Osteuropäischer Sonderweg im Ukraine-Konflikt
Drei Superstrategen auf Besuch in Kiew: Polen zündelt weiter, Brüssel reagiert not amused
Der Ukraine Krieg ist nicht zuletzt ein Krieg der Bilder. Und die Bilder, die gestern produziert wurden, dürften den vier angereisten Herren und ihrem Gastgeber vor allem innenpolitisch nützen.
Mit einem Sonderzug fuhren die Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien Mateusz Morawiecki, Petr Fiala und Janez Janša gestern für ein paar Stunden ins Kriegsgebiet, begleitet vom polnischen Vize-Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski. Am Abend postete Morawiecki auf Twitter Bilder, die alle zu viert im Freizeitlook an einem Tisch zeigten, wo sie sich gemeinsam über eine Karte der Ukraine beugten.
Der Ukraine Krieg ist auch ein Krieg der Worte. So twitterte Fiala kurz darauf: "Ziel ist es, die eindeutige Unterstützung der Europäischen Union für die Ukraine und ihre Freiheit und Unabhängigkeit zum Ausdruck zu bringen." Eine Irreführung: Denn die Unterstützung der EU für die Ukraine ist zurzeit durchaus eingeschränkt. Und das ist auch gut so.
Später dann forderte der polnische Regierungschef dann vor Ort noch eine Nato-"Friedensmission", ein unverhohlener Euphemismus für einen aktiven Kriegseinsatz des Verteidigungsbündnisses.
Politischer Sonderweg
Die Kiew-Reise war eine in jeder Hinsicht sehr ungewöhnliche Initiative. Vordergründig hatten die drei Regierungschefs ihren Trip vergangene Woche auf dem Gipfel in Versailles angekündigt und mit den Kollegen der übrigen EU-Staaten abgesprochen.
Tatsächlich aber handelt es sich um einen politischen Sonderweg. Denn Morawiecki und Co haben keinen offiziellen Auftrag bekommen. Und dass sie ausgerechnet in dieser Situation nach Kiew reisen, ist aus vielen Gründen keineswegs ein "mutiges Husarenstück" (wie es beispielsweise im ZDF kommentiert wurde), sondern ein Torpedo gegen die politische Position der EU. Denn was wäre eigentlich geschehen, wenn einer der Regierungschefs durch russische Waffen oder gar durch friendly fire der Ukraine getötet worden wäre?
Die gestrige Reise hat die EU-Führung in Brüssel kalt erwischt. So verlautete aus Brüssel auf Nachfrage eigentlich nur lauwarm, man begrüße jede Unterstützung der Ukraine. Im Diplomaten-Sprech heißt das so viel wie: "Was wollt ihr Vollidioten? Das entspricht nicht unserer Position und bringt doch sowieso nichts."
Außerdem gibt es deutliche Zweifel daran, dass die vier Osteuropäer, die jetzt als glühende Unterstützer der Ukraine auftreten, tatsächlich in den Gesprächen die offizielle Linie der EU vertreten und nicht vielmehr gemeinsam mit Selenskyj daran arbeiten, die Europäische Union in den Krieg hineinzuziehen.
Rechtspopulismus, Nationalismus und Russophobie
Es wäre auch recht naiv zu glauben, dass die Zugfahrt der drei aus vollkommen uneigennützigen Motiven erfolgt. Alle vier Reisegefährten teilen rechtskonservative bis rechtspopulistische und nationalistische Grundhaltungen. Neben diesem ideologischen Korsett und erkennbarem Eigennutz, spielte auch die allbekannte Russophobie der drei osteuropäischen Staaten bzw. ihrer Wählerschichten die Hauptrolle in dieser Reise.
Die große Solidarität der Osteuropäer mit der Ukraine liegt vor allem darin begründet, dass die Ukraine gegen die Russen kämpft. Die EU hätte sich lange Zeit gegenüber Russland zu nachsichtig und entgegenkommend verhalten, zitierte dpa den Politikwissenschaftler Josef Mlejnek von der Karls-Universität in Prag: "Der östliche Flügel der EU sollte den westlichen zu einer stärkeren - auch militärischen - Unterstützung der Ukraine drängen."
Besonders Polen, die treibende Kraft der Reise, gefällt sich auch in diesem Fall einmal mehr als Führer eines Sonderwegs: Denn ein Nato-Einsatz, auch wenn er noch so deutlich als "Friedensmission" etikettiert wäre, könnte das Verteidigungsbündnis schnell in einen direkten Konflikt mit Moskau hineinziehen. "Hier, im kriegszerstörten Kiew, wird Geschichte geschrieben", schrieb Morawiecki.
Erst letzte Woche brachte die polnische Regierung die Nato mit ihrem Alleingang in die größte Verlegenheit seit Ausbruch des militärischen Konflikts in der Ukraine, indem sie ohne Konsultation der deutschen Bundesregierung und der USA die Lieferung polnischer MIG-Kampfjets in die Ukraine beschloss, zugleich aber zu feige war, diese direkt zu liefern und hierzu den Umweg über die US-Airbase im pfälzischen Rammstein nutzen wollte.
Damit hätte Polen gleich drei Nato-Staaten in den Vorgang involviert – was die USA zu einem so prompten wie offenen Dementi zwang.
Selenskyjs Ziel, EU und Nato in den Konflikt hineinzuziehen
Die Reise auf eigene Rechnung ist nur das neueste Indiz dafür, wie sich in der vermeintlich geschlossenen Koalition des Westens immer mehr Risse zeigen. Es wird noch einige Wochen dauern, doch dann wird diese Koalition in verschiedene Einzelteile zerbröseln.
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat den drei Regierungschefs nicht weiter überraschend für ihren Besuch gedankt. In einem Video, das Selenskyj auf Facebook veröffentlichte, sprach er von einem "starken Zeichen".
Mithilfe der leichtfertigen Aktion der drei osteuropäischen Regierungschefs ist Selenskyj seinem Ziel, die EU und die Nato in diesen Konflikt hineinzuziehen, wieder ein Stück nähergekommen.
"Medienbeobachtung" - unter diesem Reihentitel erscheinen hier in loser Folge Notizen aus der Welt der Medien, aktuelle Beobachtungen, Analysen und Kritiken von Rüdiger Suchsland. Eine Art "Die letzten Tage von Pompeji - Seelenruhe in der Informationsgesellschaft".