Palästinenser ohne Medien
Israel setzt einseitige Berichterstattung militärisch durch
"At 10:00 this morning (Tuesday - April 2, 2002) the Isareli army struck our home in Bethlehem and at 10:30 am my mother and brother died of the wounds they sustained from the strike. I took my wife and the children outside as well as my mother and brother. My mother and brother are among me and my family as we wait in the cold and rain for help."
So der Wortlaut der Email eines Palästinensers aus Bethlehem. Die palästinensische Autonomiestadt befindet sich seit Dienstag nun ebenfalls unter israelischer Belagerung. Andere Städte wie Ramallah, Dschenin, Tulkarem, Nablus und Kalkiliya sind von der Armee teilweise schon zuvor wiederbesetzt worden.
Emails wie diese kursieren derzeit zwischen den Mitgliedern der palästinensischen Information Technology Special Interest Group-Mailingliste (ITSIG). Der oben beschriebene Fall ist einer der wenigen, über den in den Medien überhaupt berichtet wurde. Die ITSIG-Teilnehmer verschicken Bitten um Hilfe bei der Nachforschung nach verschwundenen Angehörigen, deren Erschießung oder Verhaftung befürchtet wird, aber auch Ankündigungen wie die vom Mittwoch:
"I have just confirmed that the Israeli Military has taken over the main pumping station located in Betounia next to the Preventive Security Building that was heavily shelled 2 nights ago. They have turned off the pumps to ALL of Ramallah. Our water department does not know if any damage was done to the pump."
Nach Prüfung dieser Panikmeldung haben zwar "nur" die Menschen im Westteil der Stadt kein Wasser mehr, aber diese wissen nun wenigstens, dass sie sehr sparsam damit haushalten müssen. Nur dann wird der Inhalt des Wassertanks auf dem Dach einer vierköpfigen Familie etwa drei Tage reichen. Vielleicht gibt das israelische Militär bis dahin wieder Wasser frei.
Besetzte Medien
Eigene Informationsquellen stehen den Palästinensern kaum noch zur Verfügung. Die meisten der sechs Fernseh- und sechs Radiostationen wurden bereits kurz nach dem Beginn des Angriffs am Freitag geräumt. Mindestens in einem Fall haben die Soldaten die technischen Geräte zerstört. Am Dienstag ist nun auch Al-Quds Educational TV, eine Nichtregierungsorganisation, übernommen worden. Offenbar wählte die Armee das auf einem Hügel befindliche Gebäude aus militärstrategischen Erwägungen. Weite Teile der Stadt können von dort aus eingesehen werden. In einigen Räumen schlafen Soldaten, etwa zwanzig Panzer sind im Hof geparkt.
Seit Dienstag senden nun noch Al-Nasr-TV und Al-Scharq, wegen Personalmangels allerdings kaum eigenes Material. Die bei Al-Nasr seit Freitag im Studio verbliebenen Angestellten speisen vielmehr die Nachrichten der arabischen Satellitensender ins lokale UHF-Netz ein, das so auch von Bewohnern ohne Satellitenantenne empfangen werden kann. Am Dienstag nahm das zunächst geschlossene Al-Schark wieder den Betrieb auf, im Moment noch unbehindert.
Der seit Sonntag einzige verbliebene Radiosender Al-Manara schweigt seit Mittwoch ebenfalls. Israelische Soldaten drangen um 14.00 Uhr in die Studioräume ein und vertrieben den seit Freitag darin eingeschlossenen Techniker, der das Programm alleine bestritt. Im Gegensatz zu vielen anderen wurde er nicht verhaftet. Als er zwei Tage zuvor kontrolliert wurde, schützte ihn nach eigenen Angaben noch sein internationaler Presseausweis. So konnte er weiterhin - wie Al-Nasr-TV - wenigstens das Programm der arabischen Satellitenfernstationen senden. Darüber hinaus erhielten die Stadtbewohner von ihm lebenswichtige Informationen über zum jeweiligen Zeitpunkt einsatzfähige Sanitätsteams oder die Telefonnummern von Menschenrechtlern mit der Bitte um Augenzeugenberichte.
Während der ersten Wiederbesetzung Ramallahs Mitte März informierten die lokalen Sender, die jeweils nur in Teilen der Stadt empfangen werden können, über Positionen von israelischen Heckenschützen oder geöffnete Apotheken und Läden. Daneben riefen sie Bäcker dazu auf, falls möglich Brot zu backen, und Einzelhändler, ihre Läden zu öffnen.
Auch das Internet ist beeinträchtigt. Die Websites der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in Ramallah, die vom eigenen Computerzentrum betrieben werden, sind nicht mehr zugänglich. Darunter fallen die offizielle Website der PA, die aber über eine Alternativadresse aufrufbar ist, und die einiger Ministerien, die ebenfalls vom Computerzentrum mit dem Kürzel ".ps" (Palestinian State) gehostet werden.
Ausländer und Journalisten von Israel unerwünscht
Die offiziellen palästinensischen Medieninstitutionen in Ramallah sind nun geschlossen. Das erst im Januar 2001 gegründete Palestine Media Center (PMC) war bisher die erste Adresse für Journalisten in den besetzten Gebieten. Das PMC organisierte regelmäßig Pressekonferenzen mit Vertretern der Autonomiebehörde und der Zivilgesellschaft.
