Ohne Raum/im Raum

Globalisierung und Geopolitik als Leitsemantiken der Weltgesellschaft

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Während viele meinen, dass die neuen Kommunikationsverhältnisse als Grundlage der Globalisierung zu einem Bedeutungsschund des Raums oder zum Ende des Raums führen, ist es trotz der von Theoretikern geliebten "Bagatellisierung des Standortes" keineswegs Aus mit der Geopolitik. Selbst wenn manche wunderbare utopische Hoffnungen aus der vermeintlichen Auflösung des Raums ableiten, so belehrt schon ein flüchtiger Blick auf die Nachrichten, dass es durchaus noch Räume gibt, wo Gewalt und Zwang ausgeübt werden, Konflikte, in denen hegemoniale Mächte sich messen, oder auch Staaten, die weit davon entfernt sind, von der Weltgesellschaft irgendwelche zivilisatorische "Standards" zu übernehmen.

Ohne Raum: Weltkommunikation

Die Frage nach der Lage lautet heute offenbar: mit oder ohne Raum. Norbert Bolz formuliert sie in seinem neuen Buch "Weltkommunikation" als Alternative zwischen Niklas Luhmanns raumloser Theorie der Weltgesellschaft und Carl Schmitts politischem Raumdenken. Schmitt habe den "politischen Raum" vom "Land, dann vom Meer und schließlich von der Luft her gedacht". Staatliche Ordnung wird von ihm territorial verstanden. Das Erkennen von Freund und Feind erfordert "Ortung". Alle zentralen politischen Kategorien Schmitts vom Nomos bis zur Lage setzen den Raum voraus; auch der Begriff der vom Ausnahmezustand her konzipierten Souveränität ist auf die Präsenz todes- und tötungsbereiter physischer Körper angewiesen, die "kommunikative Erreichbarkeit" der Personen reicht dafür nicht aus.

Die neuen Kommunikationsverhältnisse, so lautet Bolz' These, haben nun aber diesem Raumdenken den Boden entzogen. Die "elektromagnetischen Wellen haben den Raum so »erobert«, dass er sich zugleich aufgelöst hat. [...] Territorialität ist keine sinnvolle Sinngrenze mehr." Der persönliche Standort eines Teilnehmers der Weltkommunikation sei "gleichgültig" geworden. Die "Weltgesellschaft kann man nicht mehr verorten".

Was Bolz hier als "Bedeutungsschwund des Raums" bezeichnet, kann sich neben Luhmann auf zahlreiche andere Autoren stützen. Für Paul Virilio bedeutet "Globalisierung" das "Ende des Raums" im "elektronischen Äther der Telekommunikationsmittel". Statt auf Raum kommt es nun auf Zeit an. Diagnostiziert wird eine "Beschleunigung", deren "Unmittelbarkeit endgültig die Realität der Entfernungen, also jener geographischen Abstände auslöscht, die gestern noch für die staatliche Politik und die Bündnisse maßgeblich waren und deren Gewicht der 'Kalte Krieg' in der Zeit des Ost-West-Konflikts belegte."

Wie Virilio sieht es auch Bolz: "Was allein noch zählt ist Zeit", "Temporalisierung", "Beschleunigung". Manfred Faßler konstatiert sogar, dass sich "in einem alle Interpretationen einig zu sein" scheinen, dass wir nämlich in einem Zeitalter leben, in dem "die hochgeschwinden Prozesse" das Problem der "Reichweiten" abschaffen, weil nun alles "all over the world sofort (instantan) anwesend" gemacht werde in Form "elektrischer Telepräsenz" und "medialer Allgegenwart". Vom Raum ist nur noch metaphorisch die Rede, etwa von "nicht-lokalen 'Orten'" und "infographischen Räumen" der virtual reality oder vom "postgeographischen Raum". Space disappears. Und was kommt nach dem Raum?

