"Oppenheimer": Atomkrieg am Horizont – und die ethischen Fragen
Seite 3: Outcast und Aktivist
Am Ende wird weder die oft einseitige Idealisierung der Person Oppenheimers infrage gestellt, noch wird der Mann richtig idealisiert.
Oppenheimer war im Zweifelsfall ein pragmatischer Realist, der zwar einerseits zeitlebens von sozialistischen Ideen angezogen war, aber nicht dumm oder begeistert genug, in die Partei einzutreten.
Der andererseits entgegen mancher heutigen Legende den Atombombeneinsatz auf Japan ohne Vorwarnung immer begrüßt hatte. Der vor allem aber die einmalige persönliche Chance sah, die ihm die Armee mit dem Leitungsposten von Los Alamos anbot – und ergriff.
Man könnte das Oppenheimer-Bild also etwas weniger vom konventionellen Genie-Gedanken leiten lassen – der auf der Leinwand recht cheesy mit Funken, Blitzen und elektrischen Spannungsentladungen illustriert wird – und auch die Frage stellen, wo der späte Oppenheimer, der ein Outcast war und ein Aktivist, in die Reihe jener Genies gehört, die im Alter das Werk ihrer Jugend zurückweisen und in Teilen zerstören. Er wäre nicht der Erste.
Der Oppenheimer, den Nolan uns zeigt, ist der Oppenheimer, den wir uns wünschen, den wir uns seit 80 Jahren zurecht gebastelt haben. Aber ist er auch der wirkliche Oppenheimer? Irgendwann läuft das auf das sentimentale Klischee hinaus, dass da ein Zauberlehrling ist, der die Geister, die er rief, nicht mehr loswird.
Kein Nolan-Film
Wie erzählt man von dem Einsatz der Atombombe? Obwohl der Film vom historischen Moment und der wissenschaftlich-technischen Leistung spürbar fasziniert ist, und diese Faszination auf die Zuschauer zu übertragen versucht, sehen wir keine Bilder von Hiroshima. Das kann man hier auch machen, aber vielleicht sollte man auf eine andere Weise deutlich und nicht nur verschämt en passent zum Ausdruck bringen: Da war noch was.
Die Figur in jedem Fall passt zu den zerrissenen Hauptfiguren vieler Nolan-Filme. Aus dieser Feststellung folgt aber nichts.
Gemessen daran, was man von Regisseur Christopher Nolan, einem der großen originellen Künstler des Gegenwartskinos, eigentlich erwarten muss, bleibt dieser Film überaus unbefriedigend. Zum ersten Mal in einem Nolan-Film fehlt die für Nolan typische verschachtelte Erzählweise.
Auf hohem Niveau enttäuscht der Film: Dies ist ein gutes, aber konventionelles Biopic über Oppenheimer, kein Nolan-Film. Er entscheidet sich nicht für bestimmte Zugänge, sondern arbeitet seine Themen brav ab, ohne neue Themen zu setzen.
Der Ausgang ist bekannt
Schließlich bleibt das Problem natürlich, dass reale Geschichte selbst unglaublich spannend ist. Was will Fiktion hier hinzufügen? Es müsst schon etwas Fiktionales sein, oder etwas Formales, jedenfalls Ästhetik.
Zudem ist der Ausgang bekannt. Nur wer überhaupt nichts weiß, wird von dem, was er im Film sieht, wirklich überrascht sein. Wer aber überhaupt nichts weiß, wird sich in diesem Film aus anderen Gründen nicht zurechtfinden.