Ostbeauftragter der Bundesregierung: Anwalt oder Richter?
Auch in Westdeutschland gibt es "abgehängte" Regionen. Allerdings ist die strukturelle Benachteiligung Ostdeutscher gut belegt. Über ein Amt, das hinterfragt werden sollte.
Ostbeauftragte der Bundesregierung sind bisher nicht selten durch die Problematisierung von Ostdeutschen aufgefallen. Der aktuelle Amtsinhaber Carsten Schneider (SPD) erinnerte zum diesjährigen "Tag der Deutschen Einheit" an den eher versöhnlich klingenden Vorschlag, zur Angleichung der Vermögensverhältnisse in Ost und West ein "Grunderbe" von 20.000 Euro für alle 18-Jährigen einzuführen, das aus einer höheren Erbschaftssteuer finanziert werden könnte.
Anwalt oder Richter, diese Frage drängte sich bei Äußerungen von Ostbeauftragten immer wieder auf. Gerichtet hat Schneiders Vorgänger über viele seiner Landsleute zumindest moralisch: "Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach 30 Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind", sagte der damalige Ostbeauftragte Marco Wanderwitz im Mai 2021 dem "F.A.Z.-Podcast für Deutschland".
Auf Nachfrage der Nachrichtenagentur dpa sagte der gebürtige Sachse und CDU-Politiker kurz darauf, viele Ostdeutsche hegten eine "vertiefte Grundskepsis" gegenüber der Politik und der Demokratie. Es ist wohl das, was Anja Reich von der Berliner Zeitung den "Zooblick" nennt, den auch einzelne Ostdeutsche teilen, denen es gelingt, in der Politik oder bei großen Medien Karriere zu machen.
Das Amt war schon in verschiedenen Ministerien angesiedelt
Die Konfusion darüber, was eigentlich die Hauptaufgabe des jeweiligen Ostbeauftragten ist, kommt nicht von ungefähr: Das 1998 geschaffene Amt, das zunächst "Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Länder" hieß, war ursprünglich im Bundeskanzleramt, zeitweise aber auch im Bundesinnenministerium angesiedelt. Letzteres ist unter anderem für die Bekämpfung von politischem Extremismus zuständig.
2013 wurde es ins Bundesministerium für Wirtschaft und Energie verlagert, was einen ganz anderen Schwerpunkt in der Aufgabenstellung nahelegt, nämlich den sogenannten "Aufbau Ost", die wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Angleichung der Lebensverhältnisse.
Seit 2021 Schneider dieses Amt übernahm, ist es wieder im Bundeskanzleramt angesiedelt. Auf der Homepage des Staatsministers ist unter "Aufgaben des Ostbeauftragten" unter anderem zu lesen, dass es "mehr Wachstum" in Ostdeutschland geben soll, dass Erfahrungen von Ostdeutschen genutzt und mehr von ihnen in Führungspositionen kommen sollen. Quoten oder Richtwerte werden hier nicht genannt.
Nötig sei "eine vorausschauende Struktur- und Industriepolitik, die Verbindung der Wachstumsregionen mit den ländlichen Regionen sowie eine kluge Infrastruktur-, Innovations-, Wohnungs- und Arbeitsmarktpolitik".
All dies ist natürlich bundesweit nötig – auch in Westdeutschland gibt es "abgehängte" Regionen, aus denen junge Menschen wegziehen, wenn sie können. Unter der Überschrift "Warum der Westen dem Osten immer ähnlicher wird" beschrieb das Manager Magazin diese Verwerfungen 33 Jahre nach dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik:
Der demografische Abwärtstrend springt großflächig auf Westdeutschland über. Während dort die Zahl der Haushalte in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter stieg, geht es nun in die entgegengesetzte Richtung. Von Schrumpfung werden insbesondere Südniedersachsen, Nordhessen, das Saarland, Hinterpfalz und Oberpfalz sowie Teile Nordrhein-Westfalens betroffen sein. (…)
Gesamtdeutschland macht nun die Erfahrung einer schrumpfenden Bevölkerung bei gleichzeitigen Strukturproblemen – allerdings ohne, dass Transferzahlungen von anderswoher zur Verfügung stünden, wie das in der Ex-DDR ab 1990 der Fall war.
Manager Magazin, 1. Oktober 2023
Insofern wäre vielleicht ein Stadt-Land-Beauftragter oder Beauftragter gegen Strukturschwäche nötig – oder noch besser: ein ganzheitlicher Lösungsansatz, den die Bundesregierung aber nicht bieten kann und will, weil das aktuelle Wirtschaftssystem gar nicht vorsieht, dass alle Menschen in etwa die gleiche Lebensqualität haben.
Strukturelle Benachteilugung von Ostdeutschen ist belegbar
Davon abgesehen ist aber eine strukturelle Benachteiligung von Ostdeutschen nicht nur ein Bauchgefühl, sondern zahlenmäßig belegbar. Die Frage, ob es für sie eine Art Gleichstellungsbeauftragten braucht, der seine Aufgabe tatsächlich in erster Linie so definiert, sollte nicht von Westdeutschen nicht leichtfertig verneint werden.
Ein Bericht zur Einkommenssituation im vergangenen Jahr zeigt, dass Ostdeutsche 2022 brutto im Schnitt rund 13.000 Euro weniger verdienten als Westdeutsche. Im Westen lag das jährliche Bruttogehalt im Durchschnitt bei 58.085 Euro, im Osten bei 45.070 Euro. Die Differenz fiel damit größer aus als im Vorjahr.
Hinzu kommt, dass es nach wie vor kaum Ostdeutsche in Spitzenpositionen gibt: Forschende zählen im "Elitenmonitor" einige Tausend Menschen zur Elite Deutschlands – gemeint sind Personen mit wirtschaftlicher und politischer Macht – nicht nur solche, die gewählt werden, sondern auch Konzernchefs und Spitzenpersonal in Behörden und großen Medien. Überall sind Westdeutsche überproportional vertreten
Der Anteil gebürtiger Ostdeutscher an der Gesamtbevölkerung beträgt rund 20 Prozent, in den Eliten aber nur 12,2 Prozent. Nur in der Politik sind sie demnach angemessen repräsentiert. Im Bereich Verwaltung finden sich nur 14 Prozent Ostdeutsche in Spitzenpositionen. In den Medien sind es sogar jeweils nur rund acht Prozent, in der Wissenschaft 4,3 Prozent.
Das durchschnittliche Vermögen eines Haushalts im Osten beträgt 43.000 Euro, im Westen mit 128.000 Euro das Dreifache – durch Einbeziehung Superreicher darf hier "Durchschnitt" allerdings nicht mit "Masse der Bevölkerung" verwechselt werden.
Die Wohneigentumsquote liegt im Osten zwar ohnehin unter der in Westdeutschland; aber wer noch ein Eigenheim hat, muss im Osten bei notwendigen oder vorgeschriebenen Modernisierungen oft knapper kalkulieren. Insofern barg hier auch die Debatte um das Heizungsgesetz noch einmal mehr sozialen Sprengstoff – auch solchen, der von rechts instrumentalisiert werden kann.
Wenn viele Ostdeutsche sich als "Bürger zweiter Klasse" fühlen, kann das auch dazu führen, dass manche von ihnen angesichts von Migrationsbewegungen meinen, "um den symbolischen zweiten Platz kämpfen zu müssen", wie die Soziologin Naika Foroutan schon seit Jahren feststellt.
Wer den Rechtsruck, der sich nicht nur, aber gerade im Osten beschleunigt vollzieht, auf intelligente Weise bekämpfen will, muss solche Hintergründe zur Kenntnis nehmen.