Geht die Willkürherrschaft weiter?
Der von der US-Regierung und dem Regierungsrat eingesetzte Ministerpräsident Allawi soll mit eigenen Händen sechs Aufständische erschossen haben, um vor den Polizisten seine Politik der Härte zu demonstrieren
Der mit Druck von Seiten der US-Regierung und des Regierungsrates als Ministerpräsident der Übergangsregierung ins Amt gehobene Iyad Allawi hat nach Zeugenaussagen bereits vor der offiziellen Machtübergabe am 28. Juni sechs verdächtige Aufständische in einer Polizeistation in Bagdad eigenhändig erschossen. Das berichtet Paul McGeough, Irak-Korrespondent des Sidney Morning Herald, in einem Artikel und in einem Interview mit dem Fernsehsender Australian Broadcasting Corporation. Allawi streitet dies ab.
Wie McGeough von zwei unabhängig voneinander befragten Zeugen, denen strengste Vertraulichkeit zugesichert werden musste, erfahren haben will, soll Allawi Ende Juni, vermutlich am 19. oder 20. Juni, in die Polizeistation Al-Amariyah gekommen sein. Dort soll er in einem Hof mit einer Pistole sechs an einer Wand aufgereihte mutmaßliche Aufständische, deren Augen verbunden und die mit Handschellen gefesselt waren, mit einem Kopfschuss getötet haben. Ein siebter hätte überlebt, sei aber verletzt. Die Namen von drei der getöteten jungen Männer seien dem Sidney Morning Herald bekannt.
Den Anwesenden soll er erklärt haben, dass jedes der Opfer mehr als 50 Iraker getötet habe und daher "Schlimmeres als den Tod" verdienen würde. Nach einem der Informanten soll er vor der Hinrichtung gesagt haben, dass er der Polizei damit eine deutliche Botschaft geben wolle, wie sie mit Aufständischen umgehen soll. Beide Informanten sagten, dass ungefähr ein Dutzend irakische Polizisten sowie vier Amerikaner aus seinem Sicherheitsteam dabei waren. Der irakische Übergangsinnenminister Falah al-Naqib soll Allawi nach der Tat zu dieser gratuliert haben.
McGeough räumt ein, dass der Irak eine Gerüchteküche sei. Es habe auch viele Diskussionen und Gerüchte über Allawis Hang zur Brutalität gegeben, allerdings seien die beiden Zeugenaussagen die ersten möglichen Bestätigungen dafür. Allawi hatte erklärt, mit aller Härte gegen die Aufständischen vorgehen zu wollen. Es wurde bereits ein Anschlag auf ihn ausgeführt, al-Sarkawi - oder wer auch immer hinter diesem Namen stecken mag - hat gedroht, ihn zu töten. Allawi hat bereits die Möglichkeit erhalten, für einige Regionen den Ausnahmezustand zu erklären. Zudem gehörte zu seinen ersten Amtshandlungen die geplante Einrichtung eines neuen Geheimdienstes, bei dem auch Mitarbeiter des alten Geheimdienstes mitarbeiten sollen. Schon bei der ersten Razzia der vorzeitig ins Amt gehobenen Übergangsregierung kam es einige Tage nach der angeblichen Exekution offenbar in einer Polizeistation zu Übergriffen und zu Konflikten mit US-Soldaten (In der Zwickmühle).
Die Ernennung von Allawi erfolgte vor allem auf Druck der US-Regierung und gegen den UN-Sonderbeauftragten Brahmini. Offenbar sollte, nachdem der vorhergehende Vertraute des Pentagon, Tschalabi, abserviert wurde (Das Ende des Dunkelmeisters), eine andere Person installiert werden, auf den man sich verlassen kann. Allawi war nicht nur bereit, die Koalitionstruppen zu bitten, weiterhin im Land zu bleiben, sondern er rechtfertigte auch die Bombardierung von Zielen in Falludscha. Der jetzt 59-jährige Allawi war allerdings Mitglied der Baath-Partei, also mit dem Hussein-Regime verworben, überwarf sich dann mit diesem und wanderte 1971 nach Großbritannien aus. Zunächst arbeitete er dann als Oppositioneller eng mit Tschalabi zusammen, bis sich die beiden mit allen Mitteln nach Macht drängenden Iraker trennten und Allawi eine eigene Oppositionsgruppe aufbaute (Willkommen im Büro von Donald Rumsfeld).
