Operieren Privatkliniken besser?
Das Problem: Es gibt dazu bisher keine öffentlich zugänglichen Daten, die über die Fallzahlen hinausgehen
Der Artikel über den Fall einer Patientin, die wegen Bluthochdruck in die Klinik kam und dort zur vermeintlichen Lungenkrebskandidatin wurde, hat mehrere Zuschriften über ähnliche Fälle inspiriert. Dabei wurde auch über den Sinn der Privatisierung von Kliniken diskutiert.
Sind Privatkliniken oder aber öffentliche Kliniken effektiver? Diese Frage ist für Patienten in vielen Bereichen oft lebensentscheidend, indem sie vor einer Behandlung oder Operation zumindest ihre statistische Chance kennen könnten, den Eingriff zu überleben und mit geringstmöglichen Folgeschäden und Folgebehandlungen weiterzuleben.
Das Problem: Es gibt dazu bisher keine öffentlich zugänglichen Daten, die über die Fallzahlen hinausgehen. Dass die Kliniken, private wie öffentliche, diese Daten nicht einmal anonymisiert veröffentlichen, ist aus deren Sicht verständlich: Wer würde zum Beispiel sein Knie, seine Hüfte oder sein Herz in einer Klinik operieren lassen, die durch überdurchschnittliche Todesrate und zeit- und kostenintensive Nachbehandlung auffällt? Auf Anfrage gab die Barmer GEK Telepolis einen Link zu einem Onlinetool zur Kliniksuche.
Erste Tests ergaben jedoch am Beispiel des Einsetzens einer künstlichen Hüfte, einer höchst anspruchsvollen Spezialoperation, dass die beiden benachbarten Kreiskliniken trotz niedriger Fallzahlen auf der Weissen Liste erschienen. Auch in der Individualisierungsversion fanden sich keine Angaben über Behandlungserfolge und Nachbehandlungsprobleme.
Der Datenschutz hat hier einmal die umgekehrte Funktion: Es sollen nicht die Daten der Patienten vor Pharmaindustrie, Finanzamt oder Krankenkassen geschützt werden, sondern die Daten der Klinik über deren Erfolge und Misserfolge vor potentiellen Patienten.
Telepolis hat den Versuch unternommen, bei einer der mitgliederstärksten Krankenkassen Deutschlands, der Barmer GEK ein Interview zur Frage der Effektivität öffentlich vs. privat zu bekommen. Leider wurde das Interview ohne Angabe von Gründen abgelehnt. Dabei hätte gerade die Barmer am wenigsten Grund, das Thema Effektivität und Erfolgskontrolle zu vermeiden.
Wie Telepolis an zwei Fällen von Barmer-Patienten zeigen kann, verfügt die Barmer nicht nur über die begehrten Daten, sondern ist auch bereit, ihre Patienten bei der Wahl der richtigen Klinik zu unterstützen. Dass dies nur für versicherte Mitglieder gilt, kann man der Barmer nicht vorwerfen.
Einzelfälle haben natürlich keine allgemeine Aussagekraft. Sie sind aber Hinweise auf mögliche Erfolgs- und Risikofaktoren bei Operationen, die der Barmer derart gut bekannt sind, dass sie ihre Patienten im Ernstfall sogar hunderte Kilometer entfernt von deren Heimatort empfiehlt, wenn sich dadurch die Heilungschancen verbessern.
Brief des Pressesprechers der BARMER GEK vom 16. Januar
Sehr geehrter Herr Dill,
einen Austausch über die Effektivität der Krankenhausbehandlungen unter den gesetzlichen Krankenkassen gibt es in diesem genauen Wortsinne nicht. Gleichwohl möchten wir Ihnen eine Erläuterung zum gegenseitigen Verständnis geben:
Die Untersuchung der Effektivität der Gesundheitsversorgung ist wahrlich nicht trivial, sondern vielmehr hochkomplex. Spricht man von der Wirksamkeit einer medizinischen Methode bzw. gesundheitlichem Outcome oder der Wirtschaftlichkeit? Davon abzugrenzen ist die Frage der Effizienz (Kosten-Nutzen-Relation). Dies sind Fragen, die Institute der Versorgungsforschung sowie Gesundheitsheitsökonomie national wie international untersuchen und publizieren.
Auch wir Krankenkassen nehmen unternehmensinterne Evaluationen vor, wenn wir Effekte von krankenkassenspezifischen Versorgungsprogrammen für bestimmte Patientengruppen messen wollen. Dies zeigt, dass hier ein Austausch von Daten zwischen Kassen nicht immer sinnvoll ist, weil unterschiedliche Programme und Zielsetzungen zu nicht vergleichbaren Daten führen würden. Gleichwohl werden bestimmte Programme wie DMP von den Krankenkassen nach einheitlichen Kriterien durchgeführt und evaluiert. Dazu liegen im Internet ausreichend Information vor (z.B. hier).
