Pannenpanzer Puma: Ein Debakel

Seite 2: Totalausfall – Totalstopp

Nur wenige Tage nach Freigabe der Puma-Gelder platzte die Bombe in Form eines von Spiegel Online am 17. Dezember 2022 veröffentlichten Schreibens von Generalmajor Ruprecht von Butler an seinen Chef, den Inspekteur des Heeres.

Butler ist Kommandeur der 1. Panzerdivision, zu der auch die Panzergrenadierbrigade 37 aus Frankenberg gehört, die ab Januar 2023 den Kern der VJTF-Truppe der Nato stellt.

Genau für diese Aufgabe waren die im Februar 2022 ausgelieferten ersten 40 auf VJTF-Standard aufgebohrten Pumas vorgesehen, von denen kurz zuvor 18 in einer wohl nicht einmal sonderlich anspruchsvollen Übung getestet worden waren. Das Ergebnis lässt sich dem Brief Butlers entnehmen – ebenso wie dessen Verärgerung:

Von 18 einsatzbereiten Schützenpanzern, mit der die Kompanie begonnen hatte, sank die Einsatzbereitschaft während der letzten acht Ausbildungstage auf 0 Schützenpanzer. […] Sie können sich vorstellen, wie die Truppe die Zuverlässigkeit des Systems Puma nun bewertet. […]

Mit der üblichen Zuverlässsigkeit [sic] deutscher Landfahrzeuge ist dies nicht zu vergleichen, und wir sprechen hier über Fahrzeuge, die wir mit erheblichen [sic!] Kostenaufwand auf einen anderen – vermeintlich – zuverlässigeren Stand gebracht hatten. Dies ist gerade auch für die mir unterstellte Truppe belastend.

Generalmajor Ruprecht von Butler, Spiegel Online, 17.12.2022

Ursächlich für die Probleme sei die komplexe Elektronik gewesen, auch Kabelbrände wären aufgetreten. Es werde nun Monate dauern, bis die Pumas wieder am Start wären – und das eben zu dem Zeitpunkt, zu dem sie eigentlich für die VJTF zur Verfügung stehen sollten.

Er sehe sich deshalb gezwungen, so Butler in seinem Schreiben, für die VJTF nun auf die jahrzehntealten Marder zurückzugreifen. Generell sei die Einsatzfähigkeit der Pumas inzwischen zu einem "Lotteriespiel" geworden, so Butlers Fazit.

Kurz darauf zog auch das Verteidigungsministerium die Notbremse: Man sei nach den vorangegangenen Übungen eigentlich "recht zuversichtlich" gewesen, deshalb sei der jüngste Totalausfall "ein herber Rückschlag", erklärte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am 19. Dezember.

Ferner wurde die Notwendigkeit, nun auf Marder zurückzugreifen von dem Sprecher bestätigt: "Mit Blick auf die VJTF-Verpflichtungen, die werden wir erfüllen, ab dem 1. Januar wie geplant, dann aber mit dem Schützenpanzer Marder."

Kurz darauf wurden weitere Konsequenzen aus dem Debakel gezogen:

Verteidigungsministerin Lambrecht erklärte nicht nur, dass die für kommendes Frühjahr geplante Bestellung weiterer Schützenpanzer dieses Typs vorerst zurückgestellt werde. Auch die vom Haushaltsausschuss des Bundestages erst in der vergangenen Woche freigegebenen Gelder für eine Nachrüstung der bereits beschafften Pumas sollen vorerst nicht genutzt werden: Der entsprechende Vertrag, hieß es aus dem Ministerium, werde zunächst nicht gezeichnet.

Thomas Wiegold, Table Security, 20.12.2022

Vor diesem Hintergrund ist nicht nur die Zusage gerissen worden, für die VJTF-Übernahme im Januar 40 funktionierende Schützenpanzer auf Nato-Standard einspeisen zu können. Auch die von Deutschland zugesagte schwere Division mit 266 Puma-Schützenpanzern mit VJTF-Standard dürfte sich kaum rechtzeitig bereitstellen lassen – zumal der diesbezügliche Zeitplan von 2027 auf 2025 nach vorne gezogen wurde.

