"Oppenheimer": Atomkrieg am Horizont – und die ethischen Fragen

Seite 2: Die Erhabenheit der Bombe

Das Ergebnis, das jetzt im Kino läuft, hat drei Kapitel von jeweils etwa einer Stunde Länge und ist relativ chronologisch erzählt. Zunächst der Werdegang, die kulturellen Einflüsse und die Begegnungen mit Nils Bohr und Albert Einstein.

Im Rückblick ist dieser Abschnitt des Films einer der allerbesten. Während des Films dachte ich: "Es geht dann alles zu schnell; es wird gewissermaßen abgehakt, auch ein bisschen zu brav, ein bisschen zu chronologisch." Aber es funktioniert.

Was auch gut funktioniert, ist das Umreißen der Persönlichkeit in dieser Phase, der Einflüsse auf sie. Am Ende ist gerade dieser Anfang, in dem sich die Figur des Oppenheimer aus Fragmenten und Einzelteilen gewissermaßen kubistisch zusammensetzt, auch widersprüchlich, sehr stark.

Dann die Entwicklung der Atombombe selbst bis zum entscheidenden, welterschütternden "Trinity"-Test. Der wirklich tolle Moment ist Trinity. Und doch geradezu etwas verschenkt ... Weil die Fallhöhe, die Erhabenheit des Augenblicks nicht so deutlich wird wie in anderen Filmen, selbst dem eher verschnarchten "Fat Man and Little Boy" von Roland Joffe.

Schließlich die Zeit danach: Die Angriffe der Neider und die Kommunistenhatz sowie Oppenheimers zunehmende moralische Zweifel. Auch dieser Film verschweigt allerdings einige der für seine Verteidiger unappetitlicheren Aspekte von Oppenheimers Leben - vor allem die Tatsache, dass dieses Opfer der antikommunistischen "Hexenjagd" im Verhör bereitwillig Namen von "Mitläufern" nannte.

Vor allem diese letzte Stunde macht den Film kaputt. Drei Stunden Länge ist bei einem guten Film kein Problem, aber hier kommt es einem nicht kurz vor, sondern wie ein überlanger Epilog.

Das FBI als Biograf

Insgesamt ist alles stimmig und gut erzählt, ein überdurchschnittlicher Film, aber auch ein recht vorhersehbarer. Und er geht in seinen Fakten und Episoden auch eigentlich nie über die 40 Jahre alte preisgekrönte BBC-Miniserie von Barry Davis und Peter Prince zu Oppenheimer hinaus – dies (im Deutschen auf DVD unter "J.Robert Oppenheimer - Atomphysiker") ist die bisher gelungenste Darstellung des "Vaters der Atombombe".

Das größte Problem von "Oppenheimer" ist seine Unentschiedenheit. Der Film versucht alles zu erzählen, aber erzählt darum nichts richtig und gewichtet nicht genug, hakt davor allzu viel ab.

Er erklärt viel, aber an den entscheidenden Stellen nicht das Interessante: Wer denn Lewis Strauss eigentlich war, kann man nur ahnen; wir sollen ihn aber wichtig nehmen. Wer denn Vannevar Bush war, den Matthew Modine würdevoll verknöchert spielt, nämlich eine der interessantesten Figuren der US-Politik des 20. Jahrhunderts, muss man nicht wissen, aber wer Werner Heisenberg war, zu dem die oberflächliche Arroganz von Matthias Schweighöfer übrigens überraschend gut passt, das wird uns ja auch erklärt, obwohl der Mann keine Minute Leinwandzeit hat.

Wir erfahren nichts Neues zu Oppenheimers Frau Kitty, nichts Neues zu seiner kommunistischen Geliebten Jean Tatlock. Alles, was gezeigt wird, ist nur illustrativ. Zum Beispiel wird nie klar, warum er Kitty überhaupt plötzlich heiratet, und warum Jean zuvor seine Heiratsanträge mehrfach abgelehnt hat, möchte man schon auch gerne wissen.

Alles, was wir hier sehen, haben wir zum Teil in identischen Bilder und Abläufen (sie sind schließlich im Fall von Jean durch detaillierte FBI-Berichte beglaubigt) in der erwähnten BBC-Serie, aber auch in "Fat Man and Little Boy" von Roland Joffe bereits gesehen. Warum will sich hier Nolan nicht die Freiheit zur Erfindung nehmen, die er sich in zwei fiktiven Gesprächen zwischen Oppenheimer und Einstein jederzeit nimmt?

Vermutlich, weil ihn Oppenheimers Frauengeschichten und seine Ehe wenig interessieren. Man kann mit gutem Recht fragen, ob eigentlich die Ehe, die Liebesverhältnisse von Oppenheimer so interessant sind? Man könnte Ähnliches von mindestens einer Milliarde Ehemänner im 20. Jahrhundert auch erzählen.

Wenn Nolan sie aber erzählt, dann sollte er sich die Mühe machen, den Vorgängerfilmen etwas hinzuzufügen.

So erscheint "Oppenheimer" als ein Film, der sich mit den falschen Fragen zu lange befasst, mit persönlichen Intrigen, mit Verrat, mit persönlichem Beleidigt-sein, damit, wer, wem die Hand gibt und warum nicht.