Wir fokussieren Ihre Frage nach der "Effektivität der Krankenhausbehandlung" im Folgenden auf die Qualität der Krankenhausversorgung. Die Krankenhäuser sind gesetzlich verpflichtet, sich an dem Verfahren des G-BA zur externen Qualitätssicherung zu beteiligen. Hier werden Aspekte der Prozess- und Ergebnisqualität klinikvergleichend untersucht. Informationen und Ergebnisse dazu finden Sie unter www.sqg.de. Die Kliniken sind verpflichtet, die Ergebnisse von z.Zt. 289 Qualitätsindikatoren in ihren Strukturierten Qualitätsberichten zu veröffentlichen. Diese finden Sie in unserem Krankenhausuchportal www.krankenhausnavi.barmer-gek.de. (Anmerkung: Die Qualitätssicherung beschränkt sich auf rd. 20% der Krankenhausleistungen, daher finden Sie auch nur für diese Leistungen Qualitätsergebnisse).
Ich hoffe, dass wir Ihre Frage damit zufriedenstellend beantworten konnten. Für Rückfragen stehe ich gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Axel Wunsch Pressesprecher
Die Knochenwucherung
Der Patient bemerkte an seinem Gelenk eine seit Jahren wachsende Knochenwucherung. Sie verursachte keinerlei Schmerz, war ihm aber ästhetisch unangenehm und weckte die Angst, ein bösartiges Geschwür zu haben. Er suchte seinen Hausarzt auf, der zum weiteren Beobachten riet. Nach zwei Jahren Beobachtung verwies er ihn an den in der Kleinstadt ansässigen Orthopäden, der selbst einige Belegbetten im örtlichen Kreiskrankenhaus betrieb. Dieser riet dem Patienten zu einer Operation. Diese sollte unter Vollnarkose stattfinden und beinhaltete einen dreitägigen Krankenhausaufenthalt.
Dem Patienten erschien das angesichts der 0,7 mal 0,6 Zentimeter großen Wucherung merkwürdig. Als Versicherter der Barmer GEK rief er deshalb in der örtlichen BEK-Geschäftsstelle an und bat um Rat. Dieser verwies an eine zentrale Beratungsstelle für Patienten, der er am Telefon die Diagnose mitteilte. Die Mitarbeiterin stellte zunächst fest, dass sie keine direkte Empfehlung geben dürfe, aber eine Liste mit Klinken habe, die diesen Eingriff optimal durchführen könnten.
Auf der Liste fand sich zur Überraschung des Patienten eine renommierte chirurgische Privatklinik, die schon öfters prominente Sportler und Showstars operierte, weit entfernt vom Wohnort des Versicherten. Die Barmer übernahm die Fahrtkosten und er stellte sich vor, woraufhin ihm der Arzt mitteilte, die Operation könne ambulant mit örtlicher Betäubung in drei Stunden am nächsten Montag gemacht werden. Der Patient wollte das zuerst nicht glauben, wurde aber mit folgenden Worten belehrt: "Wir sind nur auf Operationen spezialisiert. 24 Stunden am Tag. Wir müssen keine Mitarbeiter aus anderen Abteilungen für die OP abziehen und keine Betten und Verwaltungen auslasten."
Das klingt plausibel. Man trinkt ja auch kein Bier dort, wo nur drei Gläser am Tag gezapft werden, sondern da, wo der Zapfhahn läuft.
Der Chefarzt selbst operierte den Kassenpatienten, der bereits am Mittag mit der Bahn nach Hause fuhr. Nach einigen Verbandswechseln war die Wunde geheilt. Die Wucherung kam nie wieder. Die Kosten lagen genauso hoch wie im Angebot des Kreiskrankenhauses mit seinem Belegarzt. Dieser, so erfuhr der Patient hinterher, hatte noch nie ein derartiges Gelenkgeschwulst operiert.
Es wäre nun interessant zu erfahren, warum die Barmer zu dieser Lösung riet. Es ist zu vermuten, dass die Barmer sowohl das Operationsrisiko bei diesem Orthopäden als auch im örtlichen KKH so bewertete, dass sich das KKH laut Patient gar nicht erst auf der Liste der vorgeschlagenen Kliniken fand.
Der Meniskus
Die Verletzung des Meniskus geschieht gerne im Urlaub und beim Sport. Der humpelnde, in manchen Fällen bereits fast gehunfähige Patient kehrt in die Heimat zurück - und stellt sich in der staatlichen orthopädischen Klinik vor.
Dabei zeigt er auch die Diagnose des behandelnden Arztes am Urlaubsort vor: "Verdacht auf Meniskus", steht darin. Die Klinik beschäftigt einen eigenen Oberarzt für Orthopädie. Dieser schickt den Patienten mit der Empfehlung nach Hause, sein Knie zu schonen und sich zu melden, wenn es schlimmer wird. Der Patient bekommt Schmerzmittel verschrieben und humpelt drei Monate herum. Der niedergelassene Orthopäde sagt im dritten Monat, eine CT könne frühestens in zwei Monaten erstellt werden.