Die Frage wird eher ex negativo beantwortet: Auch Faßler verkündet das Ende der Schmittschen Welt: "Kommunikation wird mit der instabilen Zeitform verbunden. Sie löst die Einheit von Land und Leuten ab, von Territorialität, geographischen Grenzen und staatlichen Hoheitsmodellen." Und Bolz, der vor Redundanzen keine Angst hat, wiederholt, dass nun "geographische Grenzen, Geschichte (Tradition) und Nationalstaatlichkeit keine Rolle mehr spielen". "Regierungsorganisationen, die sich über Landmassen definieren, werden ins Hintertreffen geraten", prognostiziert Faßler. Bolz formuliert die gleiche Einschätzung etwas vornehmer: die "regional konkretisierte Politik" werde "zunehmend inkommensurabel mit den Problemen globalisierter Funktionssysteme", ja an Staat und Territorium könne man nur noch "katechontisch" (aufhaltend) oder "anachronistisch festhalten".

Die Diskurse der Weltkommunikation und Globalisierung singen dem Raum, dem Staat, dem Territorium, ja der politischen Macht schlechthin einen Schwanengesang. Die "nationale Politik" kann da nur versagen, weil sie sich am Raum festklammert, obwohl es "keine territorialen Grenzen mehr für Geld, Information, Bildung, Energie, Umweltzerstörung, Terror" etc. mehr gibt. Luhmann hat ganz ähnlich behauptet, in der Weltgesellschaft würden die Grenzen zwischen Staaten "weder von Wahrheiten noch von Krankheiten, weder von Bildung noch vom Fernsehen, weder vom Geld noch von der Liebe respektiert werden", da die Funktionssysteme "unabhängig von Raumgrenzen" operieren. Generell gilt für ihn: "Kommunikation hat primär ein Zeitproblem zu lösen, und das gilt auch und erst recht für die unter Beschleunigungsdruck operierenden Massenmedien." Das soziale System der Weltgesellschaft setzt, so Luhmann schon 1975, "für seine kommunikative Integration Massenmedien voraus", und der temporale Modus dieser Integration ist die Gegenwart, die Echtzeitkommunikation. Computer, Verbreitungsmedien, Telekommunikationstechniken lösen Zeitprobleme und beschleunigen die Prozesse der Kommunikation. Auch für Luhmann heißt die Formel: Zeit statt Raum.

Wenn Bolz Luhmann gegen Schmitt ausspielt, lässt er das Raumdenken wortwörtlich "alt" aussehen. Es ist anachronistisch, obsolet, überholt, und nur konservative Phantasten können daran festhalten. Klammheimlich wird hier ein teleologisches Geschichtsmodell re-etabliert, das historische Phasen kennt, die wie bei einer mehrstufigen Rakete ausgebrannt zurückgelassen werden. Das Freund-Feind-Denken der Nationalstaaten, des Ost-West-Konflikts, der Kämpfe der Kulturen, der Raumnahmen - die Epoche der Weltkommunikation lässt all dies hinter sich.

Das Zeitalter der Geopolitik, das immer wieder durch den Namen Carl Schmitts repräsentiert wird, geht auch in Rudolf Stichwehs Weltgesellschaft endlich zu Ende: "Noch das 19. Jahrhundert schein den Prozess territorialer Zentralisierung voranzutreiben und mit den Vereinigten Staaten und Russland wurden kontinentgroße Einzelstaaten weltpolitisch dominant, eine Tendenz, die [...] als der Hintergrund des deutschen Expansionismus im 20. Jahrhundert gedeutet werden kann." Mit diesen Versuchen, "Großraumordnungen" (Schmitt) zu bilden, ist es aber in der Weltgesellschaft vorbei, weil in der UNO und anderen globalen Institutionen ein politisches System eingerichtet worden sei, das auf der Grundlage der "Egalisierung nationaler Souveränität" funktioniere. Wie die modernen Verfassungen des Nationalstaats allen Bürgern gleiche Rechte und Pflichten unabhängig von Macht, Rang, Einkommen und Stand einrichtete, behandele die Charta der Vereinten Nationen "die Nationalstaaten als konstitutive Bürger".

