In der Zwickmühle
Kaum ist die "souveräne" irakische Übergangsregierung an der Macht, haben schon irakische Sicherheitskräfte Häftlinge misshandelt, US-Soldaten schritten ein und demonstrieren damit auch die ungelöste Machtfrage
Mit der Veröffentlichung der Bilder von den Misshandlungen iraksicher Gefangener in Abu Ghraib beschleunigte sich der Aufklärungsprozess, auch wenn er allmählich wieder ins Stocken zu geraten scheint, unter dem Druck der Medien und der Öffentlichkeit. Vor allem kam es zu Veränderungen der Haftbedingungen und Verhörtechniken - und schließlich zum Urteil des Obersten Gerichtshofs, das den gefangenen "feindlichen Kämpfern" zumindest jetzt das bislang verweigerte Klagerecht gegen ihre Inhaftierung einräumt (Rechtsfreie Räume sind illegal). Nun aber könnte der neue mächtige Mann der USA, Irak-Botschafter John Negroponte, darin aus seiner Zeit in Honduras erfahren, neue Probleme bekommen (John Negroponte, künftiger US-Botschafter und heimlicher Herrscher im Irak).
Wenn Mitglieder einer Besatzungsmacht, die unter dem Banner angetreten ist, ein Land von einer Diktatur zu befreien, das die Menschenrechte missachtet hat, dann wird für diese selbstverständlich ein höherer Maßstab angelegt, was die Beachtung der Menschenrechte betrifft, als bei einem "normalen" Krieg. Obgleich die Praktiken im Umgang mit mutmaßlichen Terroristen schon lange bekannt waren, wurde daher mit der Veröffentlichung der Bilder der Skandal groß und erschütterte die US-Regierung. Für Kritiker und Gegner waren die Misshandlungen Symbol und Spitze der verfehlten und scheinheiligen US-Politik. Das Verhalten der neuen irakischen Sicherheitskräfte und die Behandlungen von Gefangenen durch irakische Wächter wurde dabei nicht thematisiert. Da jetzt aber die von der US-Regierung eingesetzte "souveräne" Regierung an der Macht ist, würden die USA erneut in Misskredit geraten, wenn sie Folter und Misshandlungen unter dieser Regierung deckt. Die von Ministerpräsident verkündeten Notstandsgesetze sollten dafür ein Warnsignal sein.
Um frühzeitig dem Verdacht entgegenzutreten, dass die USA Verletzungen der Menschenrechte deckt oder gar unterstützt, sind nach einem Bericht des Guardian US-Truppen bereits eingeschritten. Kurz nach der "Souveränität" und damit eigentlich in Verletzung dieser sind US-Militärpolizisten gestern in ein Gebäude des irakischen Innenministeriums eingedrungen, wo angeblich Gefangene von irakischen Sicherheitskräften misshandelt wurden. Sie entwaffneten die Wärter, befreiten die Gefangenen von ihren Fesseln und drohten damit, die Gefangenen gehen zu lassen. Zwischen den irakischen Sicherheitskräften und US-Soldaten scheint es dabei zu einem heftigen Disput gekommen zu sein.
Gefährliche Machtdemonstration
Irakische Polizisten hatten in der ersten großen und selbständigen Aktion bei einer Razzia in einem Stadtteil Bagdads am Sonntag 150 Gefangene gemacht. US-Soldaten unterstützten die Aktion, in der auch Bilder von amerikanischen Aufklärungssatelliten verwendet wurden. Die Nachrichtenagentur UPI hatte die Aktion der irakischen Polizei, der neuen irakischen Eliteeinheit und von Mitarbeitern des neuen irakischen Geheimdienstes mitverfolgen können, die systematisch und mit Gewalt in Wohnungen des Viertels, das zusätzlich von US-Soldaten abgeriegelt wurde, eindrangen und über 100 Gefangene machten. Sie wurden verhüllt in Kapuzen abgeführt und schon bei der Verhaftung geschlagen. Auch in den Wagen wurden Gefangene weiter mit Gummischläuchen und Metallknüppeln geschlagen. Generalmajor Hussein Ali Kamal, Chef des neuen Geheimdienstes, meinte zur Aktion, die vor allem wohl als Demonstration der macht gedacht war:
Das ist eine neue Art des Vorgehens für ein neues Irak. Das ist ein neuer Krieg einer neuen Regierung. Wer irakische Polizisten, irakische Menschen, unsere Alliierten oder amerikanische Soldaten tötet, kann meiner Bestrafung nicht entgehen.
UPI berichtete noch, dass dies ein Schlag gegen Kriminelle gewesen sei, der Journalist sagte, das Vorgehen sei zwar hart und im Stil des alten Regimes gewesen, aber nicht grausam. Der Guardian berichtet, dass irakische Offiziere die Gefangenen als "Top-Mörder, - Entführer und -Terroristen mit Verbindungen zu al-Ansar" bezeichnet haben. Alle sollen bei den Verhörden "mindesten 20 Verbrechen" gestanden haben. Nach Mitarbeitern von al-Dschasira, die bei der Durchsuchung des Gefängnisses vor Ort waren, waren den meisten Gefangenen die Augen verbunden und ihre Hände hinter dem Rücken gefesselt worden. Offiziell hat das US-Militär zu dem Vorfall noch keine Stellung bezogen, ein Soldat hat dem Journalisten von Guardian gesagt, dass es Hinweise auf Misshandlungen gegeben habe. Dafür erklärte ein Leibwächter des Geheimdienstchefs das Vorgehen:
Die Amerikaner fragten mich, warum wir die Gefangenen geschlagen haben. Ich sagte, wir schlugen sie, weil sie alle schlechte Menschen sind. Aber ich sagte ihm, dass wir sie nicht nackt ausgezogen, fotografiert und vergewaltigt haben, wie sie das getan haben.
