Pakistan: Atommacht im Teufelskreis existenzieller Probleme
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Läuft Hoffnungsträger Imran Khan ins Abseits?
Die Sehnsucht der Menschen Pakistans nach einer Lichtgestalt ist nur allzu verständlich. Seit dem Scheitern des demokratischen Experiments unter Zulfiqar Bhutto vor über 40 Jahren ist für die große Masse der Bevölkerung Politik eine einzige Enttäuschung.
Jede neue Regierung, ob zivil oder militärisch, begann mit großen Versprechungen und endete schmählich, durch Korruptionsskandale, Amtsenthebung oder politische Gewalt. Von den Ankündigungen des Staatsgründers Mohammad Ali Jinnah erfüllte sich keine einzige. Nun verkörpert Imran Khan die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Allerdings ist er alles andere als ein unbeschriebenes Blatt und blickt stattdessen auf 25 Jahre Politkarriere zurück.
Er ist seinen eigenen Weg durch die Institutionen gegangen, bis er 2018 Premier wurde. Manches in dieser Zeit lässt bezweifeln, ob er so anders ist wie alle gescheiterten Vorgänger. Seine ehrliche Absicht steht außer Zweifel und sein sauberes Image ist echt - wenn er auch nicht für jeden seiner Anhänger bürgen kann. Doch ob allein das genügt, um den entgleisten Zug Pakistan wieder in die Spur zu bringen, war von Anfang an umstritten.
Bescheidene Anfänge
Imran Khans Ruhm ist unantastbar - im Sport. Das Einzige, auf was alle Pakistanis ungeteilt und ohne faden Beigeschmack stolz sind, ist der Gewinn der Weltmeisterschaft in der Nationalsportart Cricket 1992. Imran Khan, einer der besten Cricketspieler in der Geschichte dieses Sports, war der Kapitän dieser Mannschaft. Nach dem Ende seiner Sportkarriere wandte er sich zunächst philanthropischen Projekten zu und sorgte vor allem durch seine Heirat mit Jemima Goldsmith für Aufsehen.
Die britische Milliardärstochter war vor ihrer Konversion zum Islam jüdischen Glaubens gewesen, was im Land für Aufsehen sorgte, obwohl es in Pakistan weder Juden noch Antisemitismus gibt. Als Khan 1996 die Partei Pakistan Tehreek-e Insaf (Pakistan Bewegung der Gerechtigkeit, PTI) gründete, deren Vorsitzender er seither ohne Unterbrechung ist, und seine politische Laufbahn begann, wurde er von seinen Konkurrenten zunächst rundum belächelt und bemitleidet.
Keine regionale Basis als Hausmacht - Khans Heimatprovinz Punjab war und bleibt das Revier der Sharif Brüder; zu wenig vernetzt mit den Eliten, weil bis dahin mehr in Europa und USA; und zwar reich, aber bei Weitem nicht reich genug, um wirklich bei Wahlen einen Eindruck zu hinterlassen. Dazu keine neuen Ideen, außer das alles anders und besser werden sollte.
Seine Frömmigkeit wurde tatsächlich von manchen wegen seiner Frau in Frage gestellt. Zu Beginn stieg Khan fast bis zur Witzfigur herab, trotz seines Prestiges als nationaler Sportheld. Wenig halfen dabei viele unüberlegte Aussagen und Forderungen, die er fast alle zurücknehmen musste. Eine klare Linie war nicht erkennbar. Eingeordnet wurde er unter dem nichtssagenden Etikett "Populist", sein Konservatismus brachte ihm zeitweise den Spitznamen "Taliban Khan" ein.
Der langsame Aufstieg
Khans Aufstieg ist vor allem der Niedergang aller Konkurrenten, am Ende war nur noch er übrig, mit relativ weißer Weste. Die Armee hat sich nach dem katastrophalen Ende der Ära Musharraf (1999-2008), dem vierten und bisher letzten Militärherrscher, vermutlich endlich von der Idee verabschiedet, das Land direkt zu regieren (wobei die letzten Ereignisse in Myanmar zeigen, dass manche Militärinstitutionen in Südasien unbelehrbar sind).
Sie bleibt jedoch die letzte und entscheidende Instanz, obwohl dieser Umstand nirgends in der Verfassung steht. Armee und Zivilpolitik haben einen Modus Operandi gefunden, der es der Armee ermöglicht, ihre Interessen, die sie als Staatsinteressen sieht, durchzusetzen. Besonders mit Nawaz Sharif gab es erhebliche Probleme, doch diese konnten gelöst werden.
Als nächstes deklassierte die Pakistan People's Party (PPP) sich selbst. Die Partei Zulfiqar und Benazir Bhuttos kam 2008 mit den Wahlen nach Musharraf an die Macht, unter der formalen Leitung des jungen Bilawal Bhutto, aber in Wahrheit geführt von seinem allseits (selbst innerhalb der PPP) verachteten Vater Asif Ali Zardari, der Präsident des Landes wurde.
Zwar gelang es zum ersten Mal überhaupt einer Partei, die gesamte Legislaturperiode von Wahl zu Wahl zu überstehen, doch fünf Jahre PPP Herrschaft waren von Korruption und Inkompetenz gekennzeichnet, die selbst in Pakistan noch für Aufsehen sorgten. Seitdem ist die PPP nur noch eine Regionalpartei in Sindh. Die Armee wird den Wahlen von 2013 mit Unbehagen entgegengesehen haben. Die PPP, mit der man gut kooperiert hatte, war erledigt, die PTI zu unbedeutend und deren Chef Khan zu selbstherrlich und unabhängig.