Die in Ramallah ansässigen Nichtregierungsorganisationen sind ebenfalls weitgehend lahmgelegt. Ein Mitarbeiter von Al-Haq hält von zu Hause aus per Laptop und Telefon einen Notbetrieb aufrecht. Ihre Büroräume werden von der israelischen Armee als Schlafräume genutzt. Das im Nebengebäude untergebrachte Health, Development, Information and Policy Institute (HDIP), deren Leiter Mustafa Barguti die Aufenthalte der zurzeit anwesenden internationalen Solidaritätsdelegationen mitorganisiert, ist funktionsunfähig. Das Personal des Palestine Monitor arbeitet von Beit Hanina, dem israelisch annektierten Ost-Jerusalem aus.
Am Sonntag verschickte das offizielle israelische Government Press Office (GPO) folgende Meldung:
"(GPO 5) THE STATE OF ISRAEL WISHES TODAY (SUN), 31.3.2002, TO STRONGLY REITERATE THAT THE ENTIRE RAMALLAH AREA HAS BEEN DECLARED A CLOSED MILITARY ZONE. NO FOREIGN CITIZENS (INCLUDING MEMBERS OF THE MEDIA) ARE ALLOWED TO BE IN THE CLOSED ZONE. ANYONE FOUND IN THE CLOSED ZONE HENCEFORTH WILL BE REMOVED. MEMBERS OF THE MEDIA ARE ADVISED THAT THEIR PRESENCE IN THE CLOSED ZONE IS AT THEIR OWN RISK."
Offenbar ist der israelischen Regierung die Präsenz der etwa 500 internationalen Friedensaktivisten in den besetzten Gebieten ein großer Dorn im Auge. Einige von ihnen befinden sich seit einigen Tagen im zerbombten Hauptquartier von Palästinenserpräsident Jassir Arafat. Darunter auch zwei Deutsche, Sophia Deeg mit ihrer Tochter Julia aus München. Darüber hinaus war das Zentrum Ramallahs zu Anfang der Besatzung am Freitag voller Kameraleute und Fotojournalisten, um das Vorgehen der Armee zu dokumentieren. Offiziell behindern sie die Bewegungsfreiheit der Soldaten. Bei der ersten Wiederbesetzung des Stadtzentrums Mitte März erschossen sie einen israelischen Reporter.
Einseitige Berichterstattung nur für eine Seite
Das GPO entzog Leila Audeh, der Korrespondentin des Satellitensenders Abu Dhabi, und ihrem Kollegen am Dienstag die Akkreditierung. Diese Entscheidung wurde wegen der wiederholten "anti-israelischen Propaganda" des Senders, "die zur Unruhe in der arabischen Welt beiträgt" gefällt, da diese Art der Berichterstattung den Bestimmungen zuwiderläuft, die alle Journalisten bei ihrer Akkreditierung unterzeichnen müssen. Danach sind alle Texte und Bildmaterialien den israelischen Zensurbehörden vorzulegen. Veröffentlichungen, die die Sicherheit Israels gefährden, sind verboten.
In der Praxis hält sich außer den unter israelischer Rechtsprechung veröffentlichten Medien niemand daran, und das GPO mischte sich in die Arbeit der ausländischen Journalisten kaum ein. Nun scheint ein anderer Wind zu wehen. Allerdings nur aus einer Richtung, was sogar die Sender CNN und NBC zu spüren bekommen. Sie wurden allerdings nur darauf aufmerksam gemacht, dass sie mit ihren Beiträgen aus dem "militärischen Sperrbezirk" (Ramallah) illegal handeln. Wenn das nicht aufhöre, werde der Staat Israel die gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen ergreifen. Dazu kommt, dass ausländische Medienanstalten, die Palästinenser ohne israelische Arbeitserlaubnis in ihren Jerusalemer Büros beschäftigen, Strafen angedroht wurden.
Die israelische Medienpolitik selbst läuft auf Hochtouren. Das GPO verschickt täglich an die 20 Meldungen, fünfmal so viele wie vor dem Beginn der Panzerbesatzung Ramallahs. Das am 29. März, also am ersten Tag der Besetzung eröffnete National Media Center in West-Jerusalem bedient nun die Bedürfnisse der ausländischen Journalisten.
Mindestens 500 zusätzliche sind seit der erneuten Eskalation des Konfliktes im Land. Anzunehmen ist, dass die wenigsten von ihnen profunde Kenntnisse über Geschichte und Politik oder palästinensische Kontakttelefonnummern im Reisegepäck tragen. Eine Fahrt in die besetzten Städte ist sowieso verboten. Im National Media Center wird ihnen nun jeden Morgen bequem die israelische Einschätzung druckfertig präsentiert. Und nach Prüfung der internationalen Presse machen sich die wenigsten der Neuankömmlinge die Mühe, diese Informationen zu hinterfragen oder mit der palästinensischen Sichtweise zu konfrontieren.
Peter Schäfer, Ramallah