Offensive in Mosul: 493.000 sind in fünf Monaten geflüchtet
Der Kampf um die Eroberung der Altstadt im Westen fordert viele Tote unter der Zivilbevölkerung. Zwischen dem IS und al-Qaida sollen Annäherungsgespräche laufen
Nach Informationen des irakischen Politikers Iyad Allawi, derzeit einer der drei amtierenden Vizepräsidenten, laufen Gespräche zwischen Vertretern des IS und der al-Qaida. Sowohl der Qaida-Chef al-Sawahiri wie auch der IS-Kalif al-Baghdadi hätten Emissäre zu Annäherungsgesprächen geschickt, wird Allawi von Reuters zitiert.
Der frühere Interims-Ministerpräsident der irakischen Übergangsregierung in den Jahren 2004 und 2005 stützt sich dabei allerdings sehr allgemein und vage auf "Informationen aus dem Irak und regionalen Kontakten mit Wissen über den Irak", die von einer mögliche Allianz der Dschihadisten sprechen.
Es wäre eine Rückkehr. Der IS hatte sich 2014 von der "Mutterorganisation" al-Qaida losgesagt. Wie die Zusammenarbeit der beiden aussehen könnte, sei unbekannt, so Allawi. Große ideologische Gräben sind zwischen den Dschihadisten nicht zu überwinden. Im Streit zwischen dem IS und al-Qaida dürften Macht-, Hierarchie und Prestigefragen die tatsächlich relevanten Trennlinien ausmachen.
Der offizielle al-Qaida-Chef Sawahiri bezeichnet den IS zwar als Abtrünnige - "Charidschiten" -, die von seiner wahren Auslegung des Islam abweichen, aber die Rivalität zwischen dem Chef der Großorganisation und Abu Bakr al Baghdadi, der ihm den Treueeid versagt, dürfte ein Hindernis darstellen, das schwerer wiegt als ideologische Unterschiede.
Von Fachleuten wird etwa auf die unterschiedliche Ausrichtung des Dschihads verwiesen. Während sich der IS auf Syrien und den Irak beschränkt, sei al-Qaida auf den internationalen Dschihad ausgerichtet. Zur Trennung kam es, weil al-Baghdadi umsetzte, was al-Qaida als ferneres Ziel ausgelobt hatte, aber nie verwirklichte: die Errichtung eines Kalifats.
Die Eroberung der symbolträchtigen Moschee
Im Juli 2014 rief Al-Baghdadi in der Großen Moschee in Mosul das IS-Kalifat aus. Derzeit versuchen irakische Spezialtruppen den symbolisch wichtigen Ort im Westen Mosuls zu erobern. Nach jüngsten Meldungen haben sie sich weit vorgekämpft, der Anteil der eroberten Teile der Altstadt soll laut Quellen, die den Regierungstruppen nahestehen, wachsen.
Allerdings sind die Kämpfe in der Altstadt schwierig und aufreibend, da es dem IS immer wieder gelingt mit Autobomben und Sprengfallen den Vormarsch aufzuhalten, dazu kommt die Vermischung zwischen IS-Kämpfern und den Einwohnern.
Wie viele Bewohner sich gegenwärtig in West-Mosul aufhalten, darüber gibt es nur Schätzungen. Die UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe im Irak, Liese Grande, spricht von etwa 400.000. Sie machte gestern auf die "erschütternde Zahl" von bislang fast 500.000 Geflüchteten aus Mosul aufmerksam, auf deren Versorgungsnöte und darauf, dass das befürchtete Worst-Case-Szenario von einer Million Flüchtlingen aus Mosul, das vor der Offensive beschworen wurde, mittlerweile realistisch sei.
Menschliche Schutzschilde
Laut Angaben von Hilfsorganisationen sollen in den letzten fünf Monaten zwischen 2.500 und 4.000 Zivilisten beim Kampf um die Rückeroberung Mosuls ihr Leben verloren haben. Es ist gut möglich, dass die tatsächlich Zahl der Toten unter der Bevölkerung noch höher liegt.
Die irakische Regierung achtet darauf, dass keine finsteren Zahlen des Blutzolls in Mosul an die Öffentlichkeit geraten. Doch geben Meldungen über Luftangriffe, die IS-Zielen galten, aber Zivilisten treffen in Ausschnitten zu erkennen, dass es die von den USA unterstützte Offensive nicht vermag, zivile Opfer zu vermeiden. Der IS würde die Bevölkerung als menschliche Schutzschilde missbrauchen, lautet dazu die Begründung.