uns in unterschiedlichen Fragen gegenseitig unterstützen. Wichtig ist, sich persönlich zu kennen. Sie kommen zu mir in die Wohnung und ich zu Ihnen…

Wie entwickelte sich das Projekt weiter?

Pat Vila: Wir haben das bald auch auf Journalisten erweitert. Damit auch die direkte Einblicke in die Situation bekommen können, die sich das sonst nicht leisten können oder Korrespondent, die das hautnah erleben wollen. Es gibt da zum Beispiel interessierte freie Journalisten, die aber so wenig für einen Artikel bekommen, dass sie niemals davon eine Recherchereise nach Katalonien finanzieren könnten. Aber es kann nicht sein, dass diese Leute, die die Realität kennenlernen wollen, aus Geldmangel nicht hierher kommen können.

Das gilt auch für die Sprache. Wenn sie sich als Hindernis erweist, stellen wir auch ehrenamtliche Übersetzer zur Verfügung. Auch sie müssen nur die Anreise und Abreise bezahlen, werden in Familien untergebracht. Wir helfen ihnen auch, wenn sie das wollen, Interviewpartner zu finden. Wir haben schließlich Kontakte überall hin und können Kontakte viel einfacher herstellen. Und das funktioniert dann natürlich auch umgekehrt, wenn wir Kontakte in deren Heimatländern suchen. Solche Netze wollen wir aufbauen, um die Gesellschaft insgesamt zu verbessern.

Gab es im Laufe der letzten Jahre Veränderungen im Konzept?

Pat Vila: Bei unserer zweiten Diada 2019 haben wir versucht, Menschen mit speziellen Profilen einzuladen, wie bedeutsame Journalisten, Parlamentarier … um hier auch eine gemeinsame Debatte mit Katalanen hier zu beginnen. Es gab in dem Rahmen auch Workshops und Konferenzen. Inzwischen kommen schon das ganze Jahr über Menschen zu uns, zum Beispiel auch Studenten, die ihre Abschlussarbeit schreiben. Nur dadurch, dass sie bei Familien untergebracht sind, wo sie zudem direkt mit der Realität konfrontiert sind, können sich viele einen Aufenthalt hier überhaupt leisten. Auf unseren Listen haben wir nun mehr als 430 Gastfamilien in Katalonien. Die Zahl steigt nun mit Open Doors beträchtlich.

Damit sind wir beim eigentlichen Thema. Was ist Katalonien Open Doors und was ist geplant?

Pat Vila: Es handelt sich um eine Initiative, mit der sich einmal pro Jahr die Türen im Land öffnen sollen. In diesem Fall haben wir die Provinz Girona als Zielregion ausgewählt. Wir haben als kleine Organisation auch nicht die Kapazität, das in ganz Katalonien durchzuführen. Stattfinden wird das in der Provinz an vier Tagen und nun außerhalb und losgelöst von der Diada. Es wird vom 23. bis 26. April stattfinden, das sind die Tage um die Feierlichkeiten zu Sant Jordi (Georgstag), ein großes kulturelles Fest um die Rose und das Buch, denn es ist der Welttag des Buches.

Das ist der beste Moment, um unsere Türen zu öffnen und Menschen aus dem Ausland aufzunehmen, die uns kennenlernen und ein paar Tage mit uns verbringen wollen. Es wird in diesen Tagen ein breites Kulturprogramm geben, Museen, Universitäten werden ebenfalls die Türen öffnen. Gezeigt werden sollen den Besuchern Orte, die sie nur von den Menschen gezeigt bekommen können, die auch vor Ort leben. Mit Girona wollen wir auch den Irrglauben auflösen, dass man Katalonien nur kennenlernt, wenn man in Barcelona ist. Die Stadt Girona und das Umland sind sehr bedeutend, wenn man einen realen Einblick bekommen will.

Wir sind nun in Katalonien das Vorbild für andere Regionen, der Samen, aus dem etwas Neues sprießen kann. Wir, denen vorgeworfen wird, angeblich verschlossen zu sein, angeblich neue Grenzen ziehen zu wollen hier, in unserem Land, das gern Flüchtlinge aufnimmt, diese Idee voranbringen. Sie wird hier umgesetzt, damit wir uns in Europa gegenseitig besser kennen lernen können. Man muss nicht nach Katalonien kommen, um ein Selfie an der Sagrada Familie zu machen. Über unser Projekt nimmt man ganz andere Sachen mit nach Hause: Einblick in die Realität und Freunde.

Wäre das nicht eher die Aufgabe der Regierungen und der EU die Verständigung unter den Menschen in den verschiedenen EU-Staaten zu fördern?

Pat Vila: Ja, aber die unternehmen praktisch nichts dafür, dass wir Bürger uns gegenseitig kennen lernen, uns gegenseitig verstehen und uns dann auch gegenseitig respektieren. Wir als Katalanen starten nun dieses Projekt und daraus könnte so etwas wie das Erasmus-Programm werden. Das ist bisher wohl das einzig lohnenswerte, was auf dieser Ebene in der EU entstanden ist.

