On-line und Off-line in Cluj, Rumänien, 9.-12. Dezember 1997

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Rumänien baut nicht nur seine Städte und Wirtschaft neu auf, sondern auch seine zeitgenössischen künstlerischen Visionen.

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Still aus "The Roads to Heaven"

Die beschwerliche Reise nach Cluj in Rumänien begann bereits um 4.00 Uhr früh in Novi Sad in Jugoslawien. Als schläfriger Passagier eines grossen Kombis fand sich Kathy Rae Huffmann auf der Strasse nach Belgrad. Im Morgengrauen angekommen, half der vom Videomedeja-Festival engagierte Fahrer ein Ticket nach Timisoara in Rumänien zu erwerben, von wo aus Huffman mit einer Festivalreisegruppe weiter nach Cluj gelangen sollte. Die Bahnsteige in Belgrad bieten einen hoffnungslosen Zustand, kaum etwas ist angeschrieben und jedem scheint es kalt zu sein. Die Züge sind nicht beheizt, auch wenn die Fahrt bei Minustemperaturen stattfindet. Und Bordservice gibt es natürlich auch keines.

Nur wenige Leute scheinen den Zug nehmen zu wollen, weswegen Kathys Abteil auch leer blieb. Die meisten bevorzugen wohl die wärmeren, komfortableren und sichereren Busse. Dafür bieten Züge der neugierigen Reisenden aber einen kleinen Einblick in die Gepflogenheiten der ländlichen Bevölkerung im Grenzgebiet zwischen Jugoslawien und Rumänien. Die karge eisige Landschaft wird von kleinen Feldern durchzogen, die sich zwischen die Dörfer legen. Viele der Bewohner sitzen auf Pferdefuhrwerken. Die ganze Szenerie erscheint, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Die Folgen des durch den Krieg in Jugoslawien angestiegenen Schmuggels sind rigide Grenzkontrollen, die zu einer Tortur werden können, wenn die Papiere nicht in Ordnung sind. Glücklicherweise blieb dies unserer Reisenden erspart, die auf gut gelaunte Zöllner traf.

Bei ihrer Ankunft in Timisoara wurde Huffman freundlich begrüsst und durch die Stadt direkt in das Büro der mitveranstaltenden Firma IDEA geführt. Was für ein Gegensatz, nach dieser Anreise eine heisse Tasse Kaffee in einem komplett ausgerüstet Multimediastudio mit neuesten Macintoshcomputern serviert zu bekommen. Bald wurde klar, dass das weit ab vom Schuss gelegene Städtchen Timisoa über eine sehr aktive Multimediagemeinschaft verfügt. Nach einigen Telefonaten wurde Kathy auch in Alexandru Patatics "Art & Ambient Visual Research" Studio gebracht, von dem aus sie auch ihre E-mail checken konnte. Hier wurde nun die Abfahrt nach Cluj organisiert, wobei die leidgeprüfte Reisende nun danach trachtete, im modernen Wagen von Alexandru mitfahren zu können. Nach einem Zwischenstop bei McDonalds folgten sieben Stunden Fahrt über kurvenreiche Strassen durch dichten Nebel nach Cluj. Die Ankunft im Herzen Transsylvaniens erfolgte bereits bei kompletter Dunkelheit. Solche Reisezeiten scheinen am Balkan aber normal zu sein.

Das viertägige Symposion zu Strukturen und Strategien zur Entwicklung von Multimedia On-line und Off-line begann am 9. Dezember frühmorgens. Es war eine Zusammenarbeit von Soros Center for Contemporary Arts Bukarest und der Firma Dynamic Network Technologies, Cluj. Der Ort für dieses Event war ein wiederbelebter historischer Bau mit kompletter technischer Ausrüstung, Netzverbindung, Bibliothek, Copyshop und eigener Snackbar. Die private Firma Dynamic Network Technologies enstand 1995 als eine Tochter der Soros Familie, aber machte sich dann selbständig und wurde zu einem kommerziellen Provider, Konferenzveranstalter, Dolmetschservice und Softwareentwickler. Dies machte sich auch bemerkbar, als bei Beginn jeder Teilnehmer eine Mappe mit kompletten Abstracts der Präsentierenden, Biografien und Kontaktadressen erhielt.

Die Symposionsteilnehmer trafen sich im Sporthotel zum Frühstück (wir waren auch tatsächlich von "Atlethen" umgeben, die sich in teuren Trainingsanzügen riesige Frühstücke einverleibten). Gemeinsam fuhr man zur ersten Präsentation von Irina Cios, Leiterin von SCCA, die das Symposion eröffnete und die von SCCA geplanten Vorgangsweisen zur Förderung der Entwicklung von elektronischen Kunstprojekten in Rumänien präsentierte. Sie gab auch einen kurzen Überblick über die Medienereignisse seit 1993, die mit der Ausstellung von Videoinstallationen Ex Oriente Lux ihren Anfang nahmen. Diese Ausstellung, zu der auch ein internationales Symposion gehörte, brachte das erste Mal eine größerer Anzahl von internationalen Besuchern zu einem derartigen Ereignis nach Bukarest. Man versuchte damit auch, die bestehende lokale Informationslücke auf diesem Gebiet zu schliessen und einen Kommunikationsprozess auszulösen. Daraus entwickelte sich 1995 Media CULPA, eine Jahresausstellung mit einem CD-ROM Projekt als eine grossangelegte Teamarbeit von Künstlern, realisiert vom Institute for Computers und dem SCCA. Es wurde auch dargelegt, dass das Event in Cluj veranstaltet wurde, um die Aufmerksamkeit auf Multimedia-Projekte in Rumänien sowohl auf jene von Künstlern als auch von kommerziellen Produzenten zu lenken. Gearbeitet wird an der Einbindung von Video, WWW, 3D Animationen. Die folgenden Tage bestanden aus Präsentationen zu diesen Themen und gaben einen tieferen Einblick in die laufenden Projekte und Kapazitäten in Rumänien.