In der Weltgesellschaft gibt es also ein einziges politisches System mit globaler Dimension, dessen Spielregeln für große und kleine Staaten genauso gelten wie in den Einzelstaaten für große und kleine Parteien. "Erstmals", so Stichweh, "unterscheiden sich die Überlebenswahrscheinlichkeiten für große und kleine Staaten nicht wesentlich, sind kleine Staaten nicht mehr auf geographische Sonderlagen und hegemoniale Unterordnung angewiesen." Die Zugehörigkeit zur Weltgesellschaft wird ganz "unproblematisch" durch "Kommunikation" gesichert. Die Weltgesellschaft ist dasjenige System, "das alle kommunikativ füreinander zugänglichen kommunikativen Handlungen einschließt". Die weltweiten Telekommunikationseinrichtungen und die globale Logistik erlauben jedem Teilnehmer der Weltgesellschaft einen ständigen Vergleich von ökonomischen, politischen, wissenschaftlichen etc. Angeboten und Errungenschaften, was auf der Ebene des politischen Systems bereits dazu geführt hat, "dass sich ein verblüffend ähnlicher 'set' von Institutionen der Moderne herausbildet: Schulen und die frühe Errichtung tertiärer Hochschulinstitutionen [...], Versicherungssysteme des Wohlfahrtstaates und die in vielen Staaten ähnliche Sequenz ihrer Etablierung; Militär und militärische Dienstpflicht; nationale Kultur-, Wissenschafts- und Sprachpolitik" etc.

Die Weltgesellschaft stellt jeder Region ihre erprobten Strukturen zur Verfügung - sie müssen nicht überall noch einmal erfunden werden. Ein junger Staat wie die Ukraine oder Kroatien wird also eher bereits bestehende Modelle staatlicher Organisation übernehmen, als solche quasi autochthon zu entwickeln. Die Evolution in eine bestimmte Richtung wird so immer wahrscheinlicher, weshalb sich in der Weltgesellschaft immer mehr "Gemeinsamkeiten" beobachten lassen: "Es scheint für Staaten eine Modernitätsverpflichtung und damit zugleich eine Verpflichtung auf wohlfahrtsstaatliches Handeln zu geben." Diese in den Strukturen der globalen Kommunikation selbst angelegten Evolution zum Besseren wirkt, so Stichweh, auch pazifizierend: "Einmal wird es in der Weltgesellschaft wichtig, dass Kulturen nicht aggressiv-missionierend auftreten. Weltweit verbreitete kulturelle Komponenten müssen einen relativ geringen Grad von Expliziertheit aufweisen, und George Modelski schließt daran die Überlegung an, dass eine politische Führungsrolle im System der Weltgesellschaft nur für Staaten zugänglich sei, die nicht gleichzeitig eine kulturelle Mission verfolgen." Stichweh spricht von einer "relativen globalen Homogenisierung" im Medium der weltweiten "Vernetzung kommunikativer Ereignisse". Der Netzwerkbegriff konnotiert ein Mit- und Nebeneinander gleichwertiger Knoten. Alles zusammen stützt die Globalthese, dass die Epoche der Weltgesellschaft das Zeitalter der Hegemonien abgelöst habe.

Helmut Willke stößt ins gleiche Horn. In "Atopia" beschreibt er eine globalisierte Gesellschaft, für die "Ort, Raum und Entfernung [...] zunehmend zu vernachlässigenden Größen" werden. Seine Diagnose klingt vertraut: "Globale Infrastruktursysteme der Telekommunikation und der Verkehrstelematik, global präsente Massenmedien und Transaktionsnetze bagatellisieren den Platz, von dem aus man kommuniziert, bagatellisieren also Örtlichkeit."

Die "neuen Kommunikationstechnologien", heißt es auch in Luhmanns Gesellschaft der Gesellschaft, "bagatellisieren [...] den Platz", weil alles zwar "anderswo" stattfindet und "trotzdem nahezu gleichzeitig". Die Folge ist für Luhmann eine "Bagatellisierung des Standortes". Dies mag man akzeptieren oder bestreiten, wichtig für meine Argumentation sind hier die weiteren Konsequenzen, die aus diesem Befund gezogen werden. In zwangloser Einigkeit mit Bolz, Stichweh, Virilio, als gelte es, die These von der Homogenisierung eigens für das System der Wissenschaft zu bestätigen, folgert auch Willke aus der Raumlosigkeit der atopischen Gesellschaft das Ende des politischen Hegemonialstrebens. "Wenn Verortung und Ortbarkeit verloren gehen", so Willke, dann stehe auch die "Überwindung hegemonialer internationaler Regimes" auf der Tagesordnung.