Der Welt-Journalist Thorsten Jungholt glaubt jedenfalls nicht mehr daran: "Wie das jetzt noch gelingen soll, ist das Geheimnis des Verteidigungsministeriums." Ähnlich sehen das andere Medien:

Aus dem Puma-Projekt auszusteigen hätte massive Auswirkungen auf die Bundeswehr – finanziell und strukturell. Bis 2025 haben Lambrecht und Generalinspekteur Eberhard Zorn der Nato eine voll einsatzbereite Division mit rund 30.000 Soldaten zugesagt. Der Puma wäre wesentlicher Bestandteil und schon zuvor gab es erhebliche Zweifel an der Umsetzbarkeit des Projektes. […] Ein Puma-Kaufstopp hätte damit unmittelbar zur Folge, dass Deutschland eines seiner zentralen Nato-Versprechen nicht einhalten könnte.

ZDF, 20.12.2022

Marodes Beschaffungswesen

Aktuell versuchen sich Industrie, Politik und Militär gegenseitig die Schuld für die Misere in die Schuhe zu schieben.

Sowohl die Truppe als auch die Industrie versuchen nun fieberhaft, den Grund für den Massenausfall festzustellen. Bei der Fehlersuche, so heißt es in einem internen Protokoll der Industrie, deute einiges auf Probleme bei der Truppe hin: Die Einheit habe weder die nötigen Ersatzteile mit in diese Übung genommen noch ausreichend Sonderwerkzeug. Die bereitstehende Hilfe der Herstellerfirmen sei nicht angefordert worden.

Thomas Wiegold, Table Security, 20.12.2022

Egal, wer am Ende die Hauptverantwortung trägt, die jüngsten Puma-Pannen sind in gewisser Weise symptomatisch für das insgesamt hoffnungslos dysfunktionale Beschaffungswesen der Bundeswehr, das bereits seit Jahren in der Kritik steht.

Zuletzt kam im Mai 2022 eine im Auftrag von Greenpeace angefertigte Studie zu dem Ergebnis, diverse Probleme beim Beschaffungsprozess würden Mehrkosten zwischen 35 Prozent und 54 Prozent verursachen (siehe "Sondervermögen der Bundeswehr: Kritik wird schärfer").

In schöner Regelmäßigkeit dokumentiert auch die Bundeswehr ihr Scheitern bzw. das ihres Beschaffungswesens in Form von halbjährlich erscheinenden Rüstungsberichten. Darin legt das Ministerium vor allem Zeugnis über den Stand, die Verspätungen und die Kostensteigerungen der wichtigsten Bundeswehr-Großprojekte ab.

Im letzten Bericht vom November 2022 ließ sich nachlesen, dass die untersuchten Rüstungsprojekte mit einem Gesamtvolumen von 68,8 Mrd. Euro dem ursprünglichen Zeitplan im Schnitt 27 Monate hinterherhinken würden und dabei insgesamt rund 12 Mrd. Euro teurer seien als anfangs geplant.

Auf den ersten Blick weichen diese neuen Zahlen erheblich vom Frühjahrsbericht 2022 ab: Demgegenüber sind sowohl die Verzögerungen (48 Monate) als auch die Kostenüberschreitungen (16,9 Mrd. Euro) deutlich gesunken. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass diese Werte vor allem darauf zurückzuführen sind, dass einige der spektakulärsten Rohrkrepierer nach Auslieferungsende aus der Statistik gefallen sind.

Neben dem Puma haben der Bundeswehr zum Beispiel auch der Transporthubschrauber NH90 (Mehrkosten: 1,343 Mrd. Euro; Verzögerung: 134 Monate) und die Fregatte F125 (1,258 Mrd. Euro; 56 Monate) über Jahre die Pannenstatistik verhagelt. Die neu aufgenommenen Projekte (F-126, U212, Pegasus …) befinden sich noch in ihren Anfängen und hatten somit bislang noch wenig Gelegenheit, um signifikante Verzögerungen und Mehrkosten zu verursachen.

Nichts deutet also darauf hin, dass Politik, Militär und Industrie in der Lage sein werden, das marode Beschaffungswesen in den Griff zu bekommen. Das sollte vielleicht auch denen zu denken geben, die angesichts der jüngsten Pannen weiter reflexhaft nach immer mehr Geld rufen, um diesen dysfunktionalen Apparat weiter zu befeuern.