Mit dem Pentagon und der CIA soll er schon lange kooperiert haben, um einen Sturz von Hussein zu bewerkstelligen. Dabei könnte er zumindest indirekt an Gewalttaten beteiligt gewesen sein. So verweist McGeough auf die Aussage eines ehemaligen CIA-Mitarbeiter, der sagte, dass er Blut an den Händen habe. Und ebenso wie Tschalabi gab er auch nicht unbedingt wahre Informationen weiter, um den Sturz des Regimes zu beschleunigen. Die berüchtigte These aus dem britischen Geheimdienstdossier zur Kriegslegitimation, dass der Irak in 45 Minuten Massenvernichtungswaffen einsatzfähig haben würde, kamen übrigens von ihm. Seiner Organisation INA gehören viele ehemalige Baath-Mitglieder an, daher will er auch dei von Paul Bremer durchgeführte Ent-Baathifizierung von Behörden, Armee und Polizei wieder rückgängig machen.
Allawi wies auf Anfrage alle Beschuldigungen von sich und erklärte, dass das Gerüchte sind, die von seinen Feinden in die Welt gesetzt werden. McGeough erklärt aber, dass seine Informanten keineswegs das Verhalten des Ministerpräsidenten ablehnten. Einer soll gesagt haben, dass es sich um Terroristen gehandelt habe, die Bomben gelegt haben: "Alle Terroristen sollten dasselbe Schicksal erleiden. Das ist das neue Irak."
Allawi soll den Polizisten auch gesagt haben, dass sie keine Angst zu haben brauchen, auch nicht vor einer Stammesrache, wenn sie jemanden töten. Die Regierung werde sie schützen. Nach einem Informanten sollen die Polizisten von der vor ihren Augen praktizierten Exekution zunächst überrascht gewesen sein, dann sei dies aber in Freude umgekippt: "Es gab überhaupt keinen Ärger, weil so viele Polizisten von diesem Kriminellen getötet worden sind."
Sollte das Behauptete tatsächlich geschehen sein, so wäre dies natürlich fatal für den von der US-Regierung intendierten Aufbau einer Demokratie und eines Rechtsstaates. Wenn schon in den ersten Tagen der von der US-Regierung mehr oder weniger eingesetzten Regierung wieder Willkür herrschen sollte, was durch die genehmigten Notstandsgesetze noch begünstigt werden würde, dann wäre wohl die Politik der Bush-Regierung endgültig unglaubwürdig geworden. Allerdings hat die US-Regierung mit ihrem Botschafter Negroponte bereits einen Mann in Bagdad, der sich mit den Beziehungen mit autoritären Regimen und Todesschwadronen auskennt (John Negroponte, künftiger US-Botschafter und heimlicher Herrscher im Irak). Aber vielleicht handelt es sich doch nur um ein Gerücht, mit dem Allawi diskreditiert werden soll. Man müsste sagen, hoffentlich, denn an einer Ausbreitung des islamistischen Extremismus und Terrorismus, der damit gestärkt würde, kann eigentlich niemand wirklich Interesse haben, der nicht religiöser Fanatiker ist.
Die Story wird von konservativen Jägern islamistischer Aktivitäten (little green footballs) keineswegs gleich als Gerücht beiseite gelegt, sondern anscheinend als durchaus glaubwürdig und nachvollziehbar eingestuft:
"The story, if true, is not surprising. Allawi simply acted within the system of power-challenging that dominates Arab politics. By yanking out a gun and personally executing these holy warriors on the spot, he sent two important messages: 1) he is not an American, and 2) he is not to be messed with. If true, it was a smart move. He's not going to stay in power by acting like a delicate Westerner, asking the captured mujahideen if they need extra pillows for their cells. Does this mean I approve? No, of course not. But I don't live in Iraq."
Bei den Kommentaren zeigt man sich ebenfalls verständnisvoll: "A good start." Oder: "This is how we should have been playing the game starting the day after 9/11."
"We would be within the rules of the geneva convention to kill illegal combatants on the spot. Iraq can do what ever they want with them."
"Shoot em, hang em, stone them to death. Fuck em, may they rot in hell. "
"I approve. But in the future: Strip them, put panties on their heads, have some dogs barking, make videos for the families, and then shoot them in the head. Or would that be torture?"