"Verortung und Ortbarkeit", Begriffe aus der Geopolitik Haushofers und Schmitts, stehen hier für die militärischen und politischen Voraussetzungen des Freund-Feind-Denkens: der Feind muss ortbar sein, um verortet zu werden, handele es sich um ein U-Boot, einen EP-3-Aufklärer oder eine politische Macht, die einen bestimmten Raum besetzt. Wenn diesen Voraussetzungen die Voraussetzung entzogen wird, weil es keinen Raum mehr gibt, in dem der Feind steht, dann sei den "Plagen wie Fremdenhass, Chauvinismus, Nationalismus, Diktatur und Krieg, welche die Nationalstaaten über die Menschheit gebracht haben", die Basis entzogen. Es sei die "Ausbreitung lateraler Weltsysteme", welche diese alten "Plagen [...] obsolet macht". Der politische Wert des Raum verliere "inflationär an Wert", infolgedessen schwinde die Bedeutung politischer Macht, die ja letztlich an die "glaubhafte Androhung physischer Gewalt" gebunden ist.

Das Netzwerk der globalen Funktionssysteme kommuniziert daher machtfrei, in dem sie die "elementaren Werte und Regeln ihrer Selbststeuerung" selbst festlegen. Mit dem "Ende des Nationalstaates" beginnt das Atopia der "konnektivistischen Fluidität". In diesem atopischen unendlichen Meer ohne Ufer gehen alle alten Mächte und Hegemonien endlich in der Deterritorialisierung unter. Das klingt alles wunderbar, man kann allerdings weder TV sehen noch Zeitungen lesen, ohne zu vermuten, dass es durchaus noch Räume gibt, wo Gewalt und Zwang ausgeübt werden, Konflikte, in denen hegemoniale Mächte sich messen, oder auch Staaten, die weit davon entfernt sind, von der Weltgesellschaft irgendwelche zivilisatorische "Standards" zu übernehmen. Dieser Vermutung möchte ich nun nachgehen.

Im Raum: Geopolitik

Die oben zitierten Vertreter einer Verflüchtigung des Raums und seiner "Plagen" haben sich von geopolitischen Positionen abgesetzt, indem sie ihr "Raumdenken" als obsolet und anachronistisch bezeichnet haben. Deshalb wird in diesem Diskurs auch lieber Carl Schmitt zitiert, als jene überaus zahlreichen Autoren, die heute geopolitische Positionen vertreten. Weiter werden skeptische oder pessimistische Medientheoretiker mit geopolitischer oder strategischer Ausrichtung als Anhänger von "Verschwörungstheorien" oder einer "Krieg-und-Medien-Fraktion" abgetan, deren "Attitüde des militärisch-technischen Wortfetischismus" oft "peinlich" wirke.

Umgekehrt gehört es zur Standardrhetorik der Geopolitiker, macht- und raumferne Beschreibungen einer lateralen, posthegemonialen Weltdemokratie der Netizen als optimistisch oder naiv abzutun. Ein schönes Beispiel für diese Haltung liefert der 'neorealistische' Politologe Werner Link, der hinter den kurrenten Visionen "der Einen Welt - mit einem Weltmarkt, einer Weltzivilisation, einer Weltethik, einer Weltgesellschaft und konsequenterweise auch mit einer Weltorganisation" nichts anderes sieht, als historisch und mentalitätsgeschichtlich zu erklärende "Sehnsüchte" oder aber Kampfbegriffe, deren konkrete Auslegung von wirklichen "Mächten" im eigenen Interesse gegen andere durchgesetzt wird.

Was zum Beispiel "fairer Wettbewerb" auf dem globalisierten Weltmarkt bedeutet, "definieren große Mächte selbst", gleichgültig und unbekümmert darüber, welche internationalen Institutionen formal das Recht zur Entscheidung von Streitigkeiten haben mögen. Wer etwa meint, die UNO sei der "supranationale Akteur" der Weltgesellschaft, weil sie gelegentlich Tribunale einrichtet und Sanktionen verhängt, verkenne in geradezu "verblüffender" Weise den Prozess von Macht- und Gegenmachtbildungen, der solchen Maßnahmen vorausgehe. Das UN-Tribunal, das Slobodan Milosevic als Kriegsverbrecher verurteilen will, vertritt weder die Judikative des Weltakteurs UNO, noch exekutiert die KFOR dessen Willen, vielmehr sind Tribunal wie KFOR Ausdruck der "selektiven Hegemonie der Großmächte", in diesem Fall der USA, ohne deren Besatzungstruppen im Kosovo alle UN-Resolutionen und UN-Strafbefehle nicht das Papier wert wären, auf dem sie gedruckt sind.

