Opferzahlen der Randale in Rostock weit übertrieben?
Offenbar muss von den über 150 verletzten Berliner Polizisten nach der "Orgie der Gewalt" am 2. Juni nur einer stationär behandelt werden, die Zahl von tausend Verletzten, mit denen Politik gemacht wird, sind vermutlich weit übertrieben
In all der Aufregung kommen manche Nachrichten nicht so gut durch. Immerhin hatte aber der Focus, nicht gerade eine Medium der Linksextremen, berichtet, dass die Zahl der bei den Ausschreitungen am 2. Juni in Rostock Verletzten "zweifelhaft" bzw. "völlig aus der Luft gegriffen" sei. Die Nachricht ging durch alle Medien, dass es bis zu 1000 Verletzte, darunter mehr als 400 Polizisten gegeben habe, was dann dazu Anlass bot, die Organisatoren der Demonstrationen dafür verantwortlich zu machen und von Gummigeschossen über mehr Härte bis zum Einsatz der Antiterror-Einheit GSG9 alles Mögliche zu fordern, um die "potenziellen Mörder" des "Schwarzen Blocks" zu bekämpfen, die eine "Orgie der Gewalt" veranstaltet hätten. Drei Autos wurden angezündet, im Vergleich zu französischen Verhältnissen, ist auch das keine große Orgie der Gewalt.
Eigentlich sollten sich Medien und Politiker über die Zahlen stürzen, die der Focus verbreitet und die linke Zeitung Junge Welt bestätigt hat, auch wenn man dieser in den Mainstreamedien wenig Beachtung und Glauben schenken würde. Wenn manche wie Wolfgang Speck, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, nicht nur von bislang unbekannten "Gewaltexzessen" sprechen, sondern auch davon, dass die "Chaoten den Krieg wollen", wäre es höchste Zeit für eine rhetorische Deeskalation auf allen Seiten.
Makaber auch schon, dass gar schon Gerüchte umgehen, Demonstranten hätten Polizisten mit einer unbekannten Säure angegriffen. Damit wäre man schon beim "chemischen Anschlag" gelandet. Das zeigt aber wohl vor allem, wie aufgeregt und aufgeputscht die Stimmung ist, gut angetrieben durch die Medien, die gerne alles aufgreifen und weitertragen, was Sensation verspricht. Immerhin hat der Spiegel, der zuerst ebenfalls in der geforderten "objektiven" Manier die Verlautbarungen der Polizei weitergab, in der Sache nachgebohrt. Die Angehörigen der verkleideten "Clown's Army", die Polizisten mit Wasserpistolen besprüht hatten, haben wohl tatsächlich nur Wasser geladen gehabt.
Zuvor hatte Kavala-Sprecher Axel Falkenberg gesagt: "Acht Polizisten mussten zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht werden." Und er erklärte überdies, dass mehrere Polizisten schon am Samstag mit schmerzhaften Hautreizungen medizinisch behandelt worden seien: "Es ist inzwischen bekannt, dass diese Clowns gar nicht so friedlich sind." Nach Auskunft von Spiegel ließ sich in den Krankenhäusern der Vorwurf nicht bestätigen. Es seien nur zwei Polizeibeamte untersucht worden, die aber nicht mit einer ätzenden Flüssigkeit besprüht worden waren und gleich wieder entlassen werden konnten.
Das war offenbar auch der Fall bei den meisten der Verletzten vom 2. Juni. Sie wurden wegen kleinerer Blessuren behandelt und konnten gleich wieder gehen, berichtet Focus aufgrund von Mitteilungen der Krankenhäuser: "Von den insgesamt registrierten 518 Patienten wurden zwischenzeitlich alle aus den Kliniken und Krankenhäusern entlassen." Die Junge Welt berichtet von den über 150 verletzten Berliner Polizisten:
Wie ein Polizeisprecher auf jW-Nachfrage erklärte, befand sich am Dienstag noch ein Polizeibeamter in stationärer Behandlung. Ein weiterer, der kurzzeitig stationär hatte behandelt werden müssen, war bereits am Vortag entlassen worden. Bis auf diese beiden war kein einziger Polizist in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Die am Sonnabend in Pressemeldungen der Polizei und Medienberichten in die Welt gesetzte Zahl von 30 bis 41 schwerverletzten Polizisten erweist sich damit als ebenso schlichte wie wirkungsvolle Manipulation. Normalerweise gibt es eine klare Definition dafür, welche Personenschäden im Polizeibericht als »schwere Verletzungen« bezeichnet werden. Die findet sich im Straßenverkehrsunfallstatistikgesetz (StVUnfStatG). Danach gelten Personen, die aufgrund einer Verletzung stationär behandelt werden müssen, als "Schwerverletzte". Warum diese Richtlinie am Wochenende von der Rostocker Polizei außer Kraft gesetzt wurde, konnte deren Sprecher gestern nicht plausibel erklären. Man habe die Verletzungen zunächst für schlimmer gehalten, hieß es, dann sei man bei den einmal veröffentlichten Zahlen geblieben. Denn: "Wenn wir das jetzt zurücknehmen würden – wie könnte man das noch verkaufen?"