Da der Patient in der Nähe der Klinik wohnt, geht er nach dieser entmutigenden Nachricht in die Notaufnahme, um die dringend nötige CT machen zu lassen. Sein Leidensdruck ist nun Motivation genug. Bei der Aufnahme wird er belehrt, dass er die CT nur bekäme, wenn er auch einer stationären Einweisung zustimmt. Er stimmt zu, mit dem festen Entschluss, die CT noch Experten zu zeigen.
Zu seiner Überraschung kommt nach der Aufnahme der Oberarzt, der ihn vor drei Monaten nach Hause schickte, und bietet an, den nun amtlich bestätigten Meniskus zu operieren. Der Patient ist misstrauisch und fragt: "Wie oft operieren Sie denn am Knie?" "Jede Woche", sagt der Oberarzt. Eine freche Lüge. Laut dem öffentlich zugänglichen Bericht hat die Klinik im letzten Jahr ganze 27 Knieoperationen vorgenommen, unter ihnen 11 einen Meniskus.
Die Klinik verweigert zunächst die Herausgabe der CT - da ruft der Patient bei der Barmer an. Die erwirkt die Herausgabe und besorgt ihm einen sofortigen Termin bei einem renommierten Sportorthopäden, der überwiegend Privatpatienten behandelt. Nach kurzer Untersuchung und einer abfälligen Bemerkung über den städtischen Oberarzt bietet er an, den Meniskus ambulant in einer Privatklinik zu operieren. Die Barmer stimmt zu und übernimmt alle Kosten. Die Chirurgie der städtischen Klinik wurde ein Jahr später wegen verunreinigtem Operationsbesteck geschlossen. Der Patient ist davor bewahrt worden, als Versuchskaninchen für unfähige städtische Ärzte seine Gesundheit zu riskieren.
Lehren
Wenn, wie bereits im letzten Artikel geschildert, die medizinische Behandlung in erster Linie dem Geschäftsmodell der Behandelnden folgt, nicht dem Wohle des Patienten, spielt die Unterscheidung privat/staatlich offenbar keine Rolle. Es gibt sicher Privatkliniken, die ihrer Kundschaft unnötige und gefährliche Schönheitsoperationen aufschwatzen und bei Privatpatienten dazu neigen, jedes Zipperlein zum großen Fall "abzuklären", aber anders als staatliche Kliniken, deren Defizit völlig unabhängig von der Qualität der Leistung vom Staat übernommen wird, können sie sich auf die Dauer nur halten, wenn sie von Fachärzten, Kassen und Patienten empfohlen werden.
Gerade chirurgische Privatkliniken haben sich deshalb als Dienstleister auch für die gesetzlichen Kassen etabliert, da den Kassen sehr wohl bewusst ist, wie in staatlichen Kliniken gearbeitet und verfahren wird. Auf der Empfehlungsliste für den Patienten mit der Knochenwucherung fand sich gleich überhaupt keine staatliche Klinik mehr.
Während also die Privatisierung etwa bei Bahn und Post zu einer ständigen Verschlechterung der Leistung führt, verbessert das Outsourcing etwa von Operationen möglicherweise die Heilungschancen.
Nach Telepolis vorliegenden Informationen liegt etwa das Risiko bei Hüftoperationen mit künstlichen Hüftgelenken umso niedriger, umso kürzer die Operation dauert. Eine 30-minütige Hüftoperation beherrschen aber nur wenige, sehr erfahrene Chirurgen, zu denen man hunderte Kilometer fahren muss. Diese Chirurgen führen oft sieben Operationen am Tag aus. Die Kassen wissen, in welchen Kliniken und bei welchen Ärzten sich danach die Wunden infizierten und nachoperiert werden mussten, wo die Folgen der Hüftoperation zum Martyrium für Patient und Kasse wurden. Dieses Wissen muss zum Patienten gelangen. Es ist aber ein Herrschaftswissen, weil es über die Vergabe des Behandlungsauftrages entscheidet.
Aus diesem Grund versuchen Ärzte und Kliniken, die Verbreitung des Wissens um jeden Preis zu verhindern. Alles, was die Kasse also tun muss, ist, dem Patienten eine Positivliste zu überreichen. Dass auf ihr möglicherweise über die Hälfte der Kreiskrankenhäuser zumindest im Fachgebiet Chirurgie nicht mehr zu finden ist, sollte die Kassenpatienten beruhigen: Die Barmer weiß in der Regel mehr als der Großteil der Fachärzte. Und was die Barmer kann, können TK, DKV und "Gesundheitskasse" AOK auch. Wenn sie wollen zumindest.