Den Anhängern der atopischen, posthegemonialen, transnationalen Weltgesellschaft hält Link "die realen machtpolitischen Relationen" entgegen, die alle "Hoffnungen auf eine 'zivilisierte Weltgemeinschaft' via UNO" als "unerfüllbar" erweisen. Was von Bolz, Stichweh und Willke als "obsolet" und überholt abgetan wurde, tritt hier als "Realismus" an gegen einen naiven oder phantastischen Optimismus. Ein letztes Beispiel Links mag diese Codierung der geopolitischen Semantik illustrieren:

"Die Behauptung, das Verhandlungssystem der UNO habe eine positive, gewaltvermindernde Wirkung, beihaltet jedoch noch weit mehr. So meinen Volker Rittberger und seine Mitarbeiter, es sei 'zumindest plausibel' anzunehmen, 'daß durch die VN-gestützte und -vermittelte kooperative Konfliktbearbeitung in einzelnen Problemfeldern eine gewaltsame Bearbeitung von Konflikten in anderen Problemfeldern, die (bislang) nicht kooperativ bearbeitet werden, unwahrscheinlich wird.' Denn die Staaten würden dort 'einen geringen Anreiz verspüren, durch eine gewaltsame Bearbeitung dieser Konflikte bestehende kooperative Beziehungen aufs Spiel zu setzen.' Belege für die behauptete Plausibilität werden nicht angeführt. Der Grund dürfte sein, daß es sie nicht gibt."

Lakonischer geht es nicht. Danach wird die Gleichzeitigkeit von Kooperation und bewaffnetem Kampf an einer Vielzahl von Konflikten belegt.

Die Unterschiede zwischen den Semantiken der Globalisierung und der Geopolitik ergeben sich nicht daraus, dass die Geopolitiker die zahlreichen Indizien für das globale Kommunikationssystem der Weltgesellschaft übersehen oder leugnen würden. Im Gegenteil, der Befund ist der gleiche: wir haben es mit der "Infosphäre" einer "den Globus umspannenden Kommunikation" zu tun, um George J. Stein vom US Air Force War College zu zitieren. Allerdings ist die Sicht auf die Globalisierung eine ganz andere: weder löse das "Atopia" kommunikativer Netzwerke den geographischen Raum ab, noch sei die globale Infosphäre, der Cyberspace selbst frei von Macht. Kittler spricht hier seit langem schon von "Info-Imperialismus".

Stein geht davon aus, dass das Ringen um den Weltmachtstatus der USA gerade auch im Medium der neuen globalen Medien stattfindet, etwa als "InfoWar". Seine Kollegen aus den russischen und chinesischen Streitkräften stimmen ihm hierin zu: "Die nach Hegemonie strebenden Staaten sind praktisch täglich mit Vorbereitungsarbeiten" zum globalen "Informationskrieg" beschäftigt, ja dieser Krieg habe bereits begonnen. Der langjährige Sicherheitsberater der US-Administration Zbiniew Brzezinski hat in seinem Essay über "Die einzige Weltmacht" nicht nur den Anspruch der USA auf einen hegemonialen Status in der Weltgesellschaft deutlich ausgesprochen, sondern auch auf die kulturelle und technische Dimension amerikanischer Vormacht hingewiesen:

"Die kulturelle Komponente der Weltmacht USA ist bisweilen unterschätzt worden; doch was immer man von ihren ästhetischen Qualitäten halten mag, Amerikas Massenkultur besitzt [...] eine geradezu magnetische Anziehungskraft., [...] ihr weltweit großer Anklang ist unbestritten. Amerikanische Fernsehprogramme und Filme decken etwa drei Viertel des Weltmarkts ab. [...] Die Sprache des Internet ist Englisch, und ein überwiegender Teil des Computer-Schnickschnacks stammt ebenfalls aus den USA und bestimmt somit die Inhalt der globalen Kommunikation nicht unwesentlich."

