Oikos - auf der Suche nach dem mehrfachen Mehrwert

Der Biomeiler vor dem Gewächshaus auf dem Jerusalem-Friedhof in Neukölln. Bild: Hans Boës

Für einen erweiterten Ökonomiebegriff

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Schon in den Neunziger Jahren hatte ich am Sekretariat für Zukunftsforschung gelernt, dass wir mit unserer derzeitigen Wirtschaftsweise in den kollektiven Suizid trudeln. Immer schneller, höher, weiter war schon damals eindeutig am Ende, nur hatten es die Wenigsten bereits begriffen.

Damals in Panik, dass unser Klimasystem tatsächlich bald "kippen" könnte, habe ich einen Ansatz entwickelt, wie wir aus der selbstzerstörerischen Dynamik des ökonomischen Mehrwerts aussteigen können: Indem wir die Ökonomie erweitern, von einem einfachen - immer nur individuell berechneten Mehrwert - zu einem mehrfachen Mehrwert.

Damals hatten wir zahlreiche gute Ideen im Sekretariat für Zukunftsforschung, wie wir eine nachhaltige Gesellschaft entwickeln können und waren aktiv daran beteiligt, als das nördliche Ruhrgebiet zum "Emscher Park" umgebaut werden sollte. Mit unseren Ideen stießen wir aber immer wieder gegen "ökonomische Betonmauern". "Wer soll das bezahlen?", war eine beliebte Frage oder "Ihre Ideen sind gut, aber wenn ich das mache, bin ich in 3 Monaten meinen Posten los", sagte mir einmal ein Vorstandsvorsitzender einer großen Firma.

Oikos - die Lehre vom guten Haushalten

Dann fiel mir jedoch auf, dass sowohl Ökonomie wie auch Ökologie denselben Wortstamm haben: den Oikos.

Befasst man sich einmal eingehender mit dem Unterschied von Ökonomie und Ökologie so kommt man zu einem erstaunlichen Ergebnis: Beides sind im Grunde Lehren vom guten Haushalten.

Sowohl Ökonomie als auch Ökologie leiten sich etymologisch vom griechischen Wort Oikos ab. "Oikos" ist das Haus oder der Haushalt, "Nomos" ist die Lehre oder das Gesetz, Ökonomie ist also die Lehre vom guten Haushalten. "Logos" ist der Sinn oder der Lehrsatz. Ökologie ist also ebenfalls eine Lehre vom guten Haushalten. Wo liegt da eigentlich der Widerspruch?

Ökonomie ist die Lehre vom eigenen Haushalten, was ist meins und wie kann ich es mehren? Ein Mehrwert oder Gewinn wird immer nur einer natürlichen oder juristischen Person zugeschrieben. Es ist tatsächlich nur ein individueller Gewinn.

Bei der Ökologie geht es um den Haushalt der Umwelt. Auch hier finden wir so etwas wie eine Kapitalbildung. Kompost ist im Grunde ökologische Kapitalbildung. Die Natur schafft sich ihre idealen Bedingungen selbst, indem sie Rücklagen bildet. Der Deutsche Wald schafft etwa einen halben Meter Humus in 100 Jahren. Der Wald bildet also einen Kapitalstock, eine Rücklage, einen ökologischen Mehrwert. Die Prozesse in der Natur und in der Wirtschaft sind durchaus vergleichbar. Denn beide müssen sich letztlich gegen den entropischen Verfall wehren.

Auch im sozialen Bereich gibt es so etwas wie einen Mehrwert-Prozess. Es gibt Gruppen, die einem "mehr Wert" geben, einen motivieren und beflügeln, andere saugen Energie, bis hin zu einem sozialen Bankrott, der schließlich in der Auflösung der Gruppe endet.

Die Idee, die ich damals hatte: Umwelt, Mitwelt, Ichwelt und Innenwelt müssen jeweils getrennt betrachtet und bilanziert werden, damit wir zu einer umfassenden Betrachtung des tatsächlichen Mehrwerts kommen. Jedes Projekt oder Produkt muss also mindestens 3-fach bilanziert werden: ökologisch, sozial, ökonomisch. Die innere Bilanz kann dann jeder für sich machen.

Diese Idee habe ich dann in meinem abschließenden Bericht an das Sekretariat für Zukunftsforschung in ersten Ansätzen entwickelt. Und gerade als ausgebildeten Wirtschaftsingenieur hat mich die Idee eines inneren Mehrwerts, eines inneren Reichtums, über die Jahre immer wieder fasziniert. Das kommt in der ökonomischen Lehre gar nicht vor, ist aber vielleicht doch wichtig in der Beurteilung der Güte eines Projekts oder einer Idee, wenn wir uns zu einer wirklich nachhaltigen Gesellschaft entwickeln wollen.

Mehrfacher Mehrwert im Prinzessinnengarten

Im Prinzessinnengarten habe ich dann 2011 eine Gruppe von Menschen gefunden, die bereits ganz intuitiv nach diesem Prinzip arbeitet. Der Prinzessinnengarten ist ein Urban-Gardening-Projekt, das 2009 in Berlin Kreuzberg gestartet ist. Das Team ist jetzt nach Neukölln umgezogen.

In wöchentlichen Treffen werden alle Projekte besprochen und gemeinsam entschieden. Dabei werden in allen Entscheidungen ökonomische, ökologische und soziale Aspekte möglichst gleich gewertet. Es wird also darauf geachtet, dass jedes Projekt tatsächlich einen mehrfachen Mehrwert hat. Auch der innere Mehrwert wird dort so gut es geht kultiviert. Letztlich ist natürlich jeder selbst dafür verantwortlich.

An einigen Beispielen aus der Arbeit im Prinzessinnengarten in Berlin will ich zeigen, wie ein mehrfacher Mehrwert erreicht werden kann.