Pakistan: Trübe Aussichten im Land der Reinen

Seite 3: Die Verantwortung der Armee

In dieser Litanei muss eine Institution hervorgehoben werden: Die Armee. Sie sieht sich als Garant der Staatsexistenz überhaupt, nicht nur als Landesverteidigung. Sie hat äußere und seit 2001 zunehmend innere Feinde im Visier.

Außer ein paar radikalen Randgruppen vertritt nur noch sie die Jinnah-Ideologie, die zur Dauerkonfrontation mit Indien führt (zur Verteidigung Jinnahs muss erwähnt werden, dass er sein Land nicht im natürlichen Gegensatz zu Indien sah). Hauptsächlich wegen ihr kann Pakistan kein "normales", ideologiefreies Land werden, das mit seinen Nachbarn Kompromisse aushandelt.

Die Feindschaft zu Indien und Afghanistan rechtfertigt ihren Zugriff auf einen völlig überzogenen Anteil an den Ressourcen des Landes. Seit Staatsgründung ist sie mitverantwortlich für die viel zu langsame Entwicklung zur modernen Gesellschaft und den stockenden, nach wie vor in den Kinderschuhen steckenden politischen Prozess.

Der Al-Zarrar-Panzer, das Rückgrat der pakistanischen Armee. Bild: Raza0007 / CC-BY-SA-3.0

Sie trägt die Hauptschuld für die Abspaltung Bangladeschs 1971. Und trägt die größte Schuld an den bürgerkriegsähnlichen Zustände von 2006 bis 2016. Dieser Konflikt, der noch nicht beendet ist, findet zumeist in der von Paschtunen bewohnten Provinz Khyber-Pakhtunkhwa und in Balochistan statt.

Bisher forderte er über 60.000 Todesopfer und verursachte über sechs Millionen Inlandsflüchtlinge. Es ist ein Meisterstück der Propaganda und ein krasses Indiz der Hilflosigkeit der Bevölkerung, dass es tatsächlich gelingt, die Schuld an diesen Verbrechen auf diffuse äußere Feinde abzuwälzen.

Gleichzeitig werden unter ihrer Federführung Medien und andere kritische Stimmen im Inneren zum Schweigen gebracht, auf subtile oder brutale Art. Und trotzdem: Obwohl die Armee eines der Haupthindernisse auf dem Weg zur Modernisierung von Staat und Gesellschaft ist, wird sie für Jahrzehnte nicht wegzudenken sein. Niemand mag sich ausmalen was geschähe, wenn die Armee plötzlich fehlen würde. Mit dieser Furcht wird bewusst gearbeitet.

Eine bedenkliche Gemengelage

Pakistan hat Erfahrung im Umgang mit Krisen, im Prinzip schleppt sich das Land seit es besteht von einer zur nächsten. Sein Nieder- und Untergang ist oft prophezeit worden, doch bis jetzt gelang es ihm jedes Mal, sich am eigenen Schopf aus dem zumeist selber verursachten Schlamassel zu ziehen.

Die Menschen der unteren 80 Prozent sind zäh und ihre sozialen Strukturen - die Stämme, Netzwerke und ethnischen Gruppen - so belastbar wie wenig andere irgendwo sonst. Das ist vermutlich einer der Hauptgründe, warum so wenige Bürger erkennen können und wollen, auf was für ein Szenario man zusteuert. Zusätzlich sind auf den ersten Blick die gegenwärtigen Verhältnisse so gut wie lange nicht.

Imran Khan. Bild: U.S. federal government

Der blutige Bürgerkrieg ist bis auf wenige Ausnahmen in den abgelegenen Regionen von KPK und Balochistan beendet, in den Großstädten gibt es keine großen Anschläge. Durch die Corona-Krise kommt das Land aus bis jetzt nicht erforschten Gründen so gut wie wenige andere Nationen, und das obwohl die Regierung im Prinzip wie immer eigentlich nichts tut. Mit Imran Khan ist ein neues Gesicht an den Hebeln der Macht, das sich bis jetzt zumindest was Korruption angeht, wohltuend von seinen Vorgängern unterscheidet.

Die nächste Krise baut sich unspektakulär auf. Wassermangel wirkt subtiler als die Durchtalibanisierung der Gesellschaft. Die Lebensbedingungen in den Städten fordern mehr Opfer als bewaffnete Extremisten. Problematisch ist nun das, was die ganze Bevölkerung immer getan hat.

Von außen ist ein Eingreifen kaum mehr möglich. Die USA sind diskreditiert und wohl finanziell zu erschöpft, um sich noch einmal im großen Stil zu engagieren. China versucht mit großen Summen den Betrieb aufrecht zu halten und handelt wie immer unauffällig hinter den Kulissen. Jedoch auch nur mit begrenzten Erfolg, vom Allheilmittel CPEC wird nicht mehr viel erwartet.

Anderer Einfluss ist kontraproduktiv, vor allem der Saudi Arabiens. Es kämpft ebenfalls mit Bevölkerungszuwachs, Tribalismus und Extremismus, hat dazu aber viel mehr Mittel zu Verfügung. Andererseits propagiert es noch immer seine regressive Version von Islam in der muslimischen Welt und verschafft sich mit seinen Ölmilliarden besonders in den armen Ländern wie Pakistan Gehör.

Wiederum arbeiten Millionen Pakistani in Saudi Arabien und den VAE und bringen nach Jahren der Beeinflussung die dortigen Werte mit nach Hause. Lange wird die Beziehung nicht mehr gut gehen, weil Saudi Arabien das Geld fehlen wird, um seinen treuesten Vasallen mitzuziehen.

Die nächsten zwanzig, dreißig Jahre werden spannend in Pakistan. Der interne Konkurrenzkampf, der jetzt schon mit allen Mitteln geführt wird, wird sich nochmal verschärfen. Die Netzwerke können das aushalten, diesen Zustand sind sie gewöhnt. Nur stößt eben das Land und seine Gesellschaft an Grenzen, die nicht mehr zu überwinden sind.

Zum ersten Mal in einem dreiviertel Jahrhundert wird sich manches grundlegend ändern müssen. Fraglich ist, ob die Elite und Armee dazu bereit sind. Bei der vorhandenen Gewaltbereitschaft auf allen Seiten und dem Ausmaß der Konflikte um elementarste Bedürfnisse kann man sich eine friedliche Lösung nur schwerlich vorstellen. Und die Probleme mit Indien und Afghanistan sind hier noch nicht einmal mit einberechnet.