Gerade die weltweite Ausbreitung der Massenmedien und des Internet ist für den Sicherheitsberater ein integraler Teil einer "Hegemonie neuen Typs". Das Zitat macht deutlich, dass Brzezinski sich für die Inhalte oder die ästhetische Qualität der Neuen Medien nicht im Geringsten interessiert, sondern es allein darum geht, dass sich die "USA durch die Beherrschung der weltweiten Kommunikationssysteme" einen "massiven, aber nicht greifbaren Einfluss" verschaffen. "Globale Kommunikation", schreibt ein weiterer US-Experte, "ist eine der wichtigsten zeitgenössischen Manifestationen westlicher Macht", ja, sie zähle zu den Kernelementen einer "Hegemonie des Westens".

Im Unterschied zu den deutschen Theoretikern der Weltkommunikation oder der Weltgesellschaft nimmt der Franzose Paul Virilio sehr genau wahr, dass die medientechnische Globalisierung weder dem geopolitischen Kampf um Vorherrschaft abschafft, noch die Chancen für die Akteure gleich oder "egalitär" verteilt: Das "Zeitalter des INFOWAR" sei angebrochen, dessen Logik damit begonnen habe, "das Leben der Nationen nicht nur in den Bereichen Wirtschaft und Politik zu beherrschen, sondern vor allem auch in demjenigen einer globalen Geopolitik". Im Infowar gehe es um die "Kontrolle der gegnerischen Information", der gesamten Telekommunikation also, und zwar "unabhängig von der Art der gesendeten Nachrichten". Satelliten und Glasfaserkabel seien gerade als Medien der Globalisierung auch Instrumente der "Vormachtstellung". Warum?

Die Gruppe der führenden sieben Industriennationen (G7) hat kürzlich beschlossen, Afrika das Internet zu bringen, damit es zum Weltstandard der Wissens- und Informationsgesellschaft aufschließen könne. Auf der ganzen Welt werden Kabel verlegt, Satellitenempfänger und -sender installiert, Server und Funknetze aufgebaut. Jeder soll die gleiche Chance erhalten, von den Segnungen der modernen Technologie und der New Economy zu profitieren. Man kann in den "Softwareschmieden" von Bangalore und den Chip-Fabriken auf Taiwan die ersten erfolgreichen, "egalitären" Anbindungen ehemaliger Kolonien an die Weltgesellschaft sehen. Ohne die Techniken der Globalisierung wäre die weltweite Echtzeit-Wartung von Software durch Ingenieure in Bangalore, der Unterhalt von Call-Centern für deutsche Kunden von Weltunternehmen in Mexiko oder auch die Abhängigkeit vieler Nasdaq-Werte von Produktionszyklen asiatischer Halbleiterhersteller undenkbar.

Es scheint tatsächlich, als ob die Techniken der Globalisierung die Chancen neu und gleich verteilt hätten. "Die Sphäre der Technik scheint eine Sphäre des Friedens, der Verständigung und der Versöhnung zu sein." Es scheint, als ob sich im Medium des "technischen Fortschritts" auch "alle anderen Probleme [...] von selber lösen", so dass der "Kampf der Kulturen" endlich aufhören kann, um einem "gemeinsam geteilten, guten Leben in einer gerechten Weltordnung" Platz zu machen. Man geht davon aus, dass die technische Struktur des Internet demokratisch und deliberativ sei, weshalb man nur Glasfaserkabel verlegen und Terminals verteilen müsse, um in ein neues Zeitalter einzuziehen: die Weltdemokratie. Fortschritt und Freiheit durch Technik!