Siegen würden nach dem PPP Desaster die Brüder Nawaz und Shahbaz Sharif, und diese schwerreichen Industriellen aus dem Punjab waren keine Freunde der Militärs. Nawaz Sharif war indirekt 1993 und direkt 1999 von der Armee seines Postens als Premier enthoben worden, seinen zweiten Sturz überlebte er nur dank der direkten Intervention des saudischen Königshauses bei General Musharraf.
Das hatte Sharif der Institution Armee nicht vergessen, auch wenn Musharraf nun selbst diskreditiert im Exil lebte. Dass die Sharif Brüder mit dem Status Quo unzufrieden waren und das Militär generell für ungeeignet hielten, das Land zu führen, war ein offenes Geheimnis. Die direkte Konfrontation vermieden sie, doch sie versuchten, den Einfluss der Armee langsam zurückzudrängen.
Die Panama Papers
Nawaz Sharif war 1999 der Versuch, das Verhältnis zu Indien zu normalisieren, zum Verhängnis geworden. Der Geschäftsmann wusste, wie schädlich und teuer der Konflikt um Kaschmir war und was der gegenseitige Totalboykott vor allem für sein Land für finanzielle und politische Konsequenzen hatte. Was war der zunehmende Handel mit China im Vergleich zu dem, was mit Indien alles nicht gehandelt wurde?
In Pakistan profitierte außer der Armee niemand von diesem unnatürlichen Verhältnis. Sharif stürzte über die Panama (Mossack&Fonseca) Papers. Die Armee war nicht verantwortlich für diesen Skandal, aber als sie ihren Gegner in Bedrängnis sah, sorgte sie für den Coup de Grâce. Die Untersuchungskommission, die dem Obersten Gericht die (nun schon dritte) Amtsenthebung Sharifs empfahl und ihm für den Rest des Lebens die Bekleidung öffentlicher Ämter verbot, war so mit Militärgeheimdienstleuten besetzt, dass am Ausgang kein Zweifel war.
Natürlich bestand an der Schuld von Nawaz Sharif, genauer gesagt an der seiner Kinder, kein Zweifel. Aber etwas besonders Verwerfliches - im Landeskontext - war nicht ihnen vorzuwerfen. Unterschlagung, Falschangabe von Privatvermögen, Korruption, Kapitalflucht sind selbst heute noch gang und gäbe. An Sharif wurde kein Exempel statuiert. Es begann auch keine neue Ära der Rechtschaffenheit. Sondern ein alter Widersacher der Armee wurde samt dem Großteil seiner Sippe endgültig (soweit es das in Pakistan gibt) aus dem Verkehr gezogen.
Feindschaft zwischen den Sharifs und Imran Khan
Es ist nicht klar, warum Imran Khan mit keinem anderen Rivalen so aneinandergeriet wie mit den Sharifs. Spätestens ab 2011 kann man von einer persönlichen Feindschaft sprechen, die deutlich über politische Rivalität hinausging, selbst in Pakistan, wo mit härtesten Bandagen Politik betrieben wird. Natürlich musste Khan den Punjab gewinnen, das Revier der Sharifs, um ganz oben anzukommen und verabscheute deren Korruption, aber das war eben nicht deren besonderes Stigma, sondern betraf die gesamte politische Klasse (und Bürokratie und Armee, jeden Bereich des Staates und der Wirtschaft) mit der Ausnahme seiner selbst.
Nach den Wahlen 2013 warf Khan Nawaz Sharif Wahlbetrug vor und versuchte mit einer mehrmonatigen Blockade Islamabads zusammen mit dem eingeflogenen Prediger Tahir-ul Qaderi Sharif zum Abdanken zu zwingen.
Kurz darauf begann das lange Gezerre um die Panama Papers, währenddessen Nawaz Sharif und seine Familie wie noch keine mächtige Familie zuvor bloßgestellt wurden. Natürlich forcierte Khan diesen Prozess mit all seinen Mitteln, es ging nicht nur darum, Nawaz ein für alle Mal aus der Arena zu räumen, sondern auch dessen Verwandte und deren ganze Partei, die Pakistan Muslim League (Nawaz), PML-N.
Die Kampagne zeigte Wirkung, am Ende waren die Sharifs und ihre Partei selbst bei vielen ihren treuen Anhänger völlig diskreditiert. Vor den Wahlen 2018 war Khan die letzte Hoffnung für viele und sein berechtigtes sauberes Image das entscheidende Merkmal, das ihn von allen Konkurrenten unterschied.
Das Land sehnte sich nach einem Neuanfang, einem unbelasteten Führer. Bei der Wahl, der dritten in Folge, die in einem normalen verfassungsrechtlichen Rahmen abgehalten wurde, errang Khans PTI ihren bisher größten Sieg und wurde stärkste Partei. Zusammen mit ihren Verbündeten kam sie auf 176 von 342 Stimmen in der National Assembly.
Am 17. August 2018 wurde Imran Khan zum 22.Premierminister der Islamischen Republik Pakistan gewählt, damit mussten sich PPP, PML(N) und Armee zurechtkommen. Am besten hat sich Khan mit der Armee arrangiert - man versteht sich, sie hat ihre "legitimen" Interessen (Staat und Sicherheit betreffend), ihren festen, inoffiziellen Platz hinter den Kulissen und sich quasi damit abgefunden, nicht mehr direkt zu regieren.
Der kurze Konflikt mit Indien im Frühjahr 2019, immerhin die schwerste Konfrontation seit 1971, brachte Khan und die Generäle einander näher.