Pakistan: Fanatiker halten ein Land in Geiselhaft
Die Regierung hat nach dem Freispruch von Asia Bibi den Forderungen religiöser Extremisten nachgegeben
Bei den Demonstrationen von Islamisten in Pakistan gegen die Freilassung der Christin Asia Bibi waren letzte Woche in Islamabad und einer Handvoll anderer Städte jeweils "nur" ein paar Tausend Fanatiker auf den Straßen. Doch es waren jeweils ein paar Tausend ganz spezielle Fanatiker, die eine Drohung vor sich her tragen: Das Land mit einem Bombenteppich zu überziehen.
Im November 2017 hatte sich die Armee geweigert, eine Blockade von ein paar Tausend Islamisten aufzulösen. Dazu gab es auch Bilder von Armeeangehörigen, die Geld an die Fanatiker verteilten, die drei Wochen die Hauptstadt des Landes in Geiselhaft gehalten hatten: So blieb der damaligen Sharif Regierung nichts anderes übrig, als die Forderung einer radikalen Minderheit zu erfüllen.
Das Gleiche passierte auch am Samstag: Die Regierung von Imran Khan gab den Forderungen der Extremisten nach. So wurde Asia Bibi untersagt, das Land zu verlassen. Dazu ließ die Regierung eine Revision gegen den Freispruch der Christin zu. Auch wurden alle festgenommenen Randalierer freigelassen. Der Anwalt von Asia Bibi, dessen Mandantin 9 Jahre in Untersuchungshaft saß, hat Pakistan nach Morddrohungen verlassen. Und gegen die Obersten Richter, die Bibi freigesprochen haben, sind unzählige Morddrohungen ausgesprochen worden.
Noch am Freitag hatte Imran Khan erklärt, dass er sich dem Druck der "Demonstranten" nicht beugen wird. Dann gab es gleich ein weiteres Zeichen für Khan, wer in Pakistan das Sagen hat, als am selben Tag der sogenannte Vater der Taliban, der 82-jährige Prediger Maulana Samiul Haq, in Karatschi ermordet wurde. Imran Khan hatte Samiul Haq ausgewählt, um die Religionsschulen mit Reformen moderater zu gestalten und Einfluss über die Religiösen zu gewinnen. Die gutgeölte pakistanische Gerüchteküche verbreitete schnell die üblichen Nachrichten, dass ausländische Mächte hinter dem Attentat stehen - womit Indien und Israel gemeint sind. Es könnte aber auch die pakistanische Armee gewesen sein.
Ab 1979 benutzten die USA den Islam, um die Sowjetarmee in Afghanistan zu besiegen. Daraus entstanden die Taliban und al-Qaida. In Pakistan gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Armee mit religiösen Fanatikern ein Zweckbündnis eingegangen ist: Bildet sich in der Bevölkerung ziviler Widerstand, wird er als unislamisch gegeißelt - und die Islamisten haben ihren Einsatz, so wie aktuell: Viele Menschen in Pakistan sind für die Abschaffung des Blasphemiegesetzes, doch Dank der Islamisten traut sich kaum jemand, dies öffentlich zu äußern. Dazu sollen Generäle, die kein Interesse an einer Entschärfung des Kaschmirkonflikts mit Indien haben, Islamisten in den indischen Teil Kaschmirs einschleusen, die bereit sind, dort ihr Leben zu opfern.
Ihre religiösen Führer bleiben dagegen mit den Beinen lieber auf der Erde, wie unter anderem der Fall des Predigers Abdul Aziz Ghazi zeigte. Beim Sturm auf die rote Moschee 2007 in Islamabad, versuchte er unter einer Burka versteckt den Soldaten zu entkommen, während 84 seiner Jünger den "Märtyrertod" starben. Zwei Jahre später wurde Ghazi freigelassen. Heute ruft er in der gleichen Moschee wieder zum Jihad gegen Andersdenkende auf.
Allerdings kommt es auch öfter zu Anschlägen auf Soldaten und Geheimdienstler. Das bekannteste Beispiel dafür ist der Anschlag der Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP) auf die Army Public Schule im Jahr 2014 in Peschawar - 141 Schüler wurden ermordet, darunter viele Kinder von Armeeangehörigen. Dieser Anschlag war die Antwort der Extremisten auf den Einmarsch der pakistanischen Armee im Juni 2014 in Nordwaziristan, eine der Hochburgen der TTP.
Doch obwohl die Armee und die pakistanischen Taliban offiziell miteinander verfeindet sind, lebte der ehemalige TTP-Chef Hakimullah Mehsud in Nordwaziristan in einem 120.000 US-Dollar teuren Farmhaus nur einen Kilometer vom Hauptquartier der pakistanischen Armee entfernt, bis ihn im November 2013 die Rakete einer amerikanischen Drohne traf.
Nach dem Peschawar-Massaker presste die Armee der Zivilregierung eigene Schnellgerichte und Anti-Terrorgesetze ab, damit sie besser gegen die Islamisten vorgehen kann. Diese Terrorgesetze setzte die Armee dann gegen Aktivisten wie Baba Jan ein, der sich für die Rechte der Menschen in Gilgit Baltistan einsetze, welche bis heute vor dem Gesetz Menschen zweiter Klasse sind.
Pakistan hat aber auch noch andere schwere Probleme: Der staatsbedrohende Wassermangel hat sich durch den Monsun nur eine kleine Auszeit genommen, doch schon jetzt ist der Mangla-Damm nur zu 40 Prozent gefüllt. Dabei hat die Herbstsaison des größten Wasserfressers, der Landwirtschaft, erst begonnen. Spätestens ab Januar wird es wieder in allen Bereichen des Landes zu schweren Wasserengpässen kommen. Hinzu kommt ein Bevölkerungswachstum von 700 Prozent in 70 Jahren, ohne dass in die Infrastruktur investiert wurde.
Die ausländischen Investitionen in Pakistan sind im letzten Jahr um weitere 42 Prozent zurückgegangen - sie betragen jetzt nicht einmal eine halbe Milliarde US-Dollar. Selbst China, der letzte Freund Pakistans, hat seine Investitionen rigoros zurückgefahren. Und die Umweltzerstörungen und die Luftverschmutzung können es schon jetzt locker mit dem wirtschaftlich aufstrebenden Nachbarn Indien aufnehmen - dabei fängt Pakistan gerade erst an, auf die Kohle als Energielieferer Nummer Eins zu setzen.
Imran Khan ist der erste Ministerpräsident des Landes, der all diese Probleme in seiner Antrittsrede angesprochen hat. Er weiß, dass er sich nicht offen gegen die Armee und die islamischen Fanatiker stellen kann, aber auch, dass die Generäle das Land zugrunde richten. Sie ist Dank korrupter Seilschaften das größte Wirtschaftsunternehmen des Landes, dazu der größte Grundstücksbesitzer (vgl. Die Armee bestiehlt das Land).
Khan wird deshalb wahrscheinlich versuchen, wichtige Generäle auf seine Seite zu bekommen. Er ist kein normaler pakistanischer Politiker, der das höchste Amt des Landes zur Geldvermehrung der eigenen Familie erkämpfte. Noch vor wenigen Jahren trieb die Kaffeehaus-Intelligenz in Islamabad ihre Witze über den ehemaligen Kricket-Star. Aber eine Mischung aus Ego, eigentümlicher "moderner" Islamauslegung, Gerechtigkeitssinn, Naivität und ein wenig Streben nach geschichtlicher Unsterblichkeit machen den Mann zu einem unberechenbaren Gegner.