"Das Internet ist antizentralistisch, individualistisch, antiautoritär und also sicherlich demokratischer als etwa Presse, Rundfunk und Fernsehen", meint auch Jochen Hörisch, und zwar unabhängig vom "Willen der unübersehbar vielen Internet-User", allein aufgrund seiner Technik. Endlich steht ein Medium zur Verfügung, das uns wie von selbst in ein anderes, besseres Zeitalter führt. Der Tübinger Philosoph Otfried Höffe begrüßt die "technischen Neuerungen", die uns das "elektronische Weltnetz" gebracht haben, weil sich in diesem Medium weltweiter Kommunikation in Echtzeit eine "globale Öffentlichkeit" herausbilde, deren politisches Äquivalent wiederum die "Weltrepublik" sei. Im Medium der neuen Medien vollziehe sich die "weltweite Ausdehnung der westlichen Demokratie" zur "Weltzivilisation", und schon heute sei die "universelle Institutionalisierung" dieser "zivilisierten Weltgemeinschaft" in "Gestalt einer revitalisierten UNO als einer Art Weltföderation" auf bestem Wege. Warum kann Virilio die neuen Medien als Instrumente der Hegemonie denunzieren, wo sie doch Protagonisten einer demokratischen Weltrepublik sein sollen?

Carl Schmitt schreibt 1929 zu dieser Frage: "scheinbar gibt es nichts Neutraleres als die Technik. Sie dient jedem so, wie der Rundfunk für Nachrichten aller Art und jeden Inhalts zu gebrauchen ist, oder wie die Post ihre Sendungen ohne Rücksicht auf den Inhalt befördert". Daraus könnte man folgern, politisch folge aus neuen Technologien per se gar nichts - alles käme darauf an, wem sie dienen und wer sie verwendet. Auch das Internet könnte in diesem Sinn als neutrales Medium verstanden werden, dessen Neutralität aber gerade Anlass gäbe zu den zitierten Hoffnungen, "aller Streit und Verwirrung des konfessionellen, nationalen und sozialen Haders" werde auf diesem "völlig neutralen Gebiet nivelliert". Dem widerspricht Schmitt mit der paradoxen Formulierung, die Technik sei "immer nur Instrument und Waffe, und eben weil sie jedem dient, ist sie nicht neutral." Ich möchte diese Paradoxie an einem Beispiel Ernst Jüngers auflösen.

In seinem Essay "Über den Schmerz" merkt er an: "Im Augenblick, in dem eine Stadt wie Mekka photographiert werden kann, rückt sie in die koloniale Sphäre ein." Obwohl die Photographie eine neutrale Technik in dem Sinne ist, dass potentiell jedermann sich ihrer bedienen kann, nimmt sie doch zugleich teil an der Kolonialisierung eines Ortes, an dem die lokale Kultur ein kultisches Bilderverbot verhängt hatte. Sobald in Mekka photographiert werden kann, ordnet sich die muslimische Kultur der westlichen Hegemonie unter.

Ich glaube, dass auch das Internet "scheinbar ein allgemeingültiges, neutrales Gebiet" ist, "das jeder beliebigen Kraft Zutritt gewährt", tatsächlich aber von denen, die sie benutzen, einen "Unterwerfungsakt" fordern. Die Unterwerfung bestünde darin, sich an einem Spiel zu beteiligen, dessen Regeln bereits von anderen gemacht worden sind. Die globalen Netzwerke und Massenmedien, die globale Marktwirtschaft des free trade und fair play folgen vor allem amerikanischen Spielregeln. Im Internet und Cyberspace sieht Brzezinski ein amerikanisches Medium bzw. einen von den USA kolonisierten neuen Raum, aus deren globaler Dimension nur folgt, dass die USA hier Medien für eine globale "Strategie der Vorherrschaft" vorfinden.

Während sich die USA mit dem neuen Raketenabwehrschild ihre im WK II verlorene Unverwundbarkeit zurückzuholen suchen, um ihre "globalen Interessen" wieder ohne Sorge um ihren eigenen Kontinent verfolgen zu können, wird am virtuellen Pendant eines Schutzschildes im Cyberspace bereits gearbeitet. Dieser Schild ist ein integraler Teil der amerikanischen Strategie, eine Full Spectrum Dominance zu erlangen, die, wie sich aus offiziellen Dokumenten für den US-Präsidenten, den US-Kongress und die US-Army ergibt, der "politischen und militärischen Weltvorherrschaft, Hegemonie, Dominanz und Beherrschung" dient. Die NATO-Partner werden an diesem Schild nicht beteiligt. Das Internet mag von jedem benutzt werden können, der sich die Kosten für seinen access leisten kann, kontrolliert wird das Netz aber von den USA. Es ist eine Medium der Geopolitik. Wer die globalen Kommunikations- und Verkehrswege gleichermaßen beherrscht, ist Hegemon.