Wenn das stimmen sollte, dann scheint sich zu bestätigen, dass Eskalation erwünscht, weil interessanter und politisch ergiebiger ist, zumindest aber, dass sensationelle Zahlen einfach weitergereicht werden. Das sollte Medien eigentlich aufschrecken. Man darf gespannt sein, ob und welche sich hier ihrer Aufgabe annehmen, schließlich werden aufgrund der kursierenden hohen Opferzahlen auf Seiten der Polizei und der Demonstranten neue Maßnahmen und Verbote legitimiert, aber vielleicht auch neue Anlässe zur Gewalt geschaffen, weil Angst und Misstrauen tief sitzen. Weder die Öffentlichkeit noch Politiker, Demonstranten oder Polizisten haben andere Zahlen. Deswegen wäre es besonders wichtig, ob sie zutreffen. In einem Schnellverfahren wurde der erste mutmaßliche Randalierer aus Baden-Württemberg zu einer Gefängnisstrafe von 10 Monaten verurteilt. Einhellig gilt das Urteil als Abschreckungsmaßnahme.
Derweil begeistert sich Bild, das Nachrichten als Agitation verkauft, an Demonstrantinnen, die sich ausziehen, um gleichzeitig am Mythos der Gewalt weiter zu stricken (natürlich mit Bild):
Statt brutaler Randale, wie sie bei den Anti-G8-Demos vom Wochenende in Rostock vom gefürchteten „schwarzen Block“ ausgingen, enthüllen junge Mädchen eine neue Art des Protests. Bei einem Marsch durch die Stadt zogen sie sich aus, liefen zum Teil nur in Unterwäsche herum. … Busen-Block statt schwarzer Block! Nippel statt Knüppel – was sagt die Polizei? Polizeihauptkommissar Jörg Großmann (34) von der Einsatzleitung: „Unsere Beamten fühlten sich nicht provoziert, fanden es sogar ungewöhnlich originell.“
Doch nicht alle Demonstrantinnen sind so friedfertig! Wie jetzt herauskommt, gingen die Schläger bei den Krawallen von Rostock (1000 Verletzte) beispiellos brutal vor. „Es wurden Früchte und andere weiche Wurfgeschosse eingesetzt, die mit Rasierklingen und den Klingen von Tapeziermessern gespickt waren“, zitiert der „Tagesspiegel“ einen Sicherheitsexperten.
Der Tagesspiegel hatte hier einen anonym bleibenden Sicherheitsexperten zitiert, unter Berufung auf den Polizeipräsidenten Dieter Glietsch sagt die Zeitung, dass tatsächlich ein Polizist wegen einer Gehirnerschütterung noch in einem Rostocker Krankenhaus liege. Insgesamt seien 158 Polizisten verletzt worden, also weitaus weniger als die über 400. "In Härte, Rücksichtslosigkeit und Brutalität haben wir so etwas noch nicht erlebt“, sagte Glietsch. Die Zahl der schwer verletzten Berliner Polizisten sei auf 18 angestiegen, die meisten hätten sich Hände oder Finger gebrochen, was an sich nicht unbedingt auf Steinwürfe zurückzuführen ist: „Wir sind seit Jahrzehnten nicht mehr mit Gehwegplatten beworfen worden."
Was auch immer wie genau stimmen mag, so sollte eine Lehre aus der Geschichte sein, nicht rückhaltlos den Boten von Nachrichten zu vertrauen, so verlässlich sie auch gewesen sein mögen und so gut ihre Botschaften auch mit der eigenen Ideologie übereinstimmen. Enttäuschend ist freilich auch, dass die Behörden oder das Bundesinnenministerium nicht verlässliche Informationen bieten oder verbreitete Informationen korrigieren.