Stellen wir uns vor, es gäbe Open Doors zum Beispiel im März in Schottland, im April in Bayern, im Mai auf den Färöer Inseln im Juni und in Neapel im September … Ich werde überall teilnehmen, wenn ich kann. Es muss für ein solches Projekt in der Region natürlich eine Struktur geben, aufnahmewillig Familien und es müssen natürlich auch Werte transportiert werden. Für uns ist klar, dass wir nun jedes Jahr um Sant Jordi herum unsere Türen in Katalonien öffnen werden.

Wie sieht das denn in Praxis mit der Logistik aus?

Pat Vila: Aus logistischen und inhaltlichen Gründen haben wir einen eigenen Open Doors Verein vor Ort gegründet, auch um eine Steuernummer im Land für Spenden und Zahlungen zu haben. Wir haben das nun so organisiert, dass in Girona und in den umliegenden Gemeinden Familien mitmachen. Wir haben einige Gebiete, die weit entfernt wie die Cerdanya liegen, ausgenommen, um das logistisch nicht zu aufwendig zu machen.

Eine Familie ist jeweils der Ansprechpartner für weitere zehn Familien, da es für uns unmöglich ist, alle 250 Familien zu organisieren, auf die wir das in diesem Jahr beschränkt haben. Die Kontaktfamilie sucht, falls es Probleme im Kreis ihrer zehn Familien gibt, eine Lösung, wenn zum Beispiel wegen Krankheit eine Familie ausfällt und Ersatz gesucht werden muss. Wir können uns nicht um alles kümmern. Wir stehen deshalb nur mit 25 Familien in direkten Kontakt, die eine besondere Verantwortung tragen. Zu den jeweils zehn Gastfamilien kommen jeweils zwei Familien, die als Fahrer dienen, selbst keine Leute bei sich aufnehmen, aber Transporte übernehmen.

Leute wie Sie, die wiederum interessierte Leute im Ausland kennen, können diese informieren und uns als Besucher vorschlagen, damit sie teilnehmen können. Anstatt den Leuten lange Erklärungen über Katalonien zu geben, können Sie Ihnen einfach sagen: "Fahr hin, schau es dir selber an." Der Aufenthalt kann natürlich genutzt werden, um vielleicht nach den vier Tagen noch ein paar dran zu hängen. So kommen Leute ins Land, die ein wirkliches Interesse haben. Das ist ein ganz anderer Besuch, als der normale Tourist in Lloret de Mar, wo Touristen unter sich bleiben und von der Realität im Land fast nichts oder gar nichts mitbekommen.

Wie lief das mit der Einschreibung bisher?

Pat Vila: Wir haben eine Webseite in vier Sprachen, über die das Projekt vorgestellt wird. Dort kann man sich einschreiben, wenn man Interesse hat. Darüber hinaus haben wir natürlich auch Leute angesprochen, um sie direkt einzuladen. Wir haben zum Beispiel Schriftsteller angehalten, andere zu informieren, gerade auch wegen des Bezugs zu Sant Jordi und dem Welttag des Buches.

Welche Leute haben sich eingeschrieben?

Sehr interessante Leute: Journalisten, wie Sie, Studenten, Schriftsteller, Verleger, Akademiker, Übersetzer … Ich bin besonders gespannt auf Leute wie einen Finnen, der in Finnland aus der katalanischen Sprache in die finnische übersetzt. Es sind Leute darunter, die sich für die Lage in Katalonien interessieren, aber auch Leute, die sich, wie der Bürgermeister von Neapel, vor allem für das Projekt interessieren. Wieder andere sehen darin eine ganz andere, sehr direkte Form des Reisens, um in direkten Kontakt mit den Menschen vor Ort zu kommen.

Es wird eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Die Einschreibung läuft noch und wir werden die Liste am 15. März schließen. Und wir müssen, wenn sich mehr als 250 Menschen einschreiben, natürlich dann eine Auswahl treffen, denn mehr als 250 würde uns überfordern. Interessant ist auch, dass wir unter den Foreign Friends viele Profi-Musiker haben und es wird im großen Auditorium von Girona ein Konzert dieser Musiker geben, wo alle 250 Besucher zusammenkommen werden.

Wie sieht das mit der Finanzierung aus?

Pat Vila: Klar, wenn wir 250 Leute in Hotel unterbringen und verpflegen müssten, würde eine verrückte Summe zusammenkommen. Da die Teilnehmer die Reise selbst bezahlen, in den Familien die Kosten für Unterkunft und Verpflegung getragen werden, ist das überschaubar. Auch die Webseite haben wir mit Freiwilligen selbst gestaltet und Freiwillige werden übersetzen.

Zur Finanzierung tragen hier diverse Institutionen bei, wie die Stadt Girona, die Provinzregierung von Girona und andere. Für die Stadt und Provinz ist das zudem eine große Werbung, auch für Städte und Dörfer, in die sonst eher niemand kommt. Dort werden den Gruppen, die dort vor Ort untergebracht sind, die vielen kleinen Schönheiten gezeigt, die man in einer anderen Form nie zu sehen bekommen würde.