Einer der Höhepunkte des Programms war die Präsentation der Kunstakademie Bukarest von Roxana Trestioreanu und von verschiedenen jungen Künstlern der Multimediabteilung der Visual Art Academy in Cluj, die zukünftige studentische Projekte vorstellten. Melentie Pandilovsky aus Skopje zeigte "Macedonian Electronic Art 1994-997". Kati Gerber, eine nun in Ottawa lebende gebürtige Rumänin, stellte die auf internationaler Ebene gemachten Bemühungen zur Schaffung von Standards zur Beurteilung von Multimediaproduktionen vor. Ihre aktuelle Arbeit mit dem Canadian Heritage Information Network, einer Teilorganisation der Multimedia Working Group, mündete in einem Kompendium von Beurteilungspunkten, die auf ihrer Website eingesehen werden können.

Bei ihren Recherchen zu künstlerischen Websites stellte sie fest, dass das Wissen der User wesentlich mehr gefordert wird und eine grösserer Zahl der von ihr aufgelisteten Punkte zur Qualität von Multimedia erfüllt werden als in rein kommerziellen oder institutionellen Websites.

Das eindrucksvollste gezeigte kommerzielle CD-ROM Projekt war "The Roads to Heaven", das Rãzvan Theodorescu, Professor an der Fine Arts Academy in Bukarest vorstellte. Diese Bildungs-CD vereinte eine enorme Menge von Daten und Informationen zu den Malereien in den Grabeskirchen Moldaviens aus dem 15ten und 16ten Jahrhundert.

Das noch im Entstehen begriffene CD-ROM Projekt "Report 1990-1995" enthält beeindruckende Daten, Dokumente und Bilder zu den dramatischen Veränderungen in der jüngeren Rumänischen Geschichte seit den Tagen der Revolution gegen Ceaucescu. Olimpiu Bandalac erklärte bei seiner Präsentation, dass die CD über Eurotelier Association vertrieben werden wird. Die wissenschaftlichen Daten werden von Civic Forum Foundation in Prague und der Civil Society Development Foundation in Bukarest aufgearbeitet. Die Ergebnisse sind eine Sammlung von Zeitungsberichten, Fernsehdokumenten und Presseberichten, die zu einem kompakten Überblick einer siebenjährigen wiedersprüchlichen Revolutionsgeschichte in Rumänien zusammengefasst werden.

Zu den gezeigten künstlerischen CD-ROMs gehörte"Intermedia 11/1997". Diese enthält eine Multimedia Version des Magazins Intermedia, das seit 1994 in Arad in Englisch, Deutsch und Französisch vom Arad Museum und Teilnehmern des Kinema Ikon Workshops of Media Arts gemacht und vom Soros Center for Contemporary Art Bukarest finanziert wird. Das Produkt mit Designschwerpunkt bietet aber auch eine Fülle an Informationen und war auch schon beim Ostraniene Festival in Dessau zu sehen.

Dieter Penteliuc schuf eine sehr persönliche Multimediaarbeit zu seiner Heimatstadt "Timisoara - The Bridge City", die er während eines Studienaufenthaltes an der SCAN Academie Minerva in Groningen in den Niederlanden realisierte. Dieses zuerst als Videodokumentation angelegte Projekt entwickelte sich zu einer romantischen visuellen Reise über eine Vielzahl von Brücken zu den Geschichten und Legenden einer Stadt. Es ist eine persönliche Aufarbeitung, mit schön designtem Interface (u.a. Einsatz des Bildes der Brücke als praktische Navigationsmetapher).

Der letzte Tag, an dem Kathy Huffman nicht mehr teilnehmen konnte war vor allem für die Präsentationen der Künstler reserviert. Unter ihnen waren Alexandru Patatics, der in der Biennale der ICC/NTT Galerie in Tokyo teilgenommen hatte und Calin Dan, ein rumänischer Künstler, der nun in Amsterdam lebt, sowie Roy Ascott, Leiter des Center for Advanced Inquiry in the Interactive Arts (CAiiA-STAR). Ascott konnte schon über das Erasmus Austausch Programm Kontakte mit Rumänien über seine Studenten herstellen und Calin Dan, der mit der Mediengruppe subREAL Installationen realisierte und nun auch solo arbeitet, hatte bereits 1993 die erste Medienausstellung im SCCA Bukarest organisiert.

Huffman sieht es als freiwillige Verpflichtung an, demnächst wieder zur aktiven Multimedia Gemeinde nach Cluj zurückzukehren und weiterhin Informationen einzuholen und Resourcen zu erforschen. Das Ereignis in Cluj hat auch verdeutlicht, dass Kommunikation im neuen Rumänien als überaus wichtig angesehen wird. Wir können von den dramatischen Erfahrungen, die von Künstlern und Designern in einem Land am Scheitelpunkt der Wende formuliert werden, einiges lernen. Rumänien baut nicht nur seine Städte und Wirtschaft neu auf, sondern auch seine zeitgenössischen künstlerischen Visionen.

Wien im Dezember 1997

Kontakt:
Irina Cios, CSAC Director
Soros Foundation for an Open Society - Romania
Bucharest 71102
C. P. 1-827
Calea Victoriei 141
csac@mail.sfos.ro