Da liegen offenbar unterschiedliche Auffassungen von Menschenrechtsverletzungen vor. Und anscheinend hat die Ausbildung der irakischen Sicherheitskräfte durch das US-Militär im Hinblick auf die Belehrung über Menschenrechte nicht die erwünschten Früchte getragen. Allerdings ist es nach Abu Ghraib vermutlich nur noch sehr schwer möglich, dass Angehörige des US-Militärs überzeugend für die Einhaltung von Menschenrechten und rechtsstaatlicher Vorgehensweisen werben.
Für die US-Regierung löst die Machtübergabe keineswegs die Probleme, sondern sie schafft neue
Die Sicherheitskräfte und die jetzt amtierende Übergangsregierung werden sich vor allem darin beweisen müssen, dass sie für Sicherheit sorgen können, so dass der Wiederaufbau und die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung zügiger als bislang vorankommen kann. Von den 2.300 versprochenen Wiederaufbauprojekten sind bislang gerade einmal 140 auf den Weg gebracht worden. Die Versorgung mit Wasser und Strom hat sich für weite Teile nicht grundlegend verbessert. Die Wirtschaft, die für die Region neben der Demokratie zum Vorbild einer freien und blühenden Marktwirtschaft werden sollte, liegt darnieder.
The government of Iraq has now taken a crucial step forward. In a nation that suffered for decades under tyranny, we have witnessed the transfer of sovereignty and the beginning of self-government. In just 15 months, the Iraqi people have left behind one of the worst regimes in the Middle East, and their country is becoming the world's newest democracy. The world has seen a great event in the history of Iraq, in the history of the Middle East, and in the history of liberty. The rise of Iraqi democracy is bringing hope to reformers across the Middle East, and sending a very different message to Teheran and Damascus. A free and sovereign Iraq is a decisive defeat for extremists and terrorists, because their hateful ideology will lose its appeal in a free and tolerant and successful country.
US-Präsident Bush am 29.6. in seiner Rede in der Galatasary-Universität
Wenn aber schon in den ersten Tagen die Machtübernahme der Übergangsregierung mit der Ankündigung des Ausnahmezustands für einige Regionen und mit Misshandlungen von Verdächtigen einhergeht, dann kann zwar damit womöglich die Macht demonstriert und vielleicht auch durchgesetzt werden, gleichzeitig aber geraten die US-Regierung und die multinationalen Truppen in den Verdacht, anstatt Demokratie und Freiheit zu bringen, ein - überdies noch nicht demokratisch legitimiertes - Regime zu stützen, das wieder Unrecht begeht. Gehen die multinationalen Truppen aber wie in dem oben beschriebenen Fall gegen die irakischen Sicherheitskräfte vor, um Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden oder zu verhindern, so demonstrieren sie damit, dass der Irak noch keineswegs souverän ist. Eine Zwickmühle also - oder eine verfahrene Situation.
Möglicherweise hat also die US-Regierung den Folterskandal überstanden, zwar angeschlagen, aber nicht am Boden zerstört, während nun neue Schwierigkeiten drohen. Natürlich hat schon der hausgemacht Folterskandal dazu beigetragen, dass US-Präsident Bush in aktuellen Umfragen die niedrigste Bewertung seiner Amtszeit erhalten hat. Mittlerweile steht auch die Mehrheit der Amerikaner der Irak-Politik skeptisch gegenüber, zwei Drittel meinen im Gegensatz zu den Behauptungen von Präsident Bush, aber damit Realismus zeigend, dass der Krieg den Terrorismus gestärkt und nicht geschwächt hat. Die als Coup inszenierte Machtübergabe am Montag kam bei den Amerikanern ebenfalls nicht an. 60 Prozent bezeichnen sie als Zeichen für eine gescheiterte Politik.
Auch an Glaubwürdigkeit hat die Bush-Regierung eingebüßt, zu oft und zu viel hat sie geschwindelt und versucht, die öffentliche Meinung zu manipulieren. 59 Prozent sagen jetzt, dass Bush in seinen Äußerungen über den Irak manches verschweigt. 20 Prozent meinen gar, dass er lügt. Nur noch 18 Prozent gehen davon aus, dass er die Wahrheit sagt. Sein demokratischer Gegenspieler Kerry, der genauso taktisch spielt, kann deswegen aus dem Niedergang von Bush keinen Gewinn schlagen. Was die Bush-Regierung mit ihrer gnadenlosen Ausbeutung der Terrorangriffe vom 11.9. erreicht hat, ist sicherlich eine weitere Abkehr der